Название: Gesammelte Werke von Rudyard Kipling
Автор: Редьярд Киплинг
Издательство: Bookwire
Жанр: Книги для детей: прочее
isbn: 9788027209255
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Die Straße führte nun meilenlang abwärts, kreuzte verschiedene ausgetrocknete Wasserläufe, einmal auch einen breiten seichten Fluß, wo Fibby einen ausgiebigen Trunk that und sich gern in einem Melonenbeet gewälzt haben würde, wenn ihn die scharfen Sporen nicht gleich wieder den jenseitigen Abhang hinaufgetrieben hätten. Das Land wurde von Viertelstunde zu Viertelstunde fruchtbarer, die Erdwellen breiter; im Licht des sinkenden Monds schimmerten die opiumtragenden Mohnfelder silberweiß, in dunkeln Wassern ragte das Zuckerrohr.
Aber Mohn und Zuckerrohr verschwanden jählings, als Fibby jetzt eine lange steile Böschung hinunterklettern mußte, mit weitgeöffneten Nüstern den Morgenwind witternd. Er wußte wohl, daß der Tag ihm Ruhe bringen würde. Tarvin folgte mit spähendem Blick der weißen Straßenlinie, die im sammetigen Dunkel niedrigen Buschwerks verschwand. Er überblickte von hier eine weite, von sanftgeschwungenen Hügellinien umrandete Ebene, die von seinem erhöhten Standpunkt aus so glatt erschien wie der Meeresspiegel. Und gleich der See trug sie auf ihrer Brust ein Schiff, einen gigantischen Monitor, der mit scharfgeschwungenem Bug in gerader Richtung von Norden nach Süden strebte. Es war ein Schiff, wie es noch kein Menschenauge erblickt hat, wohl zwei Meilen lang mit drei-bis vierhundert Fuß freien Raums auf Deck, einsam, schweigend, ohne Masten und Lichter, herrenlos auf der Erde treibend.
»Wir sind nah am Ziel, Fib, mein Junge,« sagte Tarvin, die Zügel anziehend und das gespenstische Ungeheuer im Sternenschein ermessend. »Wir wollen ihm so nah kommen, als wir können, und dann das Tageslicht abwarten, eh wir an Bord gehen.«
Das Pferd kletterte den mit scharfen Steinen und schlafenden Ziegen übersäten Abhang hinunter. Dann machte die Straße eine scharfe Biegung nach links und lief nun parallel mit der Längsseite des Schiffs, Tarvin aber trieb das Pferd rechts ab in einen kürzeren Fußpfad, wo das arme Tier kläglich zwischen Büschen und Wurzeln und einem ganzen Netzwerk bis zu sechs Fuß tiefer, vom Regen eingerissener Wasserrinnsale hinstolperte.
Endlich stöhnte Fibby in heller Verzweiflung laut auf, und jetzt erbarmte sich Tarvin seiner, stieg ab, band ihn an einen Baumstamm und ermahnte ihn, bis zur Frühstückszeit über seine Sünden nachzudenken. Er selbst war vom Sattel herab in ein ausgetrocknetes, stauberfülltes Wasserloch geraten, zehn Schritte weiter und das Buschwerk schlug über ihm zusammen, peitschte seine Stirn, hakte seine Dornen in seine Kleider ein und streckte seinen Knieen Luftwurzeln entgegen, die es fast unmöglich machten, den immer steiler werdenden Pfad zu erklimmen.
Schließlich arbeitete sich Tarvin auf Händen und Knieen rutschend weiter, von Kopf bis zu Fuß mit Staub und Erde und Laub überzogen, kaum mehr zu unterscheiden von den Wildschweinen, die da und dort wie schieferfarbige Schatten durch das Dickicht schlüpften, nach nächtlichem Raubzug ihre Ruhestätten aufzusuchen. Viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um sich durch ihr Grunzen stören zu lassen, stemmte und schwang er sich in die Höhe, die Wurzeln schüttelnd, als ob er das Naulahka aus den Tiefen der Erde zu Tag fördern wollte, und bei jedem Ruck und Tritt gotteslästerlich fluchend. Als er endlich einen Augenblick stille hielt, um sich den Schweiß von der Stirne zu wischen, entdeckte er mehr durch Betastung als mit dem Auge, daß er dicht am Fuß einer Mauer in die Kniee gesunken war, die bolzgerade bis zu den Sternen aufzusteigen schien. Aus dem Dickicht unter ihm erklang Fibbys klägliches Wiehern.
