Название: Gesammelte Werke von Rudyard Kipling
Автор: Редьярд Киплинг
Издательство: Bookwire
Жанр: Книги для детей: прочее
isbn: 9788027209255
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Die Wahlversammlung in Cañon City war auf den Tag nach der eben geschilderten Unterredung zwischen den wunderlichen Liebesleuten anberaumt, und Tarvin betrat das aus wackeligen Frachtkisten gezimmerte Podium in der Rollschuhbahn von Cañon City an jenem Abend mit dem verbissenen, jugendstarken Entschluß, den Leuten zu zeigen, daß man doch mit ihm zu rechnen habe – wenn er auch verliebt sei!
Sheriff war der erste Redner, und Tarvin saß, ein langes, nervös zuckendes Bein übers Knie geschlagen, als Zuhörer im Hintergrund der Galerie. Die ungleichmäßig beleuchtete Zuhörermasse, die unter ihm saß, bekam einen nervösen, knochigen Mann in nachlässiger Haltung mit klugen, herausfordernden und doch wohlwollenden Augen und einem herrischen Kinn, zu sehen. Er hatte eine starke, vorspringende Nase, die gefurchte Stirn und die ziemlich kahlen Schläfen, die sich bei den Männern des Westens früh einstellen. Der beobachtende, scharfe Blick, der unruhig über die Versammlung schweifte, einschätzend, mit was für Leuten er es eigentlich zu thun habe, verriet jenes hohe Selbstbewußtsein, das, ob begründet oder nicht, jenseits des Mississippi immer die beste Empfehlung für den Mann ist. Er trug eine kurze, sackartige Juppe, die im Westen auch für feierliche Gelegenheiten genügend befunden wird, aber das Flanellhemd hatte er in Topaz gelassen und dafür das weiße Linnen höherer Kultur angelegt.
Sheriffs Rede regte in Tarvin hauptsächlich den Gedanken an, wie sonderbar es doch sei, daß ein Mann es übers Herz bringe, der Masse ganz falsche Anschauungen über Silberwährung und Tarife zu predigen, während seine Tochter so unheimlich edle Thaten ausbrüte. Bei ihm waren die Anschauungen, die Gedanken über Silberwährung und Tarife so ganz mit Käte verwachsen, daß er seine Entgegnung um ein Haar mit der Frage eröffnet hätte, woher ein Mann, der in der eigenen Familie nicht Herr sei, den Mut nehmen könne, einer denkenden Wählerschaft seine Nationalökonomie aufzudrängen? Wenn er der Mann sei, dem Staat Gesetze zu geben, weshalb halte er dann seine eigene Tochter nicht ab, ihr Leben zu vergeuden? Wozu denn überhaupt Väter in der Welt seien, hätte er fragen mögen, allein er verschluckte diese »sachlichen« Bemerkungen und stürzte sich wie ein kühner Schwimmer in eine Flut von Zahlen, Thatsachen und Gründen.
Tarvin hatte gerade die Gaben, womit der Wahlredner sich ins Herz einer Wählerschaft einschleicht; er wußte Beschuldigungen, Anklagen zu erheben, wußte zu verteidigen, aufs eindringlichste zu verdächtigen, er fuchtelte mit den langen, sehnigen Armen herum, rief die Gottheit, die Statistik und die Republik zu Zeugen an, und wenn sie in seinen Kram taugte, verschmähte er auch die Anekdote nicht.
»Das erinnert mich,« konnte er in dem leichten Gesprächston hinwerfen, womit der Volksredner gern sein Pathos abtönt und erhöht, »an einen Mann, den ich in Wisconsin kennen gelernt habe …«
Die Geschichte sah dem »Mann ins Wisconsin« gar nicht ähnlich, Tarvin war auch in seinem Leben nie in Wisconsin gewesen und kannte den Mann nicht, aber die Anekdote war zündend, das Publikum gröhlte vor Lachen – sogar Sheriff hielt es für passend, ein Lächeln zu »markieren« – und Tarvin hatte seinen Zweck erreicht. Es wurden auch mißbilligende Stimmen laut und die Debatte war zuweilen nicht mehr auf die Rednerbühne beschränkt, aber das tiefe beifällige Gemurmel, das häufig dem Beifallsrufen oder dem Gelächter nachhinkte, wirkte anfeuernd wie Peitschenknallen auf Tarvin und das bräunliche Getränk, das ihm der Pförtner der Rollschuhbahn nach einer am Nachmittage gepflogenen Beratung gebraut und auf den Tisch gestellt hatte, that auch seine Schuldigkeit. Die wohlberechnete Mischung in seinem Glas, der leidenschaftliche Vorsatz in seinem Herzen, das Murmeln und Zischen und Jauchzen der Zuhörer, alles wirkte zusammen, um Tarvin allmählich in einen Taumel der Ueberzeugtheit zu versetzen, der ihm selbst merkwürdig war. Als er endlich fühlte, daß er sein Publikum vollständig in der Gewalt hatte, da verfuhr er mit ihm wie ein gewandter Jongleur. Er packte die Zuhörer, hielt sie hoch in der Luft, streichelte und hätschelte sie, stürzte sie in Abgründe und ließ sie wieder emporschnellen, um ihnen seine Macht zu zeigen, schloß sie zärtlich an sein Herz und erzählte ihnen Märchen. Und mit dieser Wählerschaft im Arm und am Herzen, zerstampfte er den zu Boden geworfenen Leib der Gegenpartei und sang ihr Grabgesänge.
