Ägypten. Juergen Stryjak
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Название: Ägypten

Автор: Juergen Stryjak

Издательство: Bookwire

Жанр: Путеводители

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isbn: 9783862844791

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СКАЧАТЬ auf Matratzen. Da drüben steht noch der Schrank, in dem wir alle unsere Sachen hatten«, er zeigt in eine Ecke des Raumes und lacht, »der Revolutionsschrank gewissermaßen. Mohamed Hashem, mein Verleger, hat Unmengen an Lebensmitteln und Decken herbeigeschafft. Wir halfen ihm, das alles zum Platz zu bringen. Wahrscheinlich hat er fast sein gesamtes Geld dafür ausgegeben.«

      Mostafa Ibrahim schrieb damals ein Gedicht, das mehr als hunderttausend Mal im Internet angeklickt wurde. Es heißt »Safinet Noh«, auf Deutsch »Arche Noah«. Damit ist der Tahrir-Platz während der Revolution gemeint, der damals 2011 gewissermaßen all jene aufnahm, die nach dem Untergang des Mubarak-Regimes ein neues Leben und ein neues Land aufbauen wollten:

      »O Volk das nicht länger verharrte / Nimmst das Recht in Deine Hände / O Heimat die uns keinen Platz bot / Wir sind es, die Dich nun aufnehmen / Das Blut ist von einer einzigen Farbe / kennt weder Knecht noch Herrn / Verratet Ihr das Blut des Märtyrers / Habt Ihr Euch morgen selber verraten.«

      Das klingt pathetisch, spiegelt aber genau das wider, was viele empfanden. Damals begegneten mir ständig Ägypterinnen und Ägypter, die sich zum ersten Mal im Leben nicht mehr an den Rand der Gesellschaft gedrängt und fremd im eigenen Land fühlten.

      Drei Tage später, am 11. Februar 2011, treffe ich abends kurz nach 17 Uhr am Präsidentenpalast im Stadtteil Heliopolis ein, wo sich rund 20 000 Demonstranten versammelt haben. Ich spreche mit Leuten, schaue mir das Treiben an, als plötzlich um 18.02 Uhr die Menschen unruhig werden. Langsam braust Jubel auf, der immer lauter wird. Eine junge Frau neben mir greift zum Handy und ruft eine Freundin an. »Was? Er ist zurückgetreten?«, schreit sie ins Telefon. »Mubarak ist nicht mehr Präsident? Ägypten, endlich ist Ägypten frei – nachdem uns dieser Verbrecher 30 Jahre lang fast erstickt hat!«

      Die rund zehn Kilometer zurück ins ARD-Studio unweit des Tahrir-Platzes muss ich laufen. Der Verkehr ist zusammengebrochen, auf allen Straßen feiern Leute. Aus einem Hotel bringen Kellner Tabletts voller Gläser mit Zitronensaft raus auf die Straße und verschenken ihn. Alle paar Meter klopft mir einer auf die Schulter oder umarmt mich. »Ich bin so froh, dass Mubarak endlich weg ist«, schwärmt eine Ägypterin, »ich erwarte, dass jetzt erstmal die Armee übernimmt und für etwas Ordnung sorgt.« Als ich gegen 23 Uhr im Studio eintreffe, schickt mir mein ägyptischer Freund ein Selfie. Es zeigt ihn auf einer Nil-Brücke, die zum Tahrir-Platz führt. Im Hintergrund ist mein Bürogebäude zu sehen, auf dem Dach die riesige Leuchtreklame einer Immobilienfirma mit dem Slogan: »Better home«. Unter das Foto schreibt er: »Jetzt ist Ägypten wirklich ein besseres Zuhause.«

      Viele Ägypter sind stolz. Die Tahrir-Revolution wird überall auf der Welt bewundert und findet später Nachahmer. In Barcelona zum Beispiel oder in Tel Aviv wird bei Massenprotesten der Geist des Tahrir-Platzes beschworen. Walk like an Egyptian, so heißt es plötzlich bei Demonstrationen auf anderen Kontinenten. Kurz nach dem Sturz Mubaraks, als die Euphorie noch frisch ist, wirbt der ägyptische Mobilfunknetzbetreiber Mobinil mit einem Zitat von US-Präsident Barack Obama: »Wir müssen unsere Kinder so erziehen, dass sie wie die jungen Ägypter werden.«

      Das Obama-Zitat stimmt nicht. Es findet sich nirgends ein Hinweis darauf, dass Obama tatsächlich gesagt hat, die US-Amerikaner sollten ihre Kinder so erziehen, dass aus ihnen Menschen würden, die so sind wie die jungen Ägypter – die sich gerade erfolgreich gegen ihren Autokraten erhoben hatten. Dalia Mogahed, die in Kairo geboren wurde und im Alter von vier Jahren in die USA kam, gehörte ein Jahr lang zu einem Beraterteam Obamas im Weißen Haus. In einem Interview sagte sie: »Ich glaube nicht, dass der Präsident dies wirklich gesagt hat. Der entscheidende Punkt ist, dass die Ägypter dachten, er hätte das gesagt. Es hat sie mit Stolz erfüllt.«

