Название: Gesammelte Werke
Автор: Джек Лондон
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962813475
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Auf St. Vincents Kopf sträubten sich die Haare. Es lief ihm eiskalt den Rücken herunter. Was würde jetzt geschehen? Aber Borg hob den Stuhl auf und fiel in seine alte Stellung zurück, das Kinn in die Fäuste gestützt. Bella arbeitete vorsichtig mit den Tellern weiter, es fiel kein Wort, und während St. Vincent mit zitternden Händen seine nächste Zigarette drehte, fragte er sich, ob all das ein Traum gewesen sei.
Jacob Welse lachte, als Gregory ihm am anderen Tag die Geschichte erzählte.
»So ist dies knurrige alte Biest, genau so verrückt, wie es aussieht. Er ist mehr Jahre im Land, als er Menschen kennengelernt hat. Ich glaube, dass er in ganz Alaska keinen einzigen Freund hat, nicht einmal unter den Indianern, mit denen er viel zusammen ist. Sie nennen ihn: ›Jonny Halbverdreht‹, aber ebenso gut könnten sie ihn ›Jonny Schlagzu‹ nennen. Er ist jähzornig und hat eine schwere Tatze. Stellen Sie sich vor, wozu der Kerl imstande ist. Einmal hatte er eine Meinungsverschiedenheit mit meinem Faktor in Arktik City. Er hatte absolut recht, aber bei dem Faktor war es nur ein Irrtum, kein böser Wille. Was tut der Rübezahl? Erklärt meine ganze Unternehmung in seinen Boykott und lebt ein volles Jahr lang ausschließlich von Fleisch. Dann traf ich ihn zufällig und erklärte ihm die ganze Sache, und dann hat er wieder bei uns gekauft.«
»Und das Mädel?«
»Das hat er sich irgendwo aus dem höchsten Norden heruntergeholt. Ich beneide sie nicht. Dem sein Bettschatz zu sein, das ist kaum ein Vergnügen.«
Gregory St. Vincent kümmerte sich nicht viel um seine Wirte. Die meiste Zeit verbrachte er auf Split-up-Island mit Frona und ihrem Vater. Aber eines Abends kam es doch zu einem Zusammenstoß. Als St. Vincent nach Hause kam, saß der Alte im letzten dünnen Licht der Sonne vor seiner Hütte, und nahe von ihm stand Bella an einer Waschwanne. Es war ein klobiges, selbstgezimmertes Ding und, wenn sie halb voll Wasser war, viel zu schwer, als dass eine Frau sie heben konnte. Als Bella das Wasser wechseln wollte, sprang St. Vincent herbei, um zu helfen. Sie nahmen die Wanne zwischen sich und gingen ein paar Schritte weit zu einem Abflussrohr. Zuerst rutschte St. Vincent im halb aufgetauten Schnee aus, und das Seifenwasser übersprudelte ihn. Dann glitt Bella aus, und ein paar Schritte weiter fielen sie beide um. Es tat nicht weh, sie fanden es lustig; Bella kicherte laut, und St. Vincent lachte mit. In der Luft und in ihrem Blute war Frühling. An diesem Tag war alles zum Lachen. Aber sie hatten nicht bemerkt, dass Borg die Ohren spitzte. Als sie die Wanne zurücktrugen, passierte es abermals, dass Bella mit beiden Füßen zugleich ausglitt und sich mit einem hörbaren Plumps auf den Boden setzte. Jetzt klang ihr Lachen schon wie Jubeln. Gregory reichte ihr beide Hände zum Aufstehen, aber da war mit einem Satz und wildem Gebrüll Borg über ihnen. Er riss die vier Hände auseinander und schleuderte St. Vincent auf die Seite, dass er ein halbes Dutzend Meter weit taumelte. Dann wiederholte sich der Auftritt aus der Hütte. Bella warf sich winselnd vor ihrem Herrn zur Erde, in den Schmutz, aber es geschah ihr nichts.
