Название: Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke
Автор: Walter Benjamin
Издательство: Ingram
Жанр: Контркультура
isbn: 9789176377444
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Daß nicht in Rang und Abkunft der Personen sich das Erhabne des Gehalts erklärt – dieser Hinweis würde sich erübrigen, wenn nicht merkwürdige Spekulationen und naheliegende Verwechslungen sich an das Königtum so vieler Helden angeschlossen hätten. Sie beide meinen diesen Stand an und für sich und im modernen Sinne. Aber nichts ist einleuchtender, als daß er ein akzidentelles Moment ist, herrührend aus dem Sachbestand der Überlieferung, die den Grund der tragischen Dichtung abgibt. Gruppiert doch diese in der Urzeit sich um Herrscher, derart, daß königliche Abkunft der dramatischen Person den Ursprung im Heroenalter anweist. Und nur darin ist diese Abkunft belangvoll, darin freilich entscheidend. Denn die Schroffheit des heroischen Selbst – die kein Charakterzug, sondern geschichtsphilosophische Signatur des Helden ist – entspricht derjenigen seines herrschaftlichen Standorts. Diesem einfachen Tatbestand gegenüber erscheint die Auslegung des tragischen Königtums durch Schopenhauer als eine jener Nivellierungen ins Allgemeinmenschliche, welche die Wesensverschiedenheit von antiker und moderner Dramatik unkenntlich machen. »Die Griechen nahmen zu Helden des Trauerspiels durchgängig königliche Personen; die Neuern meistentheils auch. Gewiß nicht, weil der Rang dem Handelnden oder Leidenden mehr Würde giebt: und da es bloß darauf ankommt, menschliche Leidenschaften ins Spiel zu setzen; so ist der relative Werth der Objekte, wodurch dies geschieht, gleichgültig, und Bauerhöfe leisten so viel, wie Königreiche … Personen von großer Macht und Ansehn sind jedoch deswegen zum Trauerspiel die geeignetesten, weil das Unglück, an welchem wir das Schicksal des Menschenlebens erkennen sollen, eine hinreichende Größe haben muß, um dem Zuschauer, wer er auch sei, als furchtbar zu erscheinen … Nun aber sind die Umstände, welche eine Bürgerfamilie in Noth und Verzweiflung versetzen, in den Augen der Großen oder Reichen meistens sehr geringfügig und durch menschliche Hilfe, ja bisweilen durch eine Kleinigkeit, zu beseitigen: solche Zuschauer können daher von ihnen nicht tragisch erschüttert werden. Hingegen sind die Unglücksfälle der Großen und Mächtigen unbedingt furchtbar, auch keiner Abhülfe von außen zugänglich; da Könige durch ihre eigene Macht sich helfen müssen, oder untergehen. Dazu kommt, daß von der Höhe der Fall am tieffsten ist. Den bürgerlichen Personen fehlt es demnach an Fallhöhe.«491 Was hier als Standeswürde der tragischen Person begründet – in einer geradezu barocken Weise aus den unseligen Vorfällen der ›Tragödie‹ begründet – wird, hat mit dem Rang der zeitentrückten Heroengestalten nichts zu schaffen; wohl aber hat der Fürstenstand für das moderne Trauerspiel die exemplarische und weit präzisere Bedeutung, welcher ihres Ortes gedacht wurde. Was Trauerspiel und griechische Tragödie in dieser täuschenden Verwandtschaft trennt, hat noch die jüngste Forschung nicht bemerkt. Und unfreiwillig wirkt es höchst ironisch, wenn zu Schillers tragischen Versuchen in der »Braut von Messina«, welche dank der romantischen Haltung so vehement ins Trauerspiel umschlagen mußten, Borinski, weil er Schopenhauer folgt, mit Rücksicht auf die nachhaltig vom Chor betonte Standeshöhe der Personen meint: »Wie recht hatte doch die Renaissancepoetik – nicht im ›pedantischen‹, sondern im lebendig menschlichen Geiste – an den ›Königen und Heroen‹ der antiken Tragödie peinlich festzuhalten.«492
Schopenhauer hat die Tragödie als Trauerspiel aufgefaßt; unter den großen deutschen Metaphysikern nach Fichte ist wohl kaum einer, dem so wie ihm der Blick für das griechische Drama gefehlt hätte. Er hat denn auch im modernen die höhere Stufe gesehen und in dieser Konfrontation, so unzulänglich sie ist, den Ort des Problems zumindest bezeichnet. »Was allem Tragischen, in welcher Gestalt es auch auftrete, den eigenthümlichen Schwung zur Erhebung giebt, ist das Aufgehen der Erkenntniß, daß die Welt, das Leben, kein wahres Genügen gewähren könne, mithin unserer Anhänglichkeit nicht werth sei: darin besteht der tragische Geist: er leitet demnach zur Resignation hin. Ich räume ein, daß im Trauerspiel der Alten dieser Geist der Resignation selten direkt hervortritt und ausgesprochen wird … Wie der Stoische Gleichmuth von der Christlichen Resignation sich von Grund aus dadurch unterscheidet, daß er nur gelassenes Ertragen und gefaßtes Erwarten der unabänderlich nothwendigen Übel lehrt, das Christentum aber Entsagung, Aufgeben des Wollens; eben so zeigen die tragischen Helden der Alten standhaftes Unterwerfen unter die unausweichbaren Schläge des Schicksals, das Christliche Trauerspiel dagegen Aufgeben des ganzen Willens zum Leben, freudiges Verlassen der Welt, im Bewußtseyn ihrer Werthlosigkeit und Nichtigkeit. – Aber ich bin auch ganz der Meinung, daß das Trauerspiel der Neuern höher steht, СКАЧАТЬ