Die Todesstrafe II. Jacques Derrida
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Название: Die Todesstrafe II

Автор: Jacques Derrida

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

Серия: Passagen forum

isbn: 9783709250396

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СКАЧАТЬ als Hypothese des Unbewussten aus der Erfahrung der Schuld, des Verbrechens, der Schuldhaftigkeit, der Strafe usw., kurzum des Gesetzes und des Rechts entstanden ist)18.

      Muss man den Begriff des Akts neu erfinden, neu denken, um dieser neuen Problematik stattzugeben und das Problem der Todesstrafe endlich ernsthaft anzusprechen? Ich lasse diese Fragen bis zu dem Moment in der Schwebe, da ich einen gewissen Text psychoanalytischen Typs über die Todesstrafe ansprechen werde. Ich spreche absichtlich von einem gewissen psychoanalytischen Text, weil es sich, ohne ein Text von Freud zu sein, um einen in seinem Namen geschriebenen Text, um drei von Reik redigierte Seiten in Antwort auf eine Umfrage handelt.19 Als ich während eines Vortrags vor den Generalständen der Psychoanalyse (vgl. Seelenstände der Psychoanalyse20) vorsichtig vorbrachte, dass es meines Wissens keinen Text von Freud gebe, der direkt der Todesstrafe gewidmet ist, schloss das nicht aus, dass Freud, ohne selbst zu diesem Sujet zu schreiben, jemanden beauftragte, es in seinem Namen und an seiner Statt zu tun, was zu einem Text Anlass gab, dessen Status, Sprache, Logik oder Rhetorik, in Wahrheit dessen Signatur, kurz dessen Geste, Akt und Pragmatik sehr sorgfältig analysiert werden müssen, was wir gleich zu tun versuchen werden.

      Im Übrigen möchte ich, als einen Verbindungsstein, die letzten Zeilen dieses Texts zitieren, auf den ich ausführlich zurückzukommen gedenke. Hören Sie nun, was Freud sagt, oder vielmehr was Reik im Namen von Freud, aber mit seiner Autorisierung sagt; und was ich zitiere, ist also ein von Freud autorisierter Satz, der am Ende einer langen und verlegenen Antwort aber wie ein Sprung, wie eine Entscheidung nach einem Sprung kommt. Reik sagt, im Namen von Freud, Folgendes, in Beantwortung einer Umfrage, die drei Fragen umfasste, darunter eine zur Strafe im Allgemeinen und zwei zur Todesstrafe:

      Wenn ich mir abschliessend die Freiheit nehmen darf, Ihre Hauptfrage ein wenig zu modifizieren, so würde ich sie folgendermaßen beantworten: Ich bekenne mich als Gegner des Mordes, gleichgültig ob er vom Einzelnen als Verbrechen oder vom Staat zu dessen Sühnung begangen wird.21

