Название: Evas Geschichte
Автор: Eva Schloss
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783765571992
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Für alle Juden bestand nach acht Uhr abends Ausgehverbot. Sie durften weder Kinos, Konzerte noch Theater besuchen. Auch Straßenbahnen und Züge durften wir nicht benutzen. Einkaufen konnten wir nur zwischen drei und fünf Uhr nachmittags, und das auch nur in jüdischen Läden. Alle Juden mussten den gelben Davidstern deutlich sichtbar auf ihrer Kleidung tragen, damit man sie sofort identifizieren konnte.
Am 19. Februar 1941 wurden vierhundert Juden aus Amsterdam Zuid im Alter von zwanzig bis fünfunddreißig Jahren zusammengetrieben. Am 25. Februar organisierten daraufhin holländische Gewerkschaften einen Generalstreik, um so gegen das Vorgehen der Nazis zu protestieren. Zwei Tage lang stand alles still – der öffentliche Verkehr lag brach, in den Ämtern und Dienststellen hatten die Angestellten ihre Arbeit niedergelegt. Die Nazis drohten, Geiseln zu nehmen und sie umzubringen, falls die Arbeit nicht wieder aufgenommen würde. Das tat seine Wirkung. Einige mutige Holländer begannen freiwillig den gelben Stern zu tragen, um sich mit uns zu solidarisieren und die Deutschen zu verwirren.
»Zieh niemals deinen Mantel aus, wenn du keinen gelben Stern auf deinem Kleid trägst«, warnte mich Mutti, als ich ihr zusah, wie sie dieses Erkennungszeichen auf meinen dunkelblauen Mantel und meine Jacke nähte. »Wenn ein Jude angetroffen wird, der keinen Stern trägt, stecken ihn die Deutschen ins Gefängnis.«
Die Zeit verging und wir fühlten uns zunehmend stärker bedroht. Papi war jetzt bei uns zu Hause, weil ihm die Deutschen verboten hatten, weiterhin zur Fabrik in Brabant zu reisen. Er kam auf die Idee, kleine Lederhandtaschen aus Schlangenlederresten herzustellen, und schon sehr bald blühte das Geschäft. Die Taschen wurden in Heimarbeit gefertigt, und viele, die ihre Arbeit durch die Verordnungen der Nazis verloren hatten, verdienten sich so ihr Brot. Unsere ganze Familie lebte von dem Verkauf der Taschen. Was wir nicht zum Leben brauchten, sparte Papi, falls eine Zeit kommen würde, in der er selbst nicht mehr für uns sorgen konnte.
Er ging auf viele Versammlungen von Juden, um mit anderen Betroffenen über die sich zuspitzende Lage zu diskutieren. Eines Abends rief er uns alle zu sich und bereitete uns darauf vor, dass wir uns möglicherweise bald versteckt halten müssten. Er meinte, es wäre besser, wenn wir uns trennten und an zwei verschiedenen Orten versteckten. Als ich zu weinen begann, erklärte er, dass ihm das Weiterleben seiner Kinder überaus wichtig sei, dass die Menschen in ihren Kindern und Enkeln weiterleben. Wir könnten unsere Überlebenschancen verdoppeln, wenn wir uns trennten. Er wollte uns falsche Papiere besorgen, falls wir irgendwann einmal gezwungen sein sollten, unsere jüdische Herkunft zu verheimlichen.
Es gab von Holländern organisierte Widerstandsgruppen, die im Untergrund gegen die verhassten Nazis arbeiteten. Papi trat mit einer dieser Gruppen in Kontakt, und man beschaffte ihm falsche Pässe, die uns als gebürtige Holländer auswiesen.
Mutti hieß Mefrouw Bep Ackerman. Obwohl ich mir meinen neuen Namen, Jopie Ackerman, schnell eingeprägt hatte, vergaß ich ständig mein falsches Geburtsdatum und meinen Geburtsort, und Mutti musste mich immer wieder korrigieren.
Natürlich wusste Heinz sofort alles auswendig. Er war mittlerweile fünfzehn, hochgewachsen und sah sehr jüdisch aus, was ihn bekümmerte. Dieses Problem hatte ich wenigstens nicht. Ich hatte strahlend blaue Augen, helle Haut und blondes Haar, wie viele andere kleine holländische Mädchen auch. Mutti hätte man nach ihrem Äußeren leicht für eine Skandinavierin halten können. Sie verkaufte einen Teil ihres Schmucks, um genug Bargeld verfügbar zu haben.
Zusätzliche Sorgen machte uns unsere Gesundheit. Mutti und Papi war klar, dass es äußerst schwierig werden würde, in einem Versteck ärztliche Hilfe zu bekommen, falls einer von uns erkrankte. Schon seit Wochen litt ich an einer ernsten Mandelentzündung, und es stand bereits fest, dass ich operiert werden musste.
