Название: H. G. Wells – Gesammelte Werke
Автор: Herbert George Wells
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962813628
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»Pst!«,rief ich leise.
Er blieb, wie im Zweifel, auf dem Geländer reitend. Dann stieg er herüber und kam über den Rasen zur Ecke des Hauses. Er ging vorgebeugt und trat nur leise auf.
»Wer ist da?«, rief er im gleichen Flüsterton. Er stand unter dem Fenster und spähte herauf.
»Wohin gehen Sie?«, fragte ich.
»Gott weiß es.«
»Wollen Sie sich verstecken?«
»Jawohl.«
»Mein Gott!«, sagte er, als ich ihn hereinzog.
»Kommen Sie ins Haus«, sagte ich.
Ich ging hinab, öffnete die Tür und ließ ihn herein. Dann schloss ich die Türe wieder ab. Sein Gesicht konnte ich nicht sehen. Er war ohne Hut, und sein Rock war offen.
»Was ist denn geschehen?«, fragte ich.
»Was ist nicht geschehen?« Selbst in der Dunkelheit konnte ich sehen, wie er eine Gebärde der Verzweiflung machte. »Sie haben uns weggewischt — einfach weggewischt«, wiederholte er immer wieder.
Er folgte mir fast mechanisch ins Speisezimmer.
»Nehmen Sie etwas Whiskey«, sagte ich und schenkte ihm ein tüchtiges Glas voll ein.
Er trank es aus. Dann setzte er sich plötzlich an den Tisch, legte seinen Kopf auf seine Arme und begann zu weinen und zu schluchzen wie ein kleines Kind, in einer geradezu leidenschaftlichen Erregung. Ich stand in einer merkwürdigen Vergessenheit meiner eigenen eben empfundenen Verzweiflung voll Staunen neben ihm.
Es dauerte eine Weile, ehe er seiner Nerven so weit Herr wurde, um meine Fragen zu beantworten, und dann konnte er nur verworren und gebrochen sprechen. Er war Kutscher in der Artillerie und war erst um sieben Uhr ins Gefecht gekommen. Zu jener Zeit war das Geschützfeuer auf der Weide schon in vollem Gange. Man sagte, dass die erste Abteilung der Marsleute langsam zum zweiten Zylinder hinkroch, unter dem Schutze eines Metallschildes.
Später erhob sich dieser Schild auf ein dreifüßiges Gestell und wurde die erste jener Kriegsmaschinen, die ich gesehen hatte. Das Geschütz, das er lenkte, war bei Horsell in Stellung gebracht worden, mit dem Befehl, die Sandgruben zu bestreichen, und seine Ankunft hatte den Kampf beschleunigt. Als die Protzwagenkanoniere sich zur Nachhut begaben, trat sein Pferd in ein Kaninchenloch, kam zu Fall und schleuderte ihn in eine eingesunkene Erdstelle. Im selben Augenblick explodierte die Kanone hinter ihm, die Munition flog in die Luft, alles um ihn herum stand in Flammen und er fand sich unter einem Haufen verkohlter Leichen und toter Pferde liegen.
»Ich lag ganz still«, erzählte er, »besinnungslos vor Schrecken, das Vorderteil eines Pferdes auf mir. Wir waren weggewischt worden. Und der Geruch — guter Gott! Wie verbranntes Fleisch! Mein ganzer Rücken war wund durch den Sturz des Pferdes, und ich musste dort liegen bleiben, bis ich mich besser fühlte. Eine Minute vorher war es ganz so wie bei einer Parade gewesen — dann ein Stolpern, ein Krachen, ein Zischen!«
»Weggewischt!«, sagte er.
Lange Zeit lag er unter dem toten Pferd verborgen; nur verstohlen spähte er auf die Weide hinaus. Die Männer des Cardigan-Regiments hatten einen Sturm versucht, in Plänkelordnung,1 auf die Grube los, um einfach aus dem Leben hinausgefegt zu werden. Dann hatte sich das Ungetüm auf seine Füße erhoben und wanderte gemächlich zwischen den wenigen Flüchtigen die Weide entlang auf und ab. Dabei drehte sich seine kopfartige Bedachung nach allen Seiten, genau so wie der Kopf eines mit einer Kapuze bekleideten Menschen. Eine Art Arm trug einen komplizierten metallischen Behälter, aus dem grüne Blitze sprühten, und aus einem daran befestigten Trichter fuhr der Hitzestrahl.
Soweit der Soldat sehen konnte, war auf der Weide nach wenigen Minuten kein lebendes Wesen mehr übrig geblieben, und jeder Busch, jeder Baum, der nicht schon ein geschwärztes Gerippe war, stand in Flammen. Jenseits der Bodenerhebung waren die Husaren auf der Straße gestanden, aber er sah keine Spur von ihnen. Er hörte noch einige Zeit die Maxim-Geschütze2 rasseln, aber dann wurde alles still. Das Ungeheuer schonte den Bahnhof von Woking und die Häusergruppe um ihn bis zuletzt; dann aber wurde plötzlich der Hitzestrahl hingelenkt, und die Stadt wurde ein Haufen brennender Trümmer. Darauf schloss die Maschine den Hitzestrahl und begann, indem sie dem Artilleristen den Rücken wandte, gegen das glühende Fichtengehölz zu watscheln, das den zweiten Zylinder barg. Im selben Augenblick erhob sich ein zweiter glitzernder Titan aus der Grube.
Das zweite Ungetüm folgte dem ersten, und dann erst begann der Artillerist sehr behutsam, über die heiße Heideasche hin nach Horsell zu kriechen. Es gelang ihm, lebend bis zu einer Pfütze im Straßengraben zu gelangen, und so entkam er nach Woking. Von da an bestand sein Bericht nur aus wirren Ausrufen. Durch den Ort zu kommen war unmöglich. Nur wenige Leute schienen noch am Leben zu sein, die meisten waren wahnsinnig, viele mit Brandwunden oder halbverbrüht. Er ging um das Feuer herum, und verbarg sich unter einige, fast versengend heiße Trümmer zerborstenen Mauerwerks. Da kehrte eines der Marsungeheuer zurück. Er sah, wie es einen Mann verfolgte, ihn mit einem seiner stählernen Fühler ergriff und seinen Kopf gegen den Stamm einer Fichte schmetterte. Endlich, nach Einbruch der Nacht, lief der Artillerist in eiliger Hast zum Bahndamm und gelangte glücklich hinüber.
Seitdem hatte er sich weiter gegen Maybury zu fortgeschlichen, in der Hoffnung, weiteren Gefahren zu entrinnen, wenn er die Richtung nach London einschlug. Die Leute hielten sich in Gräben und Kellern verborgen, und viele der Überlebenden hatten sich nach Woking Village und Send aufgemacht. Der Mann war fast verschmachtet vor Durst, bis er endlich in der Nähe des Brückenbogens der Eisenbahn ein geborstenes Wasserrohr entdeckte, aus dem das Wasser wie aus einer Quelle sich auf die Straße ergoss.
Das war der Bericht, den ich Stück für Stück aus ihm herausbekam. Während des Erzählens СКАЧАТЬ