Die Seeweite. Albert T. Fischer
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Название: Die Seeweite

Автор: Albert T. Fischer

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9783907301012

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СКАЧАТЬ der Doktor gegen 70 ging, drängte er den Pfarrer, die Redaktion des Blattes zu übernehmen, nur so könne es im bisherigen Geiste weiterleben. Pfarrer Grob wollte um keinen Preis darauf einsteigen. Er werde, wenn Johann das zulasse, die Arbeit anonym begleiten, aber es sei wichtig, dass Johann für die Zeitung einstehe und der Pfarrer im Hintergrund bleibe. Der Doktor sah die Schwierigkeit des Jüngeren und behielt seinerseits das Blatt auch durch seine letzten Lebensjahre im Auge. Johann bewältigte die inzwischen doch sehr alltäglich gewordene Arbeit mit Gelassenheit, liess sich von Pfarrer Grob in schwierigen Fragen gerne führen und akzeptierte auch die gelegentlich etwas überzogenen Voten des alternden Doktors, der 1934 beinahe 80-jährig, starb. Das Blatt wandelte sich in diesen frühen 30er Jahren mehr und mehr zu einem recht beliebten, moderaten Spiegel lokaler Angelegenheiten.

      Durch die Erbschaft aus Doktor Müllers Nachlass und mit Hilfe der Regionalbank wurde es Johann Pfister möglich, die gestreuten «Seespiegel»-Aktien aufzukaufen, zumal einige seiner Kunden und Aktionäre über Jahre eine schwierige Konjunktur erlebt und diese Aktien in solch schwierigen Zeiten nie nennenswerte Dividenden abgeworfen hatten, sodass die meisten Inhaber mehr oder weniger froh waren, sie loszuwerden. Damit wurde aus Druckerei und Zeitungsverlag «Seespiegel» ein richtiges Familienunternehmen.

      Johann verordnete jetzt den Mitarbeitern seiner Firma unermüdlichen Fleiss und einen harten Sparkurs. Er entliess Leute, nicht nur, weil weniger Aufträge da waren, sondern weil jetzt auch Wilhelms jüngere Brüder Wolfgang und Traugott im Betrieb arbeiteten. Für sich selbst, für Hedwig und ihre Söhne gab es Feierabend immer erst nach getaner Arbeit.

      Inzwischen entwickelten sich die neuen Industrien im Tal mehr und mehr zu Johanns besten Kunden – allen voran die Zigarrenmacher. Sie liessen zunehmend Unmengen Plakate und Verpackungen drucken. Johann stellte trotzdem nicht mehr Leute ein, sondern kaufte neue Maschinen und ersetzte den Setzkasten für die Zeitung durch eine moderne Linotype.

      Nein, davon hatte Ilse 1963 nichts in den Nachruf für ihren Schwiegervater Johann geschrieben, und der inzwischen auch sehr gealterte, vor wenigen Jahren zurückgetretene Pfarrer Grob mochte sich nicht an all diese Geschichten erinnern. Gewiss liess sich Pfarrer Grob nicht mehr so leicht auf die unerfindlichen Urteile göttlicher Gerechtigkeit und andere Spitzfindigkeiten ein, schon gar nicht auf die beiden Jahrzehnte nach dem Ersten Weltkrieg, als Mussolini und Hitler ihre Bewegungen gründeten und die Menschen mit Sprüchen, Liedern, Fahnen und Knüppeln durch die Strassen ziehen liessen, um zuletzt in ihren Ländern an die Macht zu kommen. Mit keinem Wort erinnerten sie sich gegenseitig an ihre Kommentare zum grausamen spanischen Bürgerkrieg, als die deutsche «Legion Condor» Guernica bombardierte und dem Generalissimus Franco in den Sattel half. Das alles waren inzwischen auch für Ilse eher peinliche Erinnerungen.

      Ilse war ein deutsches Mädchen. Aus einer gewissen einstweilen verhaltenen Sympathie zur Bewegung im Norden, jedenfalls ermuntert durch Pfarrer Grob, der vielfältige Kontakte mit deutschen Pastoren unterhielt, hatten Johann und Hedwig um 1930 die damals 16-jährige Ilse aus Dresden eingeladen, ein paar Sommerferienwochen als ihr Gast in der Schweiz zu verbringen. Das Mädchen war eine begeisterte Anhängerin von Hitlers Ideen und machte daraus bei den Pfisters keinen Hehl. Sie vermochte auch den zwei Jahre älteren Wilhelm sowie seine beiden jüngeren Brüder mehr oder weniger für Notwendigkeit und Kraft des kämpferischen Nationalsozialismus zu interessieren. Sie versuchte ab und zu sogar, Johann «heim ins Reich zu holen». Immerhin war Johann ja einst als Deutscher ins Land gekommen und schwäbelte noch immer unüberhörbar. Aber gerade der Gegensatz zur geschliffenen Sprache der jungen Dresdnerin machte den einstigen Pfälzer vorsichtig. Er mochte sie gleichwohl, junge Leute waren halt immer etwas übereifrig. Ilse kam in der Folge jeden Sommer, und jeden Sommer gab es mehr zu erzählen über Führer und Vaterland.

