Kornblumenjahre. Eva-Maria Bast
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Название: Kornblumenjahre

Автор: Eva-Maria Bast

Издательство: Автор

Жанр: Триллеры

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isbn: 9783839246641

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СКАЧАТЬ wieder vor ihm weinen. Diesmal nicht.

      »Geh doch nach Deutschland«, sagte sie mit gepresster Stimme. »Geh zu den Verrätern.«

      »Wieso Verräter?«

      »Nun, sie halten sich nicht im Mindesten an die Bedingungen des Versailler Vertrags. Mit ihren Kohlelieferungen sind sie ganz schön hinterher.«

      »Sie können nicht anders, Michelle. Sie haben wahrscheinlich nichts mehr, was sie uns geben können.« Kalt fügte er hinzu: »Und seit wann interessierst du dich überhaupt für Politik? Es geht dir doch nur darum, Sophie eins auszuwischen.«

      »Mein Gott, bist du gutgläubig!«, zischte Michelle. »Wahrscheinlich verherrlichst du das Land, weil deine Sophie eine Deutsche ist. Denk daran, was die Deutschen uns alles angetan haben im Krieg. Sie sind Banausen! Wilde!«

      Pierre schwieg. An seiner Schläfe pochte eine Ader. Sie redet wie meine Mutter, dachte er angewidert. Ich hätte sie für klüger gehalten.

      Michelle sah ihm seine Wut an und provozierte ihn bewusst. »Es ist schon ganz gut, dass unsere Truppen jetzt im Ruhrgebiet einmarschieren. Denen muss mal wieder gezeigt werden, wer hier das Sagen hat.«

      Pierres Augen verengten sich. Sie weiß genau, dass mir die Besetzung des Ruhrgebietes nicht gefällt, dachte er. »Du wirst immer mehr wie deine Mutter«, sagte er kalt. »Du tust mir leid.« Damit drehte er sich um und verließ das Zimmer.

      Als die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen war, sank Michelle auf einen der Korbsessel und ließ den lange zurückgehaltenen Tränen freien Lauf. Sie spürte, dass sie ihn nun ganz verloren hatte. Bisher hatte er sie zwar nicht geliebt, aber zumindest doch respektiert. Nun war auch das letzte bisschen Achtung verschwunden, und Michelle hatte niemanden mehr. Sie war ganz alleine auf der Welt.

      6. Kapitel

      Essen, Ruhrgebiet, 12. – 20. Januar 1923

      Sie sperrten Siegfried in eine Zelle, in die bereits viele andere Männer eingesperrt waren, und ohne es zu wissen, hatte er die gleiche Empfindung wie seine Frau am Tag zuvor: dass die Luft brannte. Auch hier schlug die Empörung wellenartig hoch über den Köpfen der Inhaftierten zusammen, man badete darin, fühlte Patriotismus, Zusammengehörigkeit. Die meisten Männer waren wegen ähnlicher Vorkommnisse wie Siegfried festgenommen worden. Unter den Gefangenen waren auch viele höhere Beamte und Offiziere, die sich französischen Befehlen widersetzt hatten. Aufgeregt empfingen sie Siegfried, fragten ihn aus, was er denn getan habe, und nachdem er Bericht erstattet hatte, streckte ihm einer, der sich als Hannes Meinchen vorstellte, die Hand entgegen. »Freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen«, sagte er. »Ich habe ein Hotel und mich selbstverständlich geweigert, einen französischen Offizier zu bedienen. Der meinte doch tatsächlich, er würde bei mir einen Kaffee bekommen.« Er lachte laut und siegesgewiss.

      Siegfried grinste zurück. Der Mann wirkte distinguiert und selbstbewusst. Natürlich bediente er keinen französischen Offizier! Sicherlich war er hocherhobenen Hauptes in das Gefängnis geschritten und hatte nicht, wie Siegfried mit seinem Stummelbein, Mühe gehabt, das Gleichgewicht zu halten, um ihnen wenigstens diesen Triumph nicht zu gönnen: ihn stolpern und fallen zu sehen. Verschämt schob Siegfried sein gesundes Bein vor den Stumpf. Hannes Meinchen mit seinen wachen Augen bemerkte es sofort und deutete mit dem Kinn darauf. »Kriegsverletzung, nicht wahr?«

      Siegfried zuckte zusammen. Es war lange her, dass ihn jemand auf sein fehlendes Bein angesprochen hatte. In der Familie schwieg man das Thema tot, weil man wusste, wie empfindlich Siegfried darauf reagierte. Das Totschweigen aber war für ihn nur ein weiterer Beweis dafür, dass sie ihn für seine Verstümmelung verachteten, ihn als Versager ansahen. Das Trauma saß tief und war an den Rändern verhärtet, hatte Schorf angesetzt, niemand, schon gar nicht die Familie, war in der Lage, diese Ränder, diesen Schorf zu durchdringen. Und keiner merkte, dass eben nur die Ränder des Traumas verhärtet waren und Siegfried innerlich stark blutete. Und blutete. Und blutete, ja drohte, in der Flut des Blutes zu ertrinken.

