Die Todesstrafe II. Jacques Derrida
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Название: Die Todesstrafe II

Автор: Jacques Derrida

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

Серия: Passagen forum

isbn: 9783709250396

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СКАЧАТЬ würde, usw. Die Todesstrafe, so denkt man gerade mit dem gesunden Menschverstand, ist ein Akt, ein realer, wirklicher, irreversibler Akt, der das Irreversible, das Nichtrevidierbare genau deshalb besiegelt, weil man unterstellt, dass er der aktivste und aktuellste, der wirklichste, der realste aller Akte ist, der unleugbarste aller Akte, ein „Ausagieren“ [passage à l’acte]13, das auch einen aktuellen, wirklichen, realen Akt zu sanktionieren behauptet, einen oder mehrere reale und wirkliche Morde zum Beispiel, und nicht nur Absichten oder Begehren, die nicht ausagiert worden wären und die im Grunde weder der Zeit noch dem Alter des Akts angehören (des Akts, der in der Todesstrafe besteht, oder des Akts des Verbrechens, das erstere zu sanktionieren behauptet). Die Todesstrafe wäre also ein Akt, der behauptet, die bloße Sanktion eines wirklichen, realen Akts, eines Akts in actu und nicht nur einer Möglichkeit, einer Intention, einer Virtualität, eines (bewussten oder unbewussten) Begehrens zu sein.

      2. Die zweite dieser drei14 Fragen, die sich hier im „Was ist ein Alter?“ oder „Welches ist das gute/richtige Alter [bon âge], um zu sterben, wenn es denn eines gibt?“, versammelt, spezifiziert diesen „gegebenen Moment“ oder diesen „besagten Ort/Anlass des gegebenen Moments“ von „mein Tod“ im Allgemeinen. Ich hatte diese Frage, glaube ich, letztes Jahr sehr rasch en passant gestellt. Wenn ich, wie jedes Lebewesen auf alle Fälle dazu verurteilt, zu sterben, wenn nicht zum Tode verurteilt, wenn ich also, wie jedermann dazu verurteilt, früh oder spät zu sterben, die Wahl hätte zwischen einerseits in diesem bestimmten Alter, morgen oder bald, eines natürlichen Todes, bei einem Autounfall oder an einer Krankheit zu sterben (wie fast jedermann im Grunde genommen), oder andererseits in einem anderen Alter, später, übermorgen, in einem Jahr, in zehn, in zwanzig Jahren zu sterben, in einem Gefängnis, da ich zur Todesstrafe (Guillotine, Elektrischer Stuhl, Giftinjektion, Hängen, Gaskammer) verurteilt worden sein würde, was würde ich wählen, welches Alter würde ich für meinen Tod wählen?

      Wie auch immer die Antwort auf diese Frage ausfallen mag – und in dem Augenblick, da ich zu Ihnen spreche, habe ich keine –, allein das Stellen der Frage, ja allein ihre Möglichkeit beweist, dass die Alternative, wenn es um die Frage der Todesstrafe geht – wir haben es letztes Jahr an hundert Beispielen hundert Mal gezeigt, ich werde nicht darauf zurückkommen –, dass also die Alternative nicht die Alternative Leben/Tod, leben oder sterben lautet, nicht einmal die Zeit, der gegebene Moment oder der gewollte Moment des Todes, das objektive Alter des Todes, sondern eine gewisse Modalität, eine gewisse Qualifizierung des Lebens und des Sterbens, eine Art und Weise, ein Dispositiv, ein Theater, eine Szene des Das-Leben-Gebens und des Den-Tod-, ja Sich-den-Tod-Gebens. Die Wahl besteht also nicht zwischen dem Leben und dem Tod, auch nicht zwischen zwei Altern fürs Sterben, sondern zwischen zwei Weisen und zwei Zeiten eines unausweichlichen und immer unmittelbar bevorstehenden Todes.

      3. Die dritte Frage (Was ist ein Begehren15?) trifft beziehungsweise überkreuzt sich in einem Punkt oder mehr als einem Punkt mit der ersten Frage (Was ist ein Akt?). Sie stürzt uns nicht in eine allzu bekannte Szene, in eine grandiose und kanonische Art und Weise, uns zu fragen „Was ist das, was man Begehren nennt?“, ein Wort, das Begehren [le désir], dessen ich mich im Allgemeinen so wenig wie möglich bediene, und eine Frage, auf die so viele – klassische oder moderne – Diskurse so viele interessante Antworten gegeben haben. Der Zugang zu diesem Wort und zu dieser Frage – dem Begehren – wäre16 dieses Mal vielleicht ein anderer. Es würde nicht darum gehen, einen Begriff, einen Ausdruck oder ein Wort ‚Begehren‘, von dem wir wüssten, was er oder es ist und bedeutet, auf die Frage des Verbrechens, des Mordes oder der Todesstrafe anzuwenden. Man müsste im Gegenteil versuchen, wenn es denn möglich ist, von einer bestimmten Art und Weise, die Todesstrafe, den gewaltsamen Tod, das Verbrechen, die Strafe, die Bestrafung, die Schuld und den nicht-natürlichen Tod zu denken, auszugehen, um das Feld und die Zeit des Begehrens zu isolieren.

