Название: Al Capone Staffel 1 – Kriminalroman
Автор: Al Cann
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Al Capone Staffel
isbn: 9783863775209
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Ehe sie es öffnete, blickte sie noch einmal zu dem Losverkäufer hinüber. Der hatte den Kopf wieder gesenkt, sah auf das Geld in der kleinen Schachtel unter der Glasplatte und hob dann den Kopf, um Ausschau nach neuen Kunden zu halten.
In dem Moment, in dem Ireen den Kopf senken wollte, um sich das Los näher anzusehen, blickte sie noch einmal auf. Drüben, hinter einem älteren Ehepaar, das neugierig die kleine Plastiktrommel auf dem Tisch des Losverkäufers musterte, stand der junge Mann mit dem blassen Gesicht und der dunklen Brille. Unverwandt haftete sein Blick auf ihr.
Das Mädchen schob sich mit einer verlegenen Geste eine Haarsträhne aus der Stirn und blickte dann wieder auf das Los, entschloß sich aber doch, weiterzugehen. Unter der nächsten Laterne blieb Ireen stehen und zog das Los auf. Welch sinnloser Kauf, dachte sie, als ob ich Geld zuviel hätte; wo ich doch jeden Dollar dem Vater schicken muß, dessen Genesung nur sehr zögernde Fortschritte macht. Wer hatte je in ihrer Familie etwas mit einem Los gewonnen? Doch, vor Jahren hatte Mutter einmal bei einer Tombola eine Puppe gewonnen; noch heute hatte Ireen sie in ihrem möblierten Zimmer auf der Fensterbank sitzen. Eine kleine Puppe mit strohblondem Haar, aufgeplusterten Backen und runden Kinderaugen.
Mit der Rechten hatte sie das Los aufgezogen, drehte es jetzt um – und starrte mit geweiteten Augen auf das, was da zu lesen war:
Sie haben bei der großen Lotterie der Stadt Chicago die Summe von 25.000 Dollar gewonnen!
Ganz groß und deutlich stand die Zahl da. Sie schien dem Mädchen vor den Augen verschwimmen zu wollen. Die Buchstaben begannen zu tanzen, und es sah so aus, als wollten sie über den Rand des kleinen Papierstücks auf den feuchtschimmernden Asphalt der Straße springen.
Rasch faltete Ireen das kleine Los zusammen und preßte es gegen ihre Brust.
»Fünfundzwanzigtausend Dollar…« Nein, das konnte nicht wahr sein! Das mußte ein furchtbarer Irrtum sein, ein Spuk, der sie narrte. Rasch öffnete sie das Los wieder, glättete es und hielt es so, daß das Licht der großen Peitschenlampe hart darauffiel.
25.000 Dollar! Groß und deutlich in roten Zahlen stand es da.
Ireen schloß für einen Moment die Augen und hielt den Atem an. Sie hatte das Gefühl, daß in diesem Augenblick die ganze große Stadt die Augen geschlossen und den Atem angehalten hatte – mit ihr – wegen dieses unvorstellbaren Glücks, das da so unverhofft über sie gekommen war.
»Fünfundzwanzigtausend Dollar! Lieber Gott! So viel Geld!«
Sie ging langsam weiter auf die Anlagen des Washingtonparks zu.
*
Fast zum gleichen Zeitpunkt, an dem Ireen Moreland das Chekman-House in der 77th Street verlassen hatte, trat Joseph Buster auf der großen Station Burnside, ebenfalls im Herzen Chicagos, aus der Buszentrale heraus und ging über den breiten Platz auf den Omnibus zu, den ein Kollege von ihm hinauf zur Station Englewood steuerte.
Buster war zweiundvierzig, Vater von drei Kindern, hatte schütteres Haar, eine mittelgroße, etwas zur Fülle neigende Gestalt und ein frisches Gesicht. Seit fünf Jahren wohnte er mit seiner Frau Betty oben in der 49th Street in der Nähe der Corpus-Christi-Kirche.
Er verließ die Busstation von Englewood und schritt dem Washingtonpark entgegen. Er pflegte abends an der Ecke der breiten Straße den Park zu betreten, um langsam durch ihn hindurchzuschlendern. Es waren die einzigen Minuten des Tages, in denen er frische Luft schnappen und den Geräuschen der Stadt, die einem die Nerven zersägten, für kurze Zeit entfliehen konnte. Oben an der 51th Street verließ er den Park, um zu seiner Behausung zu kommen.
