Im Laufe des Abends fing er noch drei Elritzen. Zwei davon verzehrte er gleich, die dritte hob er sich für das Frühstück am nächsten Tage auf. Die Sonne hatte hie und da Streifen von Moos getrocknet, sodass es ihm möglich wurde, Feuer zu machen und sich mit heißem Wasser zu erwärmen. An diesem Tage hatte er nicht mehr als zehn Meilen zurückgelegt. Und am nächsten Tage wanderte er, so oft sein hart klopfendes Herz es ihm erlaubte, legte aber auf diese Weise nur fünf Meilen zurück. Sein Magen verursachte ihm nicht mehr das geringste Unbehagen. Der Hunger schien einfach eingeschlafen zu sein. Er befand sich jetzt auch in einem gänzlich unbekannten Lande, und er sah schon viele Renntiere, außerdem auch zahlreiche Wölfe. Oft hörte er ihr Heulen durch die Einöde, und einmal sah er drei Wölfe in kurzer Entfernung seinen