Grundlagen der Philosophie: Einführung in die Geschichte und die Kerndisziplinen. Bernd Waß
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СКАЧАТЬ Das liegt wahrscheinlich daran, dass wir im Alltag nur über einen unzureichend genauen Theoriebegriff verfügen. Theorien im philosophischen Sinn sind, wie oben bereits gesagt, Satz-Systeme, die aus einer endlichen Menge von wahren Aussagesätzen bestehen und die einen Gegenstandsbereich nach Grund und Folge ordnen. Sie genügen strengen wissenschaftstheoretischen und formal-logischen Anforderungen und wir sind damit im Stande, einen bestimmten Ausschnitt der Welt umfassend und genau zu erklären. Alles andere sind keine Theorien. Manche Wissenschaftler, und nicht nur Philosophen, sind davon überzeugt, dass die Hervorbringung einer Theorie in diesem Sinn, zu den größten Leistungen menschlicher Geistestätigkeit zählt. Ob alle wissenschaftlichen Satz-Systeme, die als Theorien bezeichnet werden, tatsächlich auch Theorien sind, ist zwar fraglich, dass aber jedenfalls nichts von dem, was für gewöhnlich in der Alltagssprache und bisweilen auch in populärwissenschaftlichen Darstellungen mit dem Ausdruck ›Theorie‹ bezeichnet wird, tatsächlich eine Theorie ist, das sollte, zumindest in Ansätzen, schon jetzt einsichtig sein. Wenn man also beispielsweise sagt, der Detektiv habe eine Theorie, wenn er mutmaßt, dass der Gärtner der Mörder ist, dann ist das Unsinn.

      Kehren wir zurück zum Thema: Obschon auch die Grenzziehung zwischen philosophischen und einzelwissenschaftlichen Problemen unscharf ist – viele Fragen, die früher ausschließlich im Rahmen der Philosophie behandelt wurden, wurden später von den Einzelwissenschaften aufgegriffen und einzelwissenschaftliche Forschungsergebnisse werfen häufig neue philosophische Probleme auf –, ist das genuin philosophische Problemfeld, von dem oben bereits die Rede war, nichtsdestoweniger ein entscheidender Drehpunkt. Von hier aus haben sich nämlich die Kerndisziplinen der Philosophie entwickelt, vermittelst derer man es schließlich in seiner ganzen Breite zu vermessen vermag: Logik, Erkenntnistheorie (bzw. Epistemologie), Metaphysik und Ethik.

      Da sich diese Einteilung von alters her durchgesetzt hat und es kein Studium der Philosophie gibt, das auf eine tiefenscharfe Beschäftigung mit Logik, Erkenntnistheorie, Metaphysik und Ethik verzichten könnte, soll sie im Folgenden auch uns als Wegweiser dienen, um den Überblick zu behalten. Allerdings: Es darf nicht verschwiegen werden, dass es sich hierbei im Wesentlichen um die abendländische Philosophie handelt. In der fernöstlichen Philosophie beispielsweise, insbesondere in der Philosophie des Buddhismus, finden sich ganz andere Einteilungen des philosophischen Denkens.11 Im Verlauf der weiteren Betrachtungen werden wir uns aber ausschließlich mit der abendländischen Philosophie beschäftigen. Das hat zwei Gründe: Erstens würde die Behandlung auch der fernöstlichen Philosophie den Rahmen dieser Einführung sprengen und zweitens sind wir mit diesem Gebiet schlichtweg nicht in dem dafür notwendigen Ausmaß vertraut.

      Nun: Bevor wir mit der eigentlichen Arbeit beginnen, wollen wir uns im Rahmen dieses ersten Kapitels zunächst noch darüber unterhalten, was man sich unter Logik, Erkenntnistheorie, Metaphysik und Ethik eigentlich vorzustellen hat. Darüber hinaus gilt es der Tatsache Rechnung zu tragen, dass auch in der Philosophie die Spezialisierung immer weiter voranschreitet, sodass sich ein kurzer Abriss dieser Entwicklung empfiehlt. Zu guter Letzt wenden wir uns noch der Unterscheidung von Theoretischer Philosophie und Praktischer Philosophie sowie Analytischer Philosophie und Kontinentalphilosophie zu.

      1.1 Logik – eine erste Begegnung

      Unter dem Ausdruck ›Logik‹ verstand man lange Zeit die Lehre von Begriff, Satz und Schluss. Ein Verständnis, das auf Aristoteles zurückgeht. Im Organon, in dem die aristotelischen Schriften zur Logik zusammengefasst sind, unterscheidet Aristoteles explizit zwischen der Lehre vom Satz, der Lehre vom Schluss oder Erste Analytik und der Lehre vom Beweis oder Zweite Analytik.12 Heute versteht man unter ›Logik‹ meist nur noch die Lehre vom Schluss oder genauer: die Lehre vom folgerichtigen Denken bzw. von den gültigen Argumenten, während die Lehre von Begriff und Satz der Sprachphilosophie bzw. der Wissenschaftstheorie zugeordnet sind.