      Anderthalb Tage nach dem Sturz Mubaraks putzen Freiwillige den Tahrir-Platz und räumen den letzten Müll weg, Plastikflaschen, alte Decken, Pappen und Papier. Andere streichen die Bordsteine, jetzt ist es endlich ihr Land, um das sie sich kümmern wollen. Der Platz ist längst wieder für den Verkehr geöffnet. Die Demonstranten sind verschwunden, bis auf eine kleine Gruppe, die auf einer übriggebliebenen Bühne vor dem Hardees-Fastfood-Restaurant steht und Sprechchöre skandiert. Einer der letzten Demonstranten ist Aly Bilal, schätzungsweise Mitte 20. Ich frage ihn, warum er den Platz nicht verlässt. »Ich habe Angst«, erwidert er mit Tränen in den Augen. »Ich werde nicht eher zu meiner Arbeit zurückkehren, bevor ich nicht überzeugt davon bin, dass mein Land in sicheren Händen ist. Es ist noch nicht in sicheren Händen.« Den meisten Ägyptern würden Aly Bilals Ängste wohl völlig absurd vorkommen. Zu großartig erscheint ihnen der Erfolg der friedlichen Revolution. Aber dieses Gefühl basiert auf Selbsttäuschung.

       Auf dem Weg zur ägyptischen Eiszeit

      Nur wenige Jahre später erscheinen einem die Ereignisse wie aus einem uralten Geschichtsbuch. Fast nichts, zumindest nichts Positives, weist heute darauf hin, dass es die Revolution wirklich gegeben hat. Im Gegenteil, viele sind der Meinung, dass die Verhältnisse heute viel schlimmer seien als unter Mubarak. Was lief schief? Einer repräsentativen Erhebung der Meinungsforscher von Gallup zufolge haben 83 Prozent der volljährigen Ägypterinnen und Ägypter im März 2011 den Sturz Mubaraks begrüßt. Wie konnten die Energie, die Sehnsucht nach Veränderung, der Optimismus und vor allem auch der Mut so vieler Leute am Ende so wirkungslos verpuffen?

      Allerdings gab es schon am Tag des Rücktritts von Mubarak auch unter den Aktivisten Skeptiker. Die junge, linke und später international preisgekrönte ägyptische Anwältin Mahienour El-Masry erzählte zwei Jahre später dem ägyptischen Portal Ahram Online, was sie damals beim Sturz Mubaraks empfand: »Als wir erfuhren, dass nun die Armee übernimmt, da spürten wir tief in uns, dass das kein gutes Zeichen ist. Ich befürchtete, dass dies nicht das war, wofür wir gekämpft hatten.« Ihr ungutes Gefühl hatte sie nicht getäuscht. Während der Arbeit an diesem Buch, Anfang 2020, sitzt die mutige Anwältin Mahienour El-Masry bereits das vierte Mal im Gefängnis. 2014 erhielt sie den renommierten Internationalen Ludovic-Trarieux-Preis für Menschenrechte, den europäische Rechtsanwaltsorganisationen jährlich verleihen.

      Schon die Revolution war nicht friedlich gewesen. Besonders in den ersten Tagen reagierten die Sicherheitskräfte mit skrupelloser Brutalität. Rund 850 Menschen wurden im ganzen Land getötet, überwiegend Demonstranten, die meisten offenbar am »Tag des Zorns« am 28. Januar. Der Wissenschaftler Neil Ketchley wertete Zeitungsberichte und Videos aus und kam zu dem Ergebnis, dass in den 18 Tagen der Revolution landesweit mindestens 48 Polizeistationen gestürmt wurden, also jede vierte im Land. Mindestens 4000 Polizeiautos wurden von zornigen Demonstranten zerstört, schreibt Ketchley in seinem Buch »Egypt in a Time of Revolution. Contentious Politics and the Arab Spring«, das 2017 im Verlag Cambridge University Press erschien. Die Wut auf die Polizei überrascht nicht, schließlich war es der repressive Polizeistaat, von dem sich viele Ägypter Jahrzehnte lang am meisten gedemütigt und unterdrückt fühlten.

      Offenbar hatte die Revolution zwei Seiten, eine friedliche, humorvolle, einnehmende auf dem Tahrir-Platz und eine dramatische, verhängnisvolle an anderen Orten. Aber war die Revolution erfolgreich? Offenbar nicht, denn der machtvolle Volksaufstand hat zwar am Ende dazu geführt, dass Mubarak zurücktrat – oder vom Militär zum Rücktritt gezwungen wurde, bis heute ist das nicht ganz klar. Aber der Aufstand tastete die Machtstrukturen nicht wirklich an. Der Sicherheitsapparat, die Justiz, die Medien und andere, ähnlich wichtige Institutionen befinden sich weiterhin in den Händen von Vertretern des alten Regimes. Das hätte sich später ändern können, wenn nach der Revolution der Wandel und der Umbau der staatlichen Strukturen begonnen hätte. Stattdessen übergaben die Ägypter ihre Geschicke nahezu komplett dem Militär.

      Am 28. Januar 2011, bereits drei Tage nach Beginn der Proteste, fuhren abends gegen 18 Uhr Panzer der Armee vor mein Bürogebäude und blieben dort bis zum Sturz Mubaraks. Überall im Land bezogen Armeefahrzeuge an wichtigen Punkten Stellung. Es war der СКАЧАТЬ