Название: Al Capone Staffel 1 – Kriminalroman
Автор: Al Cann
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Al Capone Staffel
isbn: 9783863775209
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»Es muß ja nicht heute sein«, hörte sie die Stimme des Mannes wie aus weiter Ferne kommen, »absolut nicht, Miß – ich will ehrlich sein, ich kenne Ihren Namen. Ich bin Ihnen eines Morgens gefolgt bis in die 77th Street, und dann habe ich den Pförtner in Ihrem Kontorhaus gefragt. Seitdem weiß ich, daß Sie Miß Ireen Moreland sind.«
Da nahm die junge Frau denn doch den Kopf herum und blickte den Mann forschend an.
Er sah wirklich nicht sonderlich gut aus. Der Hut schien zu klein zu sein, das Haar war sicher schon lange nicht mehr geschnitten worden, und die Brille war viel zu groß; die Augen wirkten riesenhaft darin und hatten etwas Verschwommenes. Aber waren sie ihr vorhin im Bus nicht noch geheimnisvoll vorgekommen? Hatte sie nicht gespürt, daß etwas Anziehendes von diesem Männergesicht ausging, etwas, das sie beeindruckte? Doch, so war es gewesen! Nur das kleine Papierstück in ihrer Tasche trug die Schuld daran, daß sie plötzlich alles in einem anderen Licht sah.
Oder war es vielleicht kein Zufall? Sprach der Mann sie bewußt an? Wußte er etwas von dem, was sich vor knapp sieben Minuten ereignet hatte? Ahnte er etwas von dem Reichtum, der da auf sie zukam?
Aber dann verwarf sie den Gedanken wieder. Es war ja Unsinn. Er konnte gar nichts davon ahnen oder wissen. Denn das Los hatte der Verkäufer aus der großen Trommel herausgeholt und ihr zugeschoben. Es hätte irgendein x-beliebiges anderes sein können, eines der vielen zusammengefalteten Briefchen. Aber es war das gewesen, was sie jetzt in der Tasche trug; und sie hatte es erst drüben unter der Laterne geöffnet. Er konnte gar nicht wissen, was darauf stand.
»Seien Sie nicht böse«, hörte sie da wieder die weiche, wohlklingende Stimme des Mannes, »wenn Sie nichts gewonnen haben.« Seinen Worten folgte ein kleines Lachen, das aber jäh abbrach. »Da gewinnt man doch nie etwas. Aber ich fand es trotzdem nett, daß Sie ein Los genommen haben. Menschen, die hoffen, sind gute Menschen. So steht es in irgendeinem Drama von Shakespeare.« Wieder das kleine Lachen.
Er las Dramen von Shakespeare und beobachtete die Menschen.
Er war ihr sogar bis hinunter in die 77th Street gefolgt; bis zum Chekman-House, wo er den Pförtner nach ihr gefragt hatte.
Und schon seit dem Ende des Sommers beobachtete er sie. Ja, sie erinnerte sich, damals in den letzten Septemberwochen hatte sie das Grüne mit den weißen Punkten zuweilen getragen. Es waren die letzten warmen Tage gewesen.
Es war das Kleid, das sie sich gekauft hatte, als sie mit Rodger hinüber nach Milwaukee gefahren war.
»Ich arbeite bei der Parker Line«, sagte der Mann da unvermittelt neben ihr.
Fünfundzwanzigtausend Dollar! Ich habe ein Vermögen in meiner Tasche. Wenn Mutter das noch hätte erleben können! Und was würde Vater für Augen machen! Auf dem schnellsten Wege würde sie jetzt nach New York fahren. Am besten morgen schon. Oder weshalb nicht noch heute?
»Parker Line? Ist das nicht eine Fluggesellschaft?« fragte sie.
»Doch, doch«, nickte der Mann, »eine große Fluggesellschaft. Natürlich nicht eine der größten. Aber es sind gute Maschinen. Der Präsident hat neulich auch eine davon benutzt.«
»Hat der Präsident nicht eine eigene Maschine?« fragte sie, ohne darüber nachgedacht zu haben, was sie sagte.