      Das erste System der Logik, die sogenannte ›Syllogistik‹, wurde von Aristoteles entwickelt. Aristoteles erkannte als Erster, dass die Gültigkeit eines Schlusses (bzw. Arguments) ausschließlich von seiner Form, nicht aber vom Inhalt der darin vorkommenden Sätze abhängt. Das war eine Entdeckung von so immenser Tragweite, dass die aristotelische Syllogistik, speziell das formalisierte System der Schlüsse aus assertorischen Urteilen, immer noch als ein Meisterstück gilt.13 Die Liste der Bewunderer ist lang. So schreibt etwa Immanuel Kant, in der Vorrede zur ›Kritik der reinen Vernunft‹, dass die Logik des Aristoteles „allem Ansehen nach geschlossen und vollendet zu sein scheint“.14 Ähnlich äußerte sich auch Hegel. Für ihn bestand kein Zweifel daran, dass Aristoteles nicht nur die Logik als Wissenschaft begründete, sondern schon soweit vollendete, „daß in der ganzen folgenden Geschichte der Philosophie nie eine andere erwähnt werden kann, [denn] seit Aristoteles’ Zeiten hat die Logik keine Fortschritte gemacht.“15 Auch Leibniz bewunderte das mathematische Treiben auf nicht mathematischem Gebiet. Das hält sich bis in die Gegenwart durch. Noch bei Ingemar Düring liest man: „Die aristotelische Syllogistik stellt eine Schlußtheorie auf axiomatischer Grundlage dar von noch strengerem Charakter als die Geometrie Euklids“.16 Tatsächlich gibt es in der zweieinhalbtausendjährigen Entwicklungsgeschichte der Logik nur zwei Denker, die in dieser Hinsicht alle anderen überragen: der bereits genannte Aristoteles und der noch nicht genannte Gottlob Frege. Durch Frege beginnt 1879, mit der Veröffentlichung seines ersten Hauptwerks ›Begriffsschrift – ein der arithmetischen nachgebildete Formelsprache des reinen Denkens‹, die Entwicklung der modernen oder auch mathematischen Logik, wie wir sie heute kennen. Den Kern dieser Logik bildet die Aussagen- und Prädikatenlogik. Die Aussagenlogik befasst sich mit den logischen Beziehungen zwischen Aussagen, die Prädikatenlogik analysiert darüber hinaus auch die (innere) logische Struktur solcher Aussagen. Auf die Aussagen- und Prädikatenlogik bauen dann die verschiedenen, sogenannten ›speziellen philosophischen Logiken‹ auf, wie etwa die Modallogik (die sich mit der Logik von Möglichkeit und Notwendigkeit befasst), die Epistemische Logik (die sich mit der Logik des Wissens befasst) oder die Normen- bzw. Deontische Logik (die sich u. a. mit der Beziehung zwischen Normsätzen, d. h. Sätzen, die Gebote, Verbote oder Erlaubnisse ausdrücken, befasst). Die Logik, jedenfalls die elementare Logik, dazu gehören Aussagen- und Prädikatenlogik, ist eine vollständige und widerspruchsfreie Theorie des folgerichtigen Denkens. Den wichtigsten Grundlagen dieser Theorie, insbesondere ihrem Fundament, der Aussagenlogik, werden wir in Kapitel 3 begegnen. Unser Ziel ist es, die Quintessenz der philosophischen Logik aufzuzeigen und ihren Wert für das korrekte und präzise Denken greifbar zu machen.

      1.2 Erkenntnistheorie – eine erste Begegnung

      Das Grundproblem der Erkenntnistheorie lautet: Wie ist uns die Welt gegeben und wie können wir sie, wenn überhaupt, erkennen? In der Beantwortung dieser Frage geht es um alltägliche und wissenschaftliche Erkenntnis, um Erkenntnis einzelner Tatsachen und allgemeiner Gesetze, um Erkenntnis durch Erfahrung oder durch Vernunft, um Erkenntnis der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ebenso, wie um moralische, religiöse oder philosophische Erkenntnis. Anstatt von Erkenntnis spricht man in der Erkenntnistheorie auch von Wissen. „Wenn die Erkenntnistheorie einen einzigen Grundbegriff hat, dann ist es der des Wissens […]. Alle ihre zentralen Fragen haben in mehr oder weniger direkter Weise mit Wissen zu tun.“17 Dabei geht es aber immer, um menschliches Wissen. Zwar soll „nicht prinzipiell ausgeschlossen werden, dass auch andere Wesen über Wissen verfügen könnten (Tiere, Maschinen). Der primäre Fall ist aber der des menschlichen Wissens“18. Nun befasst sich aber nicht nur die philosophische Erkenntnistheorie mit Wissen und Erkenntnis, sondern auch die sogenannte ›Kognitionswissenschaft‹, wozu man Psychologie, Neurowissenschaft, Teile der Biologie und die Künstliche-Intelligenz-Forschung zählt, sodass sich die Frage stellt, wodurch sich die philosophische Beschäftigung mit Erkenntnis von der einzelwissenschaftlichen Beschäftigung mit Erkenntnis unterscheidet: „Eine zumindest anfänglich sehr plausible Antwort besagt, dass die Philosophie nicht – wie die erwähnten Wissenschaften – empirisch vorgeht. Anders als die erwähnten Wissenschaften interessiert sie sich für die СКАЧАТЬ