      In dieser Zeit, genauer 1932, machte Wilhelm seinen Militärdienst im Welschland. Trotz seiner Herkunft, von der ihm zeitlebens eine verständliche Sympathie für alles Deutsche blieb, hatte Vater Johann in der Schweiz so früh wie nur möglich die Einbürgerung für sich und seine Söhne beantragt und dafür auch recht viel Geld bezahlt. Es gab daher – und weil er sich wie ein guter Schweizer gebärdete – im Dorf nicht den geringsten Widerstand.

      Wilhelm, den jungen Infanteristen, machten die Wochen im französischen Teil der Schweiz nachdenklich. Die Romands lehnten den neuen Geist in Deutschland vehement ab. Vor allem die Offiziere hatten für alles, was irgendwie deutsch tönte, nichts als Hohn und Spott. Für sie waren die Nazis in erster Linie Revanchisten, die sich mit dem verlorenen Weltkrieg nicht abfinden konnten. Was sich da manifestierte, richtete sich gegen die Errungenschaften der französischen Revolution, gegen Freiheit und Demokratie, gegen die Gleichheit vor dem Gesetz und so weiter. Wilhelm war überrascht vom energischen Patriotismus der welschen Camarades. Diese Jungen entsprachen in weiten Teilen nicht dem Klischee, das er aus der Deutschschweiz mitgebracht hatte. Da war nichts von oberflächlichem «laisser aller, laisser faire».

      Er wusste nicht, dass die kaiserlich deutsche Kriegspropagandamaschine mit all ihren Helfern und Trägern – dazu gehörten gewollt oder ungewollt auch grosse Teile der schreibenden Intellektuellen – den ganzen deutschen Sprachraum mit beleidigenden Inhalten gegen Frankreich und die Franzosen vergiftet hatten. Natürlich gifteten und schmähten die Franzosen nicht weniger, aber das kam damals in der Deutschschweiz nicht an.

      Trotzdem, irgendwie liess er sich von Ilses Begeisterung anstecken. Er freute sich auch jetzt auf ihren Besuch. Sie hatte ihr Abitur gemacht und studierte inzwischen deutsche Geschichte. Nach Hitlers Machtübernahme hatte sie begonnen, neben ihrem Studium für eine deutsche Lokalzeitung als «Berichterstatterin» zu schreiben und überzeugte mit Beiträgen aus dem Bund deutscher Mädchen, Kommentaren und Leserbriefen. Sie galt als politisch zuverlässig.

      Vielleicht hätte sie im «Reich» bis zu seinem kläglichen Ende Karriere gemacht. 1935 heiratete sie aber Wilhelm Pfister und blieb in der Schweiz, selbstverständlich ohne ihre Ansichten zu ändern oder ihre Begeisterung aufzugeben und durchaus in der Meinung, hier eine wichtige Aufgabe für die «Bewegung» erfüllen zu können. Die beiden zogen in die freigemachte Wohnung über den Eltern. Ilse versuchte von Anfang an Einfluss auf den Inhalt im «Seespiegel» zu gewinnen. Sie wurde dabei von ihren «Freunden im Reich», aber auch von der Landesgruppe Schweiz der NSDAP reichlich mit einschlägigem Material versorgt. Sie begann, Kontakte zu knüpfen, und einmal nannte sie Gertrud Frey, die Führerin des Schweizer Ablegers vom Bund Deutscher Mädchen, ihre Freundin. Hin und wieder erhielten die Pfisters auch mehr oder weniger prominenten Besuch, der kam, «um die einstigen Volksgenossen Johann und Ilse in ihrer Arbeit zu unterstützen.» Stillschweigend wurde sie Mitglied der Frauenschaften der NSDAP Schweiz.

      Johann mochte diese Leute nicht. Einige trugen gar die Armbinde mit dem Hakenkreuz. Das ging ihm entschieden zu weit. Im Dorf begann man über die Besucher zu munkeln. Er fühlte sich in seiner Rolle ohnehin nie wirklich glücklich und begann, gegen seine Schwiegertochter Dämme zu bauen.

      Auch der Pfarrer versuchte, Ilses Ehrgeiz zu dämpfen, ohne jedoch ihre Ansichten grundsätzlich abzulehnen. Wie viele seiner Kollegen im Norden – von ein paar allerdings markanten Ausnahmen abgesehen – teilte er über weite Strecken Hitlers Ideen und glaubte an den Erfolg des Nationalsozialismus, unterliess es allerdings, seine Ansichten allzu lauthals hinauszuposaunen. Hier in der Schweiz musste man sachte zur Sache gehen. Er, der sich selbst gerne als Pastor sah und ein grosser Bewunderer Luthers war – Zwingli hielt er für so etwas wie ein Naturtalent aus dem ländlichen Toggenburg – hatte schon immer gewusst, dass sich die deutsche Nation die Demütigungen von Versailles auf die Länge nicht gefallen lassen würde. Die Rache der Franzosen würde sich irgendeinmal totlaufen, das war für ihn unausweichlich.

      Im Übrigen fanden auch Mussolinis Schwarzhemden immer wieder wohlwollenden Eingang in die Spalten des Seespiegels. Pfarrer Grob hatte grosses Verständnis für die doch sehr einschränkenden Verträge mit dem Vatikan und fand gute Worte, als an die vierzig Fröntler nach Rom pilgerten und dem Duce ihre Referenz erwiesen. Hingegen kritisierte er den grausamen СКАЧАТЬ