Gegen die Spielregeln. Philea Baker
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Название: Gegen die Spielregeln

Автор: Philea Baker

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Baker Street Bibliothek

isbn: 9783948483036

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СКАЧАТЬ Bridgetown über Inspector Baker zu sprechen. »Ich bin skeptisch, ob er den Aufgaben eines Inspectors gewachsen ist. Er ist viel zu jung, besitzt vermutlich keine Erfahrung«, tat Ryon seine Zweifel kund.

      Doch Bridgetown wischte seine Bedenken beiseite. »Kapitän McMickan sagte mir, er habe direkt nach der Explosion The Met, das ist der Metropolitan Police Service, verständigt. Der Leiter, Garrick Bowie, habe gesagt, er schicke einen seiner besten Männer. Möglicherweise täuscht der erste Eindruck. Warten Sie ab.«

      Ryon beschloss, Bridgetowns Rat zu folgen und abzuwarten. Vielleicht hatte der junge Inspector entgegen seiner Annahme doch einiges in petto. Sein abweisendes Verhalten ihm gegenüber stand auf einem anderen Blatt.

      Inzwischen war es später Nachmittag. Die Kutsche bog in die Fenchurch Street ein. Bridgetown stieg aus, verweilte aber mit einem Fuß auf der letzten Stufe, während er sich Ryon zuwandte. Auf seiner Stirn hatte sich eine tiefe Furche gebildet. »Mir ist aufgefallen, dass meine Nichte Eindruck auf Sie gemacht hat. Deshalb möchte ich Ihnen etwas über sie sagen: Alessa hat ihren Vater vor einem Jahr verloren. Er ist bei einem Brand auf einer Baumwollplantage in North Carolina ums Leben gekommen, als er diese für seine Kleidermanufaktur besichtigte. Meine Schwester, Alessas Stiefmutter, ist in großer Sorge, denn Alessa hat vielerlei Flausen im Kopf. Seit ein paar Jahren arbeitet sie in diesem Krankenhaus von Florence Nightingale, aber das scheint ihr nicht zu genügen. Sie spielt mit dem Gedanken, nach Amerika auszuwandern, zu studieren, redet von Selbstverwirklichung und Emanzipation … Ja, sie hat so ihren eigenen Kopf.« Bridgetown presste die Lippen aufeinander. »Meine Schwester ist der Ansicht, dass sie bald heiraten sollte. Und tatsächlich gibt es da auch einen Anwärter. Ich möchte, dass Sie das wissen.«

      »Mr. Bridgetown, Ihre Nichte ist nicht nur eine hübsche, sondern auch eine in jeder Hinsicht wunderbare Frau, davon bin ich überzeugt. Ich schätze es zudem überaus, wenn eine Frau weiß, was sie will.«

      Verwirrt blickte Bridgetown ihn an. Dann schien er zu begreifen, was Ryon ihm sagen wollte. Er nickte. »Wir sehen uns dann morgen.«

      »Bis morgen, Mr. Bridgetown.«

      Bridgetown schloss die Kutschentür und die Pferde trabten langsam an.

      Ryons Blick wanderte zu seiner verbundenen Hand. Es gibt da einen Anwärter … Wieso gruben diese Worte sich derart verletzend in seine Gedanken? Wer war diese Frau, dass sie solche Gefühle in ihm auslöste?

       KAPITEL 2

       Donnerstag, 11. Juni 1874, 2:22 Uhr Mayfair Hotel

      Wie auch in den Nächten zuvor schreckte Ryon plötzlich auf und war hellwach. Es mussten die Kirchenglocken sein, ihr Läuten war von durchdringender Lautstärke.

      Sein nackter Oberkörper glänzte im Halbdunkel des Zimmers. Er schwitzte. Die Decke lag feucht und schwer auf seinem Unterleib und seinen Beinen. Er richtete das Knie auf. Durch das halboffene Fenster drang das Prasseln von Regentropfen an seine Ohren. Es roch nach Pflastersteinen und ein bisschen nach Alessa, obwohl sie nicht da war und der Wind nur einen Hauch ihres Duftes auf dem Schiff zu ihm hinübergetragen hatte – und er ihn eigentlich nicht wirklich kannte. Er streifte die Decke mit den Füßen von sich und richtete sich auf. Beim Versuch, sich die Haare aus der Stirn zu streichen, wurde er unsanft an seine malträtierte Hand erinnert. Die Geschehnisse auf der Bothnia waren ebenfalls mit einem Mal wieder da: der Qualm, die Hitze auf seinem Gesicht, die Beklemmung in seiner Brust, der Brandgeruch und die Panik, die auf einmal von ihm Besitz ergriffen hatte. Das Bild seines Vaters …

      Er sank zurück in das Kissen und legte seine Hand weit von sich ab. Seine Schwermut rührte nicht nur vom Tod seines Vaters, den er seit Jahren nicht mehr gesehen hatte, und den Geschehnissen im Maschinenraum her. Vielmehr entsprang sein Unbehagen einem Gefühl, das er nicht einzuordnen vermochte, das ihn verwirrte und ihn, was er sich noch weniger eingestehen wollte, auch irgendwie in Sorge versetzte: Er hatte von ihr geträumt. Alessa hatte Besitz von ihm ergriffen.