      Die Herangehensweise wäre, schematisch betrachtet, die Folgende: Was man das Gesetz, die Legalität, die Gesetzgebung und insbesondere das die Bestrafung organisierende Recht, also das Strafrecht nennt, so wie es durch die Souveränität des Staates oder des Souveräns, durch einen König, einen Gouverneur oder einen Präsidenten ausgeübt wird (und wir werden den Präsidenten bald auf die Bühnenbretter steigen lassen, wir werden ihn in Szene setzen, wir werden ihn seinen Sitz einnehmen und somit sitzen lassen, was eben die Position des Präsidenten ist), dieses Gesetz in der Form des Rechts kann gegebenenfalls die Bestrafung des Verbrechers vorsehen, eines jeden, der diesen Akt, den man ein Verbrechen nennt, zum Beispiel einen Mord, wirklich und aktuell begangen hat; diese Bestrafung kann die Todesstrafe sein. Umgekehrt kann eine Gesetzesverfügung die Todesstrafe abschaffen, wie es, seit zehn Jahren erst, bei der Mehrheit der Staaten der Welt der Fall ist. Es gibt jedoch zwei Dinge, die keine Gesetzesverfügung, kein Recht bislang tun oder zu tun anstreben konnte. Und welche Dinge sind das? Das Begehren zu töten zu verbieten, das bloße Begehren, wenn man so sagen kann, vor oder ohne Übergang zum Akt, zumindest vor dem oder ohne das Ausagieren, wie es nach bestimmten problematischen Kriterien identifizierbar ist, denn es gibt Übergänge vom Tötungsbegehren zum Akt, die töten, ohne dass irgendein Verbrechen gemäß jener Zeichen des Akts identifizierbar wäre, die von der Gesellschaft der Menschen, so wie sie selbst sich bislang darstellt, konventionell anerkannt werden. Man kann den Mord verbieten, aber kann man das Begehren des Mordes verbieten? Den Mord zu verbieten, heißt vorzuschreiben „Du sollst nicht töten!“, das wurde gemacht. Wir hatten aber letztes Jahr im Buch Exodus gelesen17, dass Gott gleich nach den Zehn Geboten eine Art Todesstrafe für denjenigen einsetzt, wer auch immer dieses oder jenes Gebot unter dieser oder jener Bedingung übertritt. Man kann die Todesstrafe einsetzen, um den Mord zu verbieten, aber kann eine Todesstrafe das Begehren des Mordes verbieten? Man kann auch die Todesstrafe selbst verbieten, man kann sie abschaffen, aber kann man das Begehren nach der „Todesstrafe“ verbieten, das, wie wir allzu gut wissen, die gesetzliche Abschaffung der Todesstrafe überleben kann, selbst in Frankreich, bei der Mehrheit der Franzosen, die Umfragen sagen es uns? Man kann also das Töten verbieten wollen. Töte nie! Gib niemals den Tod! Keinem Lebenden, dem Anderen oder dir selbst. Aber kann man das – bewusste oder unbewusste – Begehren zu töten verbieten? Was leitet [préside à] dieses Begehren? Was kann leiten/vorsitzen [présider], und Präsident, in diesem Fall sagen wollen?

      Man kann das Töten so sehr verbieten wollen, dass man die Todesstrafe abschafft. Aber kann man das Begehren oder den Zwang, die die Todesstrafe diktieren und die sie souverän leiten [y président], abschaffen?

      Was bedeutet in diesen zwei Fällen ein Akt, ein Übergangzum-Akt beziehungsweise Ausagieren [passage à l’acte]? Und was kann das Recht, das staatliche Recht zum Beispiel, mit dieser Differenz zwischen einem Begehren und einem Ausagieren machen? Zwischen einem Begehren und einem Symptom? Was kann das staatliche oder transnationale Recht mit der subtilen und listigen Ökonomie machen, die diese Beziehungen regelt zwischen einerseits dem Unbewussten und dem Bewusstsein, zwischen einem verhinderten, in die Schwebe versetzten, verbotenen oder zu einem Symptom verschobenen Akt (der auf seine Weise auch ein kaum maskierter Mord sein kann) und andererseits dem, was man eine Tat [acte], einen manifesten, sichtbaren, öffentlich bestätigten Akt nennt – denn hier kompliziert sich die Grenze: Es handelt sich nicht mehr nur um die Grenze zwischen dem realen Akt und dem möglichen Akt, zwischen dem Akt und dem Begehren, das – bewusst oder unbewusst – ebenfalls aktuell sein kann; diese Grenze ist auch die Grenze zwischen dem Öffentlichen und dem Nicht-Öffentlichen, zwischen der Öffentlichkeit des öffentlichen Raums und einem anderen Raum, der privat oder mehr als privat sein kann, vor der Unterscheidung zwischen öffentlich und privat, in einem anderen Sinne geheim, ein bewusstes oder ein unbewusstes Geheimnis (die Opposition bewusst/unbewusst, deren ich mich hier auf nicht-dogmatische Weise bediene, ohne sicher zu sein, dass ich hier bestimmbare Realitäten oder klare Begriffe bezeichne, sondern nur provisorische und wiedererkennbare Hypothesen, die zumindest das Recht haben, als Hypothesen aufgestellt zu werden, und die hier übrigens nicht zufällig als nützliche Hypothesen in Erscheinung treten; denn ich behaupte, und das ist vermutlich gar nicht so originell, dass zum Beispiel die Idee des Unbewussten, weit davon entfernt, uns dabei behilflich zu sein, uns auf dem Gebiet des СКАЧАТЬ