»Hör zu, Bursche«, sagte Borg mit tiefem Schnauben zu St. Vincent. »Du schläfst in meiner Hütte und kochst deinen Fraß auf meinem Ofen! Das genügt! Mein Weib lässt du in Ruh!«
*
Der Frühling war gekommen wie ein Wunder, streichelte die Welt mit sanften Händen und wiegte sie in Träume ein, ehe der Sommer mit seiner Blumenpracht kam. Schnee lag nur noch auf den eisschründigen Zinnen, aus Schluchten und Tälern war er verschwunden; die Gletscher begannen zu schmelzen, und jeder Fluss war ein brüllender Strom. Jeder Tag wurde länger als der vergangene; jetzt begann die kühle Morgendämmerung schon um drei Uhr, und es wurde neun Uhr, ehe der Abend kam. Bald sollte sich ein goldener Kreis rings um den Himmel ziehen und die Mitternachtsstunde strahlend sein wie der Mittag. Weide und Esche hatten schon Kätzchen getragen. Jetzt schmückten sie sich mit Laub, und die Kiefern standen hoch im Saft.
Mutter Natur war mit einem Seufzer erwacht und hatte sich an ihre kurze Sommerarbeit gemacht. Die Grillen sangen nachts um stille Hütten, im Mondschein krochen Moskitos aus hohlen Baumstämmen, es waren große, lärmende, unschädliche Geschöpfe, die den ganzen Winter hindurch wie Eisstücke gelegen hatten und jetzt vergnügt einem neuen Tod entgegensummten. Alles kriechende, krabbelnde und flatternde Leben kam aus der warmen Erde hervor, um zu reifen, zu zeugen und zu sterben. Uferschwalben gruben ihre Niststollen in die weichen Lehmgänge, Rotkehlchen sangen von den Kiefern. Über ihnen pochte unaufhörlich der Specht, in der Tiefe des Waldes schwirrten jählings Rebhuhnweibchen auf, während die Hähne in der Pracht ihres Männerkleides auf und ab stolzierten.
Nur der Yukon kümmerte sich nicht um dies große Erwachen. Viele Meilen weit lag er noch immer kalt da, unbeweglich und tot. Wildgänse, die, vom Süden kommend, in keilförmigen Zügen den Wind spalteten, machten halt, spähten nach offenem Wasser aus und flogen enttäuscht weiter nach Norden. Hier und da brach das Wasser durch und überschwemmte das unerbittliche Eis, aber in der nächsten kalten Nacht gefror es wieder zu einer einzigen festen Masse. Man erzählte sich, dass das Eis auf diesem Strom einmal drei lange Sommer hindurch nicht gewichen war. Für diesen Sommer hoffte man auf besondere Wärme. Noch war der Fluss nicht willens, seinen Griff zu lockern, noch wollten die Eismassen nicht hinab ins Beringsmeer schwimmen, aber jede Stunde konnte Erlösung bringen.
Im Lager auf »Split-up-Island« war alles bereit, um die Eisschmelze auszunützen. Wasserstraßen sind in jedem wilden Land die ersten Landstraßen gewesen. Hier war der Yukon die einzige Straße. Die Leute, die darauf warteten, sie benutzen zu können, pichten ihre Boote aus und beschlugen ihre Bootsstangen mit frischem Eisen. Mit großen Messern schnitzten sie sich neue Steuerriemen zurecht.
Jacob Welse genoss das Nichtstun, das er sich im Leben so selten gegönnt hatte, und Frona sah, wie gut es ihm tat. Eines Nachmittags saß man zusammen vor dem Zelt; St. Vincent und sein Freund, der Baron Courbertin, waren zu Gast, und man berechnete, wie lang diese erzwungene Ruhe noch dauern könnte, als Jacob Welse witternd den Kopf hob.
»Da drüben, südlich von der Klippe! Könnt ihr etwas erkennen? Da bewegt СКАЧАТЬ