Zu der Zeit war es für Juden zu gefährlich, in ein Krankenhaus zu gehen. Zwar nahm man sie auf, aber viele wurden festgenommen und direkt von der Krankenstation weg in Lager abtransportiert. Ein Arzt in unserer Nähe erklärte sich einverstanden, mich in seiner Praxis zu operieren. Man schnallte mich auf einem Stuhl fest und gab mir Lachgas. Als ich nach der Operation allmählich wieder zu Bewusstsein kam, fantasierte ich, dass es in dem Zimmer brannte und alles lichterloh in Flammen stand. Von schrecklicher Angst geplagt, wachte ich auf. Meine Eltern brachten mich nach Hause, und ich lag etwa eine Woche lang im Bett, konnte nicht sprechen und nur Eiscreme zu mir nehmen. Mutti und Heinz umsorgten mich liebevoll, und Papi erzählte mir, wie mutig ich gewesen war. Als die Wunden verheilten und ich wieder richtig essen konnte, erholte ich mich sehr schnell.
Keines der Kinder in unserem Wohnblock redete über die Gespräche im Kreis der Familie. Wir vertrauten alle unseren Eltern. Sie würden wissen, was in bestimmten Situationen zu tun sei. Ich wollte jedenfalls nicht allzu viel über die Zukunft nachdenken. Allein der Gedanke, von Heinz getrennt zu werden, war mir unerträglich. Ich bewunderte ihn und hatte ihn von Herzen gern. Ich wollte, dass alles beim Alten bliebe, aber Papi und Mutti wussten, dass das nicht möglich war, und hatten Vorkehrungen getroffen.
Ich erinnere mich an Spaziergänge durch sonnige Straßen, wo wir uns verfolgt und bedroht fühlten. Eines Nachmittags kam Heinz völlig außer sich von der Schule nach Hause. Sein Freund Walter hatte auf dem Nachhauseweg seine Jacke ausgezogen, weil es ein warmer Tag war. Da er auf seinem Hemd keinen Davidstern trug, wurde er von der SS auf der Stelle verhaftet. Ich spürte, wie das Unheil unaufhaltsam auf uns zurollte.
1942:
Deutsche Truppen stoßen nach Stalingrad vor
Papi mietete einen leeren Raum in einem Lagerhaus an der Singel direkt am Kanal und deponierte dort große Koffer, in denen er Lebensmittel aufbewahren wollte für die Zeit, in der wir uns versteckt halten mussten. Lebensmittel waren schon rationiert. Es war nicht einfach, etwas von unserer wöchentlichen Zuteilung abzusparen.
Ich erinnere mich deutlich an einen Nachmittag, an dem wir einen Teil der Lebensmittel in das Lagerhaus schafften. Heinz steckte mir ein Paket, umwickelt mit braunem Papier, in meine Schultasche und half mir, den Riemen festzuschnallen, sodass die Tasche auf meiner rechten Hüfte saß. Die Tasche war sehr schwer. Immerhin steckten darin sechs Dosen Kondensmilch, sechs Dosen Ölsardinen, ein Paket Reis und eine Dose Kakao. Dann sah ich Heinz zu, wie er seinen Schulranzen mit Dosen Tomatenmark, einer Flasche Olivenöl, Zucker und ein paar Tafeln Schokolade bepackte. Mutti und Papi schnürten ebenfalls ihre Taschen.
Es war Frühling, April 1942. Gelbliche und hellgrüne Knospen sprossen aus den Zweigen der Weiden und Platanen entlang der Kanäle. Mutti und Papi gingen voraus; Papi trug seine Aktentasche unter dem Arm und Mutti ihren Einkaufskorb. Heinz und ich folgten ihnen über die Straßen aus Kopfsteinpflaster, über kleine Brücken hinunter zu dem Lagerhaus. Meine Tasche kam mir so schwer vor, und zu allem Überfluss löste sich auch noch einer meiner Schnürsenkel. Als ich mich gegen eine Wand lehnte, um mein Schuhband zu binden, klirrten die Dosen und ich bekam einen riesigen Schreck. Heinz griff im Nu geistesgegenwärtig unter meine Tasche und stützte sie. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Es war Sonntag, und gewöhnlich hielten sich an Sonntagen nicht so viele Menschen auf den Straßen auf, aber nicht weit von uns wurde ein Markt gehalten, und so gaben wir vor, dorthin zu gehen. Am Lagerhaus angekommen, schlossen wir sofort die große Holztüre hinter uns und stiegen die zwei Stockwerke bis zu unserem Lagerraum hoch. Papi sperrte die Türe auf und wir gingen hinein, um unsere Pakete loszuwerden. »Die Tomaten in den Koffer mit dem Olivenöl und dem Reis«, wies uns Papi an. »Die Sardinen und die Schokolade packen wir in den anderen.«
»Soll СКАЧАТЬ