Es war eine große Stunde. Das sprach ein jeder aus, als Tarvin geschlossen hatte: alles erhob sich, man stieg auf die Bänke und rief es ihm zu, daß der ganze Bau erbebte. Die Männer warfen ihre Mützen in die Höhe, umschlangen einander, machten wilde Sprünge und wollten ihn auf ihren Schultern als Triumphator in der Halle herumtragen.
Aber Tarvin entzog sich dieser Huldigung: ihm war auf einmal die Kehle wie zugeschnürt, und blindlings die Menge durchbrechend, die ihn auf dem Podium umringte, flüchtete er in das Ankleidezimmer neben dem Saal. Er warf die Thüre hinter sich ins Schloß, verriegelte sie sogar und sank, sich die Stirne trocknend, auf einen Stuhl.
»Und der Mann, der das vermag,« brummte er vor sich hin, »ist nicht im stande, ein fadendünnes kleines Ding zu überreden, daß sie ihn heiratet.«
Drittes Kapitel.
Am andern Morgen lief in ganz Cañon City das Gerücht um, daß Tarvin seinen Gegner einfach vernichtet habe, und mehr als Gerücht, wohlverbürgte Thatsache war, daß Sheriff, als er sich ziemlich kleinmütig angeschickt hatte, das Wahlprogramm des Redners vorschriftsmäßig zu bekämpfen, durch die einmütige öffentliche Meinung gezwungen worden war, den Mund zu halten. Trotzdem begrüßte er Tarvin auf dem Bahnhof, wo beide in den nämlichen Zug nach Topaz einsteigen wollten, mit anerkennenswerter Höflichkeit und machte durchaus nicht Miene, seinem Widersacher scheu auszuweichen. Wenn Tarvin Kätes Vater wirklich »in den Staub getreten« hatte, wie ganz Cañon City sich vernehmen ließ, so schien dieser seine Vernichtung nicht sonderlich schwer zu empfinden. Tarvin überlegte bei sich, daß Sheriff allerdings Grund habe, sich mit einer andern Niederlage des jüngeren Mannes zu trösten, die diesen Triumph wohl aufwog, und diese Ueberlegung zog die zweite nach sich, daß er sich einfach lächerlich gemacht habe. Er hatte die Genugthuung gehabt, dem Nebenbuhler öffentlich seine Überlegenheit beweisen zu können, und das Vergnügen genossen, seiner Partei greifbar klar zu machen, daß er immer noch eine Kraft sei, auf die man bauen könne, wenn sich auch im Kopf eines jungen Mädchens tolle Weltverbesserungsideen angesiedelt hatten. Aber förderte ihn das etwa bei Käte? Es förderte ihn nicht, es schied ihn eher von ihr, wenigstens soweit der Vater Einfluß auf die Sache hatte und soweit seine Wahlaussichten dadurch verbessert wurden. Daß er gewählt werden würde, stand ihm jetzt fest. Aber was half es ihm? Selbst die Würde eines Sprechers, die er vor ihr hatte funkeln lassen, schien ihm nach den Erfahrungen des heutigen Abends ins Gebiet der Möglichkeiten gerückt, aber die einzige Präsidentschaft, nach der Tarvins Sinn wirklich stand, war die über Kätes Herz – wenn sie ihn nicht wählte, was’ nützten ihm alle andern Stimmen?
Er fürchtete ernstlich, daß ihm diese höchste Würde nicht so bald blühen werde, und als er sich den untersetzten, vierschrötigen Mann ansah, der gleich ihm auf dem Bahnsteig stand, kam er auf den Gedanken, diesen dafür verantwortlich zu machen. Käte würde sicher nicht nach Indien gehen, wenn sie einen andern Vater hätte, einen Mann, wie er ihrer etliche kannte! Aber solch ein schmiegsamer, schlauer, selbstsüchtiger Protz, der’s mit niemand verderben wollte – was ließ sich von so einem erwarten? Wenn hinter der Geschmeidigkeit Kraft gesteckt hätte, würde Tarvin diese Eigenschaft geschätzt statt mißachtet haben, aber er hatte seine eigenen Gedanken über einen Mann, der an einem Ort wie Topaz zufällig reich geworden war.
Was für Taruin diesen Sheriff so unleidlich machte, war das von ihm dargebotene Schauspiel eines Mannes, der ohne sein Zuthun plötzlich verblüffend reich geworden ist und nun als Glückspilz umherging, ängstlich vermeidend, irgend jemand auf die СКАЧАТЬ