»Ja, natürlich schon; aber es kann auch einmal vorkommen, daß er ein Flugzeug der öffentlichen Linien benutzen muß. Wissen Sie, die Parker Line ist…«
Ireen Moreland hörte nicht, was der Mann weiter erzählte. Sie preßte die kleine Handtasche, in der das Los war, gegen ihre Brust und hielt sie mit beiden Händen fest. Langsam war sie neben dem Mann bis zum Rand des Bürgersteiges hergegangen. Da blieben sie stehen. Die Autos zischten so dicht vorüber, daß der Luftdruck sie berührte.
Immer noch sprach der Mann neben ihr. Plötzlich, als sie ihm das Gesicht zuwandte, zog er wieder den Hut.
»Mein Name ist übrigens Coster, Philip Coster. Meine Freunde nennen mich Phil.«
Wie alt mochte er sein? Ende der Dreißig? Vielleicht auch schon über vierzig? Aber selbst, wenn er fünfundvierzig wäre, was spielte das für eine Rolle? Er war ein Mensch, der mit ihr sprach, der Interesse an ihr hatte, der sie seit dem September beobachtete und ihr schon bis in die 77. Straße gefolgt war.
Fünfundzwanzigtausend Dollar! Ja, sie würde noch heute eine Maschine nehmen. Weshalb nicht eine von der Parker Line? Aber er würde ja doch nichts davon haben.
»Entschuldigen Sie«, sagte sie plötzlich und wandte sich ab.
»Miß Moreland!«
Nach drei Schritten blieb Ireen stehen, blickte sich über die Schulter um und sah seine großen traurigen Augen in den Brillengläsern schwimmen.
»Entschuldigen Sie, bitte«, sagte sie, »vielleicht ein andermal.«
Dann hielt sie auf den Park zu, durch dessen Bäume die Nebelschwaden über die breite Straße zogen. Es hatte an der Ecke hinter der Universität zwei Wege für Ireen Moreland gegeben: den über den Fahrdamm hinüber zu dem kleinen deutschen Café – von dessen Hochparterre man einen Blick auf die Straße hatte – und den Weg zum Park hinüber, in dessem Dunkel der Tod lauerte.
*
Sie schritt rasch aus und hatte die Anlagen bald erreicht.
Welch eine Stunde! In ihrem ersten Viertel war der Mann gekommen. Ein fremder Mensch aus dem gewaltigen Schmelztiegel Chicago. Er hatte plötzlich vor ihr gestanden und sie zu einer Tasse Kaffee einladen wollen. Im zweiten Viertel dieser Stunde war das Los gekommen. Für sie war es das große Los. Das dritte Viertel würde ein Rausch sein.
Rasch schritt sie aus, und die Gedanken jagten nur so durch ihren Kopf. Ich werde kurz nach Hause gehen, um mir das dunkelblaue Kostüm anzuziehen, und dann – natürlich, ich kann gleich drüben bei Pierrot meine hochhackigen Schwarzen abholen. Ja, und dann, dann werde ich zum Flugplatz fahren.
Zu welchem Flugplatz fuhr man da eigentlich? Das würde sich schon finden. Zunächst mußte sie ja ihren Koffer packen. Allzuviel würde sie nicht mitnehmen; wozu auch, das hatte sie ja nicht nötig. Wer Geld hatte, der brauchte keinen Koffer zu schleppen. Sicher hätte Mr. Coster dazu jetzt einen passenden Spruch von Shakespeare gewußt.
Unter diesen Gedanken hatte sie die Nähe der Anlagen erreicht, verließ den breiten Gehsteig, der hier nicht sehr belebt war, und ging, wie sie es jeden Abend tat, auf den schmalen Weg hinter den ersten Büschen des großen Parks zu. Da war die Luft etwas reiner, und es gingen nicht so viele Leute hier.
Aber der Nebel war da. In großen, schweren Wolken wälzte er sich unter den Bäumen entlang und preßte sich dem Boden entgegen.
Vielleicht frage ich tatsächlich einmal nach der Parker Line, überlegte sie.
Die letzte Viertelstunde war angebrochen – und sie wollte gleich in den ersten Minuten das Grauen bringen! Es tauchte plötzlich vor ihr auf: groß, drohend, schwarzgrau und blitzschnell.
Ein Mann! Sie fand nicht mehr die Reaktion zu einer Gegenwehr. Wie angewachsen stand sie da, СКАЧАТЬ