Kornblumenjahre. Eva-Maria Bast
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Название: Kornblumenjahre

Автор: Eva-Maria Bast

Издательство: Автор

Жанр: Триллеры

Серия:

isbn: 9783839246641

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СКАЧАТЬ den Weißen Terror der Gegner und der Terror sei ihnen durch die Interventionen der kapitalistischen Staaten aufgezwungen worden.

      Doch irgendwann hatte Irina so sehr hungern müssen, dass sie zu ihren Eltern aufs Land floh. Und da lernte sie Lenin von einer ganz anderen Seite kennen. Plötzlich schämte sie sich vor ihren Eltern, die ihr Leben lang hart gearbeitet hatten, dafür, eine Bolschewikin zu sein. Denn die Bolschewiki verlangten von den Bauern, ihre Ernte billig an den Staat abzugeben. Irina wurde Zeugin der Wut ihrer Eltern, wurde Zeugin, als Lenins Truppen gegen den Widerstand der Bauern mit Waffengewalt vorgingen und zahlreiche Menschen starben. Sie wurde Zeugin der unendlichen Trauer in dem Dorf, in dem ihre Eltern lebten. Und sie dachte verwundert, dass das ja genau die gleiche Wut war wie die, die sich damals gegen den Zaren gerichtet hatte. Sie hatte gedacht, die Bolschewiki kämpften für Gerechtigkeit. Für Frieden, Land und Brot. Wie hatte sie sich doch getäuscht! Abend für Abend hörte sie sich die Wut ihres Vaters an, erlebte, wie er seine Anbauflächen verkleinerte, damit sie ihm weniger wegnehmen konnten. Doch die Regierung richtete Parteikomitees ein, die die Bauern zur Aussaat zwangen. Die Bauern tobten, revoltierten – und töteten ihre Peiniger. Nach dem Ende des Bürgerkriegs 1920 brach die Regierung den Widerstand: Sie erschoss die Konterrevolutionäre, rund 50.000 Bauern landeten in den Konzentrationslagern von Tambow, und die Rote Armee setzte Gasbomben ein, um die Aufständischen, die sich in den Sümpfen versteckt hielten, auszuräuchern. Irina hatte mit ihrer Mutter in diesen Sümpfen gesessen, ihren Vater hatte man schon vor langer Zeit ins Konzentrationslager verschleppt. Als die Mutter über Umwege die Nachricht erreichte, der Vater sei zu Tode gefoltert worden, starb sie wenige Monate später vor Kummer. Irina hielt ihre Hand, als sie den letzten Atemzug tat – und sie fühlte sich vollkommen leer, als sie ihrer Mutter sanft über das Gesicht strich und ihr für immer die Augen schloss. Ihre Eltern gehörten zu den unzähligen Opfern des Bürgerkrieges, die nicht erfasst wurden. Erfasst waren nur die rund 770.000 gefallenen Soldaten.

      Es dauerte ein Jahr, bis Irina weinen konnte. Wie erstarrt ging sie nach Petrograd zurück, erzählte der Oberschwester in dem Krankenhaus, in dem sie vor ihrer Flucht aufs Land gearbeitet hatte, emotionslos, was geschehen war, ließ sich in ihre mitfühlende Umarmung ziehen und verharrte dort für Minuten. Danach nahm sie ihre Arbeit wieder auf.

      Über zwei Jahre war das nun her, und langsam, ganz langsam regte sich in Irina wieder so etwas wie Leben. Immer öfter dachte sie an ihre deutschen Freunde. Johanna und Luise, denen sie damals im Krieg bei der Flucht aus Russland geholfen hatte. Und Karl, ebenfalls ein deutscher Flüchtling. Karl hatte sie wirklich geliebt. Sie hatte ihn verlassen, weil sie glaubte, in Russland gebraucht zu werden, ihrem Land, Lenin, etwas schuldig zu sein. Wie dumm war sie doch gewesen!

      10. Kapitel

      Überlingen, Bodensee, 23. Januar 1923

      Sophie hatte Angst. Sie war mit Raphael alleine im Haus. Ihr Vater, der Schuldirektor, hielt sich noch in der Schule auf, Helene war wieder nach Konstanz gefahren, und Johanna und Sebastian hatten sie begleitet. Johanna wollte mit ihrer Mutter die Säuglingsausstattung ansehen, die sie nach der Geburt ihres Sohnes Robert im elterlichen Haus eingelagert hatte. Sophie nahm mit ihrem Sohn ein karges Abendmahl ein und schickte ihn dann ins Bett. Die ganze Zeit über wurde sie das Gefühl eines drohenden Unheils nicht los.

      Bewegte sich dort im Garten nicht etwas? Waren da nicht Stimmen zu hören?

