Doch will ich den Leser mit einer Beschreibung des langen Morgens und des noch längeren Nachmittags nicht ermüden. Es gelang mir nicht, auch nur einen Blick auf die Weide zu werfen, denn selbst die Kirchtürme von Horsell und Chobham waren in den Händen der militärischen Behörden. Die Soldaten, an die ich mich wendete, wussten nicht das Geringste. Die Offiziere waren ebenso geheimnisvoll wie geschäftig. Die Leute in der Stadt fühlten sich, wie ich sah, vollkommen sicher bei der Anwesenheit des Militärs. Damals erst hörte ich von Marshall, dem Tabakhändler, dass sein Sohn sich unter den Toten auf der Weide befand. Die Soldaten hatten die Bewohner der Vorstädte von Horsell genötigt, ihre Häuser zu schließen und zu verlassen.
Sehr ermüdet kehrte ich etwa um zwei Uhr zum Gabelfrühstück nach Hause zurück, denn, wie schon erwähnt, war der Tag erdrückend heiß; um mich etwas zu erfrischen, nahm ich nachmittags ein kaltes Bad. Um halb fünf ungefähr, ging ich zum Bahnhof, um mir ein Abendblatt zu kaufen, denn die Morgenblätter hatten nur sehr unzulängliche Berichte von der Ermordung Stents, Hendersons, Ogilvys und der anderen enthalten. Auch sonst stand wenig darin, das ich nicht schon wusste. Die Marsleute ließen nicht einen Zolles Breite von sich sehen. Sie schienen in ihrer Grube sehr geschäftig zu sein; man vernahm ein unausgesetztes Hämmern und sah fast ununterbrochen Rauchsäulen aufsteigen. Sie waren augenscheinlich beschäftigt, sich für einen Kampf in Bereitschaft zu setzen. »Erneuerte Versuche wurden gemacht, eine Verständigung zu erzielen, doch ohne Erfolg«, das war eine stereotype Wendung der Blätter. Ein Pionier erzählte mir, dass der Annäherungsversuch durch einen Mann geschah, der in einer Grube stehend, an einer langen Stange eine Fahne schwenkte. Die Marsleute schenkten solchen Maßregeln eine eben so große Beachtung, wie wir etwa dem Brüllen einer Kuh.
Ich muss gestehen, dass mich der Anblick aller dieser Ausrüstungen und Vorbereitungen aufs Äußerste erregte. Meine Einbildungskraft wurde kriegerisch und besiegte die Eindringlinge auf dutzenderlei hervorragende Weise. Ein Rest meiner Schulknabenträume von Schlacht und Heldentum wachte wieder in mir auf. Diesmal aber schien es mir kein ehrlicher Kampf zu sein. So hilflos erschienen jene mir in ihrer Grube.
Um drei Uhr etwa hörte man von Chertsey oder Addlestone her in abgemessenen Zwischenräumen die ersten Kanonenschüsse. Ich erfuhr, dass da zuerst das glimmende Fichtengehölz, in das der zweite Zylinder eingefallen war, beschossen wurde; man hoffte, das Rohr zu zerstören, bevor es sich öffnete. Indessen dauerte es bis ungefähr fünf Uhr, ehe ein Feldgeschütz Chobham erreichte, um gegen die erste Abteilung der Marsleute gerichtet zu werden.
Um sechs Uhr abends, als ich mit meiner Frau im Gartenhaus beim Tee saß und eifrig den Kampf besprach, der uns bevorstand, hörte ich gedämpften Donner von der Weide her dröhnen, und unmittelbar darauf ein überaus heftiges Geschützfeuer. In blitzartiger Folge hörte ich ein furchtbares prasselndes Krachen, das den Boden erschütterte. Auf den Rasenplatz hinausstürzend, sah ich, wie die Wipfel der Bäume bei der orientalischen Schule in rauchenden roten Flammen standen und der Turm der kleinen Kirche daneben einstürzte. Die Kuppel der Moschee war verschwunden, und der Dachstuhl der Schule sah aus, als hätte ihn ein Hunderttonner beschossen. Einer unserer Schornsteine zerbarst, wie von einer Bombe getroffen; er sauste herab, seine Hauptmasse kam über die Dachziegel herabgepoltert und bildete einen Haufen roter Trümmer auf dem Blumenbeet vor dem Fenster meines Studierzimmers.
Ich und meine Frau blieben wie betäubt stehen. Dann wurde es mir klar, dass der Kamm des Maybury-Hügels im Bereich des Hitzestrahls der Marsleute sein müsse, jetzt, da das Schulgebäude aus dem Wege geräumt war.
Da fasste ich meine Frau am Arm und ohne weitere Überlegung stürzte ich mit ihr auf die Straße hinaus. Dann holte ich das Dienstmädchen, und versprach ihr, selbst den Koffer, nach dem sie jammerte, herabzubringen.
»Wir können unmöglich hier bleiben«, sagte ich; und während ich sprach, hörte man einen Augenblick wieder Geschützfeuer auf der Weide.
»Aber wohin sollen wir gehen?«, fragte meine Frau entsetzt.
Verwirrt überlegte ich. Dann erinnerte ich mich ihrer Verwandten in Leatherhead.
»Leatherhead!«,schrie ich, den plötzlichen Lärm übertönend.
Sie wandte ihre Augen ab und blickte den Hügel hinunter. Die Leute stürzten erschreckt aus ihren Häusern.
»Wie sollen wir nach Leatherhead kommen?«, fragte sie.
Am Fuße des Hügels sah ich einen Trupp Husaren unter der Eisenbahnbrücke hinreiten; sie sprengten durch die offenen Tore der orientalischen Schule. Zwei stiegen vom Pferd und begannen von Haus zu Haus zu laufen.
Die Sonne leuchtete durch den Rauch, der von den Wipfeln der Bäume aufstieg. Sie schien blutig rot und warf auf alles einen ungewohnten düsteren Schein.
»Bleib’ hier stehen«, sagte ich, »hier bist Du sicher«, dann eilte ich sofort nach dem »Gefleckten Hund«; denn ich wusste, dass der Wirt ein Pferd und ein Dogcart1 besaß. Ich rannte, denn ich sah voraus, dass in kürzester Zeit sich alles nach dieser Seite des Hügels drängen würde. Ich fand den Wirt in seinem Schankzimmer, völlig unwissend über alles, was hinter seinem Hause vorging. Ein Mann, der mir den Rücken zuwendete, sprach mit ihm.
»Ich bekomme ein Pfund«, sagte der Wirt, »und außerdem habe ich niemanden zum Kutschieren.«
»Ich gebe Ihnen zwei Pfund«, sagte ich über die Schulter des Fremden hinweg.
»Wofür?«
»Und ich bringe Ihnen den Wagen um Mitternacht zurück«, sagte ich.
»Herrgott!«,rief der Wirt, »wozu denn die Eile? Da bleibt einem ja der Verstand stehen. Zwei Pfund, und Sie wollen ihn zurückbringen? Was denn noch alles?«
Ich setzte ihm hastig auseinander, dass ich mein Haus verlassen müsse, und so sicherte ich mir das Gefährt. Es erschien mir damals längst nicht so dringend, dass auch der Wirt sein Haus verlassen müsse. Ich trug Sorge, den Wagen auf der Stelle zu bekommen, fuhr mit ihm ab, die Straße hinunter und ließ ihn unter der Obhut meiner Frau und meines Dienstmädchens. Dann СКАЧАТЬ