      Und nun kam Hannes Meinchen einfach daher und sprach ihn darauf an. Als wäre es die normalste Sache der Welt. Siegfried wurde rot und warf hastig einen Blick in die Runde, es war ihm peinlich, dass der Hotelier so deutlich darauf hingewiesen hatte. Doch keiner beachtete sie. Die anderen hatten ihre Gespräche längst wieder aufgenommen, niemand zeigte mehr Interesse an dem Neuzugang.

      Hannes Meinchen war ein kluger Mann. Mit einem Blick erkannte er Siegfrieds Dilemma. »Sie sind ein Held«, sagte er leise. »Ein wahrer Held.«

      Siegfried hob den flackernden Blick, sah Meinchen zaghaft ins Gesicht. Der nickte bekräftigend. »Ich meine das sehr ernst«, erklärte er und setzte sich auf eine der schmalen Pritschen. Siegfried ließ sich neben ihm nieder, dankbar, nicht der Erste zu sein, der sich setzte und damit seine Schwäche eingestand. Dass Meinchen so weit in ihn hineinblicken konnte, dass er auch das begriff und aus diesem Grund als Erster Platz genommen hatte, ahnte er nicht.

      »Sie sind ein Held«, wiederholte Hannes Meinchen. »Nicht nur, weil Sie Ihr Bein im Krieg verloren, es geopfert haben für das Vaterland. Sondern auch, weil Sie dem Besatzer Widerstand geleistet haben. Wie wir alle hier.« Er machte eine vage Bewegung in den Raum, wo sich die anderen Gefangenen inzwischen ebenfalls auf den Pritschen niedergelassen hatten und die Ereignisse weiterhin eifrig diskutierten.

      Meinchen wandte sich wieder zu Siegfried um und starrte ihm in die Augen. »Wer ein Held ist, hat Verantwortung«, erklärte er, »Verantwortung für unser Vaterland.«

      »Wie meinen Sie das?«, fragte Siegfried. Ein klitzekleines Bläschen platzte in seinem Unterbewusstsein und setzte eine bittere Warnung frei. Doch die Warnung stieg nur als winzige Ahnung bis in sein Bewusstsein empor, er beachtete sie nicht, weil das, was er hier hörte, aufregend war. Weil es ihm eine Bedeutung gab. Weil es Balsam für die Wunden war, die nun schon seit Jahren einfach nicht heilen wollten.

      Hannes Meinchen, der Kluge, wusste genau, was in Siegfried vorging. Die, die ihn gut kannten, sagten, er besitze ein außergewöhnliches psychologisches Gespür. Und sie sagten, dass er es verstehe, sein Gegenüber innerhalb kürzester Zeit intuitiv zu erfassen und es besser zu verstehen als der Betreffende sich selbst.

      »Was machen Sie beruflich, Herr Seiler?«, fragte er höflich, obwohl er es wusste. Die Kleidung wies Siegfried ganz deutlich als Arbeiter der Krupp-Werke aus.

      »Ich arbeite bei den Krupp-Werken«, sagte der auch erwartungsgemäß.

      Hannes Meinchen nickte sehr langsam und sehr bedeutungsvoll.

      »Kündigen Sie!«

      »Wie bitte?«, Siegfried starrte ihn an.

      »Sie verschleudern doch Ihre Fähigkeiten!« Meinchen musterte ihn eindringlich. »Ein Mann wie Sie ist doch kein Arbeiter! Sie sind ein gebildeter Mann, ein Offizier, das sehe ich Ihnen doch an.«

      Hier pokerte Meinchen. Er wusste nicht, ob Siegfried tatsächlich aus gutem Hause war, vermutete es nur anhand seiner völlig dialektfreien Sprache. Aber selbst wenn er sich täuschen sollte, würden diese Worte das zerstörte Selbstbewusstsein dieses Mannes ungemein stärken. Und darauf kam es am Ende an.

      »Da haben Sie recht«, bestätigte Siegfried. Und fügte dann, zutiefst geschmeichelt, hinzu: »Ich hätte nicht gedacht, dass man mir das so deutlich anmerkt.«

      »Aber ich bitte Sie!«, rief Meinchen. »Das merkt man sofort! Darf ich fragen, was Sie gemacht haben, bevor Sie hierherkamen?«

      »Nun«, СКАЧАТЬ