      Dieses Begehren, zu töten (auf Seiten des möglichen oder des potentiellen Mörders), oder dieses Begehren, die Todesstrafe beizubehalten oder wiedereinzuführen – und auch das ist ein Begehren, zu töten –, in beiden Fällen ist dieses Begehren, zu töten, als Begehren sowohl jünger als auch älter als der Akt des Tötens. Es kann dem Akt des Tötens vorausgehen, ohne dass dieser als Akt statthat (ich kann begehren, jemanden zu töten, ohne ihn je zu töten oder ohne ihn je gemäß dem zu töten, was man als Mord [meurtre] in actu, als öffentlichen Mord [assassinat]22 oder als aktuelle, wirkliche, reale usw. Ausführung [exécution] bezeichnet und anerkennt); das Begehren, zu töten, kann auch älter sein als der Akt und den Akt überleben, selbst wenn der Akt, im geläufigen Sinne des Wortes, nicht stattgehabt hat. Ich weiß natürlich, und Sie werden es mir gleich sagen, dass das Recht [le droit] bisweilen der Absicht und dem Begehren stattgibt [fait droit à], wenn es zum Beispiel unterscheidet zwischen der absichtlichen Tötung eines Menschen [homicide] und der unabsichtlichen Tötung eines Menschen (das heißt ohne Absicht, also ohne Begehren, den Tod zu geben: es handelt sich dabei um jenes Konzept von Schlägen/Stichen/Schüssen [coups] und Verletzungen, die den Tod nach sich gezogen haben, ohne Absicht, ihn zu geben). Diese Berücksichtigung der Absicht und des Begehrens, des Begehrens, den Tod zu geben oder den Tod nicht zu geben, diese gesetzliche Berücksichtigung findet sich jedoch auf zweierlei Weisen an zwei Rändern begrenzt, wenn ich so sagen kann. Auf der einen Seite verlangt das Recht, dass es von dieser Absicht oder diesem Begehren, in Wahrheit diesem absichtlichen Nicht-Begehren oder diesem Begehren des Nicht-(den-Tod-geben), aktuelle Zeichen, Beweise oder Indizien in actu gebe: ausgeführte Handlungen [gestes] oder vermiedene Handlungen. Es handelt sich also um einen Akt, um eine Manifestation durch Akte. Auf der anderen Seite muss das fragliche Begehren oder Nicht-Begehren oder Begehren-nicht-zu… von dem herrühren, was man das Bewusstsein23 nennt, von der bewussten Wahrnehmung. Bislang hat sich das Recht untersagt oder war nicht in der Lage, in seine wesentliche Axiomatik eine Logik des Unbewussten oder des Symptoms zu integrieren, vor allem nicht ein anderes Denken des Akts (das heißt des Zusammenhangs zwischen dem Akt und seiner mutmaßlichen Anderen, dem Möglichen, dem Unmöglichen, dem Begehren, dem Denken, der Sprache), ein anderes Denken des Alters (das heißt der Zeit des Lebens und der Vielzahl an heterogenen Maßen, Ordnungen oder Weisen des Zählens)24; das Recht hat nicht mit diesem anderen Denken des Alters gerechnet, obwohl – wie Sie wissen, und das ist ein interessantes Symptom – der Strafdiskurs, insbesondere um die Todesstrafe herum, von der Frage des gesetzlich vorgeschriebenen Alters besessen ist, jenes Alters, ab dem es legal ist, zum Tode zu verurteilen oder einen Verurteilten hinzurichten. Das war, das bleibt Gegenstand endloser kasuistischer und rechtsgelehrter Debatten, dort, wo die Todesstrafe in einer Gesellschaft aufrechterhalten wird, in der der puritanischste Legalismus Hand in Hand geht sowohl mit der barbarischsten Grausamkeit als auch mit den ausgetüfteltsten Klügeleien über das Kriterium der Grausamkeit selbst. In den Vereinigten Staaten hat die Frage des straffähigen Alters, wenn man so sagen kann, in der Tat Antworten ausgelöst, über die wir heute nachdenken müssen. Als zum Beispiel der Oberste Gerichtshof (eine Instanz, auf deren Rolle und Bedeutung wir geduldig zurückkommen werden müssen, und ich werde das tun) im Jahre 1987 auf seine Entscheidung von 1972 (Fall Furman gegen Georgia), die die Todesstrafe für verfassungswidrig erklärte, zurückkam, nachdem er sich bereits 1976 einverstanden erklärt hatte, seine Ansichten zu revidieren (Entscheidung Gregg gegen Georgia), nun, als also der Oberste Gerichtshof im Jahre 1987 die Legitimität, die verfassungsgemäße Legalität der Todesstrafe bezüglich eines Schwarzen, der einen Polizisten getötet hatte, bestätigte und seine Ausrichtung anschließend verschärfte, indem er am 26. Juni 1989 mit 5 zu 4 Stimmen (wie 1972, aber im umgekehrten Sinne) erklärte, dass der Hinrichtung von zum Tode Verurteilten, die zwischen 16 und 18 Jahre alt sind, also Minderjährigen zum Zeitpunkt des Verbrechens, wie auch der Tötung von Individuen, die als „mentally retarded“ beziehungsweise geistig behindert gelten, nichts im Wege stehe. Zwei Jahre zuvor, 1985, hat der Bundesstaat Virginia einen schwarzen Landarbeiter auf den Elektrischen Stuhl geschickt, der 37 Jahre alt war, dessen geistiger Entwicklungsstand beziehungsweise mentales Alter25 von Experten jedoch auf 8 Jahre geschätzt wurde. Wenn Sie das von Austin Sarat herausgegebene Buch The Killing State lesen, werden Sie eine Vielzahl analoger Fälle finden.26 Zum Beispiel, um nur einen Fall zu zitieren, den Fall von Penry gegen Lynaugh im Juni [19]89. Penry war der Vergewaltigung und des Mordes angeklagt und zum Tode verurteilt worden. Zum Zeitpunkt des Verbrechens war er 22 Jahre alt, sein mentales Alter entsprach den Experten zufolge jedoch dem eines sechseinhalbjährigen Jungen, das heißt, ich zitiere annähernd, dass er die Lern- und Erkenntnisfähigkeit eines durchschnittlich sechseinhalbjährigen Jungen besaß. Das ist das „Mentale“, das sogenannte mentale, das heißt hier intellektuelle beziehungsweise verstandesmäßige Alter, in der Ordnung des Wissens, der Lehre, des Lernens und des Verstehens. Das „theoretische“ Alter, wenn Sie so wollen. In sozialer Hinsicht hingegen, das heißt vom Standpunkt seiner sozialen Reife her, das heißt seiner Fähigkeit, „to function in the world“, in der Gesellschaft zu handeln oder handlungsfähig zu sein, sozialisierbar zu sein, integrationsfähig, wie man so sagt, oder fähig zur sozialen Wiedereingliederung, in sozialer Hinsicht also war er drei oder vier Jahre älter, das heißt 9 oder 10 Jahre alt. Da haben Sie also einen Angeklagten, zum Tode Verurteilten, der mindestens drei Alter hatte, sechseinhalb Jahre (mentales Alter), 9 bis 10 Jahre (soziales Alter) und 22 Jahre (legales Alter). Der Anwalt der Verteidigung plädierte auf mildernde Umstände und behauptete, dass es verfassungswidrig sei, dem achten Zusatzartikel über „cruel and unusual punishments [grausame und ungewöhnliche Strafen]“27 zuwiderliefe, eine Person zu verurteilen und vor allem hinzurichten, deren Fähigkeiten derart uneinheitlich sind. Der Fall Penry spaltete den Gerichtshof in drei Lager. Vier Richter verwarfen die Notwendigkeit einer Revision und zusätzlicher Untersuchungen. Vier andere Richter vertraten die Ansicht, dass die Hinrichtung einer derart „retarded [zurückgebliebenen]“ Person wie Penry gegen den achten Zusatzartikel verstoßen würde. Der Richter O’Connor akzeptierte die verfassungsgemäße Notwendigkeit weiterer Untersuchungen im Hinblick darauf, mildernde Umstände festzustellen, lehnte jedoch den Rückgriff auf den achten Zusatzartikel ab.

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