Aber an diesem Tag sollte es anders sein…
*
Ireen Moreland war stehengeblieben, senkte den Kopf und blickte auf ihre Schuhspitzen, auf die sich die feuchten Nebeltropfen gesetzt hatten und das vielhundertfache Schillern der bunten Neonröhren der Bogenlampen widerspiegelten.
Fünfundzwanzigtausend Dollar! Unfaßlich! Es konnte doch gar nicht wahr sein. Sie machte plötzlich kehrt, lief zurück – und prallte mit einem Mann zusammen.
Als sie in sein Gesicht blickte, erschrak sie. Aber es war kein unangenehmer Schreck, denn der Mann, in dessen Augen sie blickte, war der gleiche, den sie schon im Bus gesehen und der auch bei dem Losverkäufer gestanden hatte.
»Entschuldigen Sie«, stammelte sie. »Es tut mir leid…, ich habe…«
Der Mann schüttelte den Kopf.
»Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen, es war meine Schuld, ich hätte aufpassen sollen«, sagte der Mann mit einer seltsam weichen Stimme und hatte den Hut abgenommen. »Ich habe mich nämlich gerade umgesehen.« Und dann sagte er zu Ireens Verwirrung: »Um ehrlich zu sein, ich hatte mich nach Ihnen umgesehen.«
»Nach mir?« fragte sie, ohne ihn anzusehen.
Sirrend und quietschend zogen die Autos über den nasse Asphalt. Der Schimmer der Bogenlampen zitterte auf der glänzenden Straße. Immer noch quollen die Nebel aus den Seitenstraßen und drüben aus dem Park heran.
»Entschuldigen Sie, Miß, daß ich Sie angesprochen habe, aber da ich nun schon einmal ehrlich war, will ich es auch weiter sein. Ich habe Sie nämlich schon seit langem gesehen. Genauer gesagt, seit dem Ende des Sommers. Damals trugen Sie ein grünes Kleid mit weißen Punkten…« Er brach ab und nahm ein Taschentuch hervor, um sich umständlich die Nase zu putzen.
Weshalb stehe ich noch hier? fragte sich Ireen, was soll ich mir das anhören? Welcher Unsinn überhaupt. Aber es war ein Mann, der zu ihr sprach, ein junger Mensch, der behauptete, Interesse an ihr zu haben. Ein Mann! Hätte sie nicht noch vor zehn Minuten – ach was, vor fünf Minuten – alles dafür gegeben, einen Menschen zu finden, der sagte, daß er wirklich ehrliches Interesse an ihr hätte?
Aber war es jetzt nicht anders? Hatte sie nicht plötzlich Geld, viel Geld? Fünfundzwanzigtausend Dollar!
Sie schob den Gedanken sofort wieder von sich. Vielleicht stimmte es ja gar nicht. Es stimmte sogar höchstwahrscheinlich nicht. Wie oft hatte eine der Frauen aus dem Büro ein Los gehabt, auf dem eine Zahl stand; und hinterher erwies es sich als irgendeine geschickte Reklame. Mrs. Toonby beispielsweise hatte auch eine Zahl auf einem Los stehen gehabt, das sie irgendwo gezogen hatte, und hinterher hieß es, man müsse abwarten, bis in einem Vierteljahr die Nummern herauskämen.
Aber auf ihrem Los war nicht nur eine Zahl, sondern es stand ganz deutlich das Wort Dollar dahinter.
Fünfundzwanzigtausend Dollar würde sie besitzen! Nein, sie schüttelte den Kopf, ohne etwas zu sagen, und der Mann bezog es auf sich.
»Verzeihen Sie«, stammelte er und hatte wieder den Hut abgenommen. »Ich wollte nur sagen – daß ich mir schon lange vorgenommen habe, Sie zu fragen, ob ich Sie nicht zu einer Tasse Kaffee einladen darf. Da drüben, sehen Sie, das ist ein kleines gemütliches deutsches Café, da sitzt man dann schön im Hochparterre und kann auf die Straße sehen.«
Man sitzt da und kann schön auf die Straße sehen, ging es durch Ireens Kopf. Na und? Was war denn das, auf diese Straße zu sehen? Die sah sie ja von hier auch. Jeden Abend sah sie sie um die gleiche Zeit in der gleichen Beleuchtung. Zu was sollte sie da noch Geld ausgeben, um sich in ein Hochparterre zu setzen, eine Tasse Kaffee zu bezahlen und die Straße zu besichtigen?
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