»Dir thut nichts weh, mein Sohn,« sagte Tarvin, nach Luft schnappend und das dürre Gras ausspeiend, das ihm zwischen die Zähne geraten war, »du kannst von Glück sagen, daß du nicht an meiner Stelle bist und daß dir niemand zumutet, heute nacht das Fliegen zu erlernen!«
Dabei schielte er mutlos an der glatten Mauerfläche empor und gab einem Eulenruf einen leisen Pfiff zur Antwort. Jetzt versuchte er, längs der Mauer weiterzukommen, die eine Hand gegen die roh behauenen Steine gestemmt, mit der andern seine Augen vor dem Buschwerk wahrend. Zwischen zwei Cyklopensteinen hatte einst ein Feigenkern Raum und dann jahrhundertelang ungestörte Muße gefunden, sich zu einem knorrigen, trotzigen Baum zu entwickeln, der sich zwischen die Fugen drängte und das Mauerwerk da und dort sprengte. Tarvin überlegte eine Weile, ob er auf den Ansatz des untersten Astes steigen solle, ging noch ein paar Schritte weiter, um sich die Sache von beiden Seiten anzusehen, und stand nun plötzlich vor einer Lücke in der Mauer, die in ihrer ganzen Dicke von wohl zwanzig Fuß so breit gespalten war, daß ein ganzes Regiment hätte durchziehen können.
»Das sieht ihnen ähnlich! So sind sie!« brummte Tarvin vor sich hin. »Das hätte ich mir ja denken können! Eine sechzig Fuß hohe Mauer aufrichten und ein achtzig Fuß breites Loch darin anbringen! Das Halsband hängt wahrscheinlich an einem Busch oder ein Kind spielt damit und – ich kann’s nicht erreichen!«
Er stolperte über den Schutt in der Öffnung hinüber und stand dann mitten unter geborstenen Pfeilern, Steinplatten, herabgestürzten Tragsteinen und eingesunkenen Grabmälern. Fast unter seinen Reitstiefeln hörte er ein leises, langgedehntes Zischen – keinem vom Weibe Geborenen braucht die Stimme der Schlange erst vorgestellt zu werden, er kennt sie beim ersten Mal.
Er machte einen Satz und stand dann still. Fibbys Wiehern drang nur noch ganz schwach an sein Ohr. Der Morgenwind strich durch die Kluft in der Mauer und Tarvin trocknete sich erleichterten Herzens die Stirn. Weiter vordringen wollte er erst, wenn es Tag wurde, jetzt war es an der Zeit, sich zu stärken. Daß es dabei angebracht war, sich nicht vom Fleck zu rühren, hatte ihn die zischende Stimme gelehrt.
So zog er denn seine Feldflasche und seinen Mundvorrat aus der Rocktasche und aß mit wahrem Heißhunger, ohne dabei die gespannte Umschau zu versäumen. Das nächtliche Dunkel lüftete sich schon ein wenig und er unterschied den Umriß eines großen Gebäudes, von dem ihn nur ein paar Schritte trennten. Seitwärts davon tauchten andre Schatten auf, blaß und geisterhaft wie Traumgesichter, Schatten von Tempeln und abermals Tempeln und Häusern. Der Wind, der zwischen ihnen durchfuhr, trug das sausende Geräusch von seinem Hauch gepeitschter Hecken mit sich.
Die Schatten wurden größer und greifbarer, und Tarvin sah jetzt, daß er mit dem Gesicht gegen ein umgestürztes Grabmal stand. Jetzt mußte er die Augen eindrücken, denn ohne alle vorbereitenden Anzeichen war jählings in seinem Rücken die Morgenröte aufgeschossen und hatte die Stadt der Toten aus dem Dunkel der Nacht gehoben. Weiträumige zackenkupplige Paläste enthüllten, blutrot übergossen, ihre unheimliche Leere und starrten in den Tag hinein, der ihre innersten Räume durchdrang.
Singend, pfeifend strich der Wind durch die öden Straßen, und da er niemand fand, der ihm Antwort gegeben hätte, ging er wieder, eine Wolke von Schutt und Staub vor sich her jagend, die er plötzlich zu einem kleinen Cyklontrichter zusammendrehte und seufzend hinwarf.
Zierliches, marmornes Netzwerk, das aus einer Fensterfüllung herabgestürzt war, lag auf dem dürren Gras und eine Eidechse kroch darüber hin, um sich zu sonnen. Schon war die glühende Morgenröte verflogen, erbarmungslos klares Licht lag auf allem, ein Weih kreiste am wolkenlosen blauen Himmel; der kaum geborene Tag hätte schon so alt sein können wie die tote Stadt. Es war Tarvin, als ob der Tag und er selbst stillstünden, um auf den Flügeln ziellos hingewirbelten Staubs die Jahrhunderte an sich vorüberlauschen zu hören.
Als er jetzt die erste Straße betrat, spazierte ein Pfau aus dem leeren Thorbogen eines hoffärtigen roten Hauses und schlug im Glanz der Sonne ein prachtvolles Rad. Tarvin СКАЧАТЬ