      Sie ging unruhig im Haus auf und ab und knipste alle Lichter an, umklammerte das Notizbüchlein – in dem verzweifelten Versuch, die Angst zu vertreiben. Dann spähte sie vorsichtig durch die kleine Scheibe in der Haustür in den Garten hinaus. Unzählige Schatten schlichen dort herum, dessen war sie sich jetzt ganz sicher, und sie spürte, wie sich ihr die Kehle zuschnürte. Ich stelle mich schon an wie Helene!, schalt sie sich. Was ist nur mit mir los?

      Sie zwang sich, zurück ins Wohnzimmer zu gehen, und setzte sich aufs Sofa.

      Als sie ein Geräusch an der Tür hörte, schreckte sie hoch. Aber es war nur ihr Sohn, der dort stand.

      »Raphael, was ist los?« Sie hoffte, dass er ihre Aufregung nicht bemerken, den hysterischen Klang ihrer Stimme nicht wahrnehmen würde. »Warum bist du nicht im Bett?«

      »Ich konnte nicht schlafen, Mutter«, flüsterte Raphael schüchtern und schlang seine kleinen Hände fest ineinander, als wolle er sich selbst Halt geben. »Ich habe so ein komisches Gefühl … ich … ich fürchte mich.«

      Sophie holte tief Luft. Ihr Sohn spürte es also auch. Oder waren es lediglich ihre eigene Angst und Unruhe, die sich auf den Jungen übertrugen?

      Sie klopfte neben sich aufs Sofa. »Du musst dich nicht fürchten, mein Schatz«, sagte sie fest. »Komm her, setz dich zu mir.«

      Raphael, erleichtert, dass sie ihn nicht mit scharfen Worten wieder ins Bett geschickt hatte, ging durchs Wohnzimmer und nahm neben seiner Mutter Platz.

      Sophie legte ihre Arme um ihn und zog ihn an sich. Auch ihr war wohler dabei, nicht alleine zu sein.

      »Es kommt dir nur komisch vor, dass all die anderen nicht da sind«, erklärte sie. »In einem Haus, in dem sonst immer so viele Menschen sind, ist es einem nun mal unheimlich, wenn man allein ist. Vor allem nachts.«

      Raphael nickte und kuschelte sich tiefer in Sophies Arme. »Jetzt habe ich schon gar keine Angst mehr, Mutter«, sagte er glücklich. »Jetzt, wo ich bei dir bin.«

      Wenig später war er eingeschlafen.

      Aber Sophie konnte nicht schlafen. Die Angst hatte sie nach wie vor fest im Griff und sie lauschte mit angehaltenem Atem in die Stille.

      Als der Stein durch die Fensterscheibe schlug, zuckte sie erschreckt zusammen. Raphael wachte auf und fing an zu schreien. »Was ist das, Mutter?«

      Aber Sophie antwortete nicht mehr. Der Stein hatte sie direkt an der Schläfe getroffen.

      11. Kapitel

      München, Bayern, 23. Januar 1923

      Marlene fühlte sich herrlich erwachsen. Es war das erste Mal, dass sie alleine, ohne die Eltern, verreiste. Aufgeregt spähte sie aus dem Zugfenster, draußen flog die Landschaft vorbei, wenig später fuhr der Zug in den Münchner Hauptbahnhof ein, wo Lisbeth, ihre vier Jahre ältere Freundin aus Kindertagen, sie schon erwartete. Lisbeth war vergangenes Jahr mit ihren Eltern nach München gezogen und wollte nun heiraten. Marlene reiste an, um bei den Hochzeitsvorbereitungen zu helfen, am Brautkleid mitzuarbeiten, und sie war furchtbar aufgeregt.

      Am Münchner Bahnsteig flog sie in Lisbeths Arme.

      »Wie schön, dass du da bist, Lenchen«, sagte Lisbeth zärtlich. »Ich habe dich so vermisst. Lass dich anschauen.« Sie löste sich aus der Umarmung und schob Marlene ein Stückchen von sich weg. Musterte das seidige blonde Haar der Freundin, das ihr in weichen Wellen auf die Schultern fiel, die rosigen Wangen. »Wie hübsch und erwachsen du geworden bist«, sagte sie.

      »Du aber auch.« Marlene strahlte. Wegen des Kompliments, vor Freude, die Freundin wiederzusehen, und vor lauter Aufregung. »Wie schick du bist. Eine richtige Städterin. Und nun wirst du also heiraten. Ich kann es kaum glauben.«

      »Ich auch nicht!«, lachte Lisbeth und hakte sie unter. »Aber nun komm. Wir haben es nicht weit bis nach Hause. Ist das alles, was du an Gepäck dabei hast?« Sie deutete auf den kleinen Koffer, der neben Marlene auf dem Bahnsteig stand.

      Die nickte verlegen. »Du weißt, wie das heutzutage ist, man hat ja nichts mehr. Und jetzt, wo die Franzosen das СКАЧАТЬ