      Sein Brustkorb hob und senkte sich heftig, als einzelne Bruchstücke seines Traums wieder in sein Bewusstsein drangen. Er fragte sich, ob sein Gefühl, auch etwas in ihr ausgelöst zu haben, ein Hirngespinst sein mochte oder aber der Wirklichkeit entsprach. Er dachte darüber nach, wie sie sich bewegt, wie ihre Stimme geklungen hatte, und letztlich sann er darüber nach, was er über sie von Bridgetown erfahren hatte. Die Tatsache, dass Alessa eine Waise war, ließ ihn nicht los. Irgendwie fühlte sich das nach Nähe an, als wisse er etwas über ihr Leben oder sie vielleicht über seines. Dass sie nach Amerika auswandern wollte, um zu studieren und sich selbst zu verwirklichen, beschäftigte ihn ebenfalls.

      Was war bloß passiert? Seine Welt stand Kopf. Er sollte besser seine Sinne beisammenhalten. Sein Vater war Opfer eines Verbrechens geworden, davon war er überzeugt. Er sollte in London bleiben, bis geklärt war, was auf der Bothnia geschehen war. Sich nicht auf einen jungen Inspector verlassen, der sich wichtigtat. Oder seine Zeit damit zuzubringen, an eine Frau zu denken. Egal, wie beeindruckend sie war.

      Ryon stöhnte leise. Sie war hübsch. Die hübscheste Frau, die er jemals gesehen hatte. Aber das war es nicht, was dieses Gefühl in ihm auslöste. Es war mehr das, was er in Alessa zu sehen geglaubt hatte, das dieses Gefühl auslöste. Hinzu kam, dass er glaubte, es würde nicht weggehen. Nicht einfach so. Vielleicht niemals.

      Der Gedanke schnürte ihm die Luft ab. Er richtete sich auf und stieg aus dem Bett, ging zur Anrichte, griff nach der Karaffe und füllte Wasser in eine Schüssel. Wieder und wieder tunkte er den Lappen hinein, fuhr sich damit über Brust, Hals und Gesicht. Dann nahm er Alessas Dose, schraubte sie auf und salbte seine Hand ein. Sein Blick fiel auf den Koffer, den er neben der Anrichte abgestellt hatte. Der Koffer seines Vaters. Dieser war noch am Abend eingetroffen. Bridgetown hatte sich darum gekümmert, dass der Besitz seines Vaters von dessen Hotel zu ihm gebracht wurde. Er hatte den Koffer auf der Stelle durchgesehen. Schon beim Öffnen war ihm der altbekannte Geruch seines Vaters in die Nase gestiegen. Er hatte sich schlagartig mit der Vergangenheit konfrontiert gesehen, der gemeinsamen Zeit, die noch immer schmerzhaft auf ihm lastete. Außer Kleidungsstücken und den Ausweispapieren hatte er ein Buch mit technischen Notizen gefunden, mehr nicht.

      Er schraubte die Dose zu und stellte sie zurück auf ihren Platz. Anschließend richtete er den Blick auf seinen Wahukeza, der ebenfalls auf der Anrichte lag. In den nächsten Tagen würde er auf seine Übungen mit der Oglala-Waffe, die seine Mutter ihm geschenkt hatte, verzichten müssen. Seine Finger glitten kaum merklich über den messerscharfen Obsidian. Wann hatte er das letzte Mal ohne das tägliche Training auskommen müssen? Es musste Jahre her sein. Irgendwie war alles aus den Fugen geraten.

      Er schritt zum halbgeöffneten Fenster. Nacheinander öffnete er beide Flügel zur Gänze, dann stützte er sich mit der gesunden Hand auf dem Sims ab und sog die frische Nachtluft tief in die Lungen ein. Auf seinem nach wie vor heißen Körper bildete sich eine Gänsehaut. Die Pflastersteine unterhalb seines Fensters reflektierten das Licht der Laternen. In den Pfützen am Straßenrand kräuselte sich das Wasser. Es plätscherte – nicht stark, doch so, als wolle es niemals aufhören. Seitdem er in England war, hatte es mehr geregnet als in einem ganzen Monat in Maine. Jäh und unerwartet überkam ihn das Gefühl der Fremde. Was mochte sein Vater empfunden haben in dieser Stadt? Oft war er hier gewesen, über viele Wochen hinweg, Jahr für Jahr, das wusste er. Auch wenn er keinen Kontakt mehr zu ihm gehabt hatte, hieß das nicht, dass er nicht über ihn Bescheid wusste. Er wusste so einiges. Nun war sein Vater tot. Die Möglichkeit, sich noch einmal auszusprechen, war für immer erloschen. Seine Aufgabe war es, dies zu akzeptieren, anzunehmen, dass es so war.

       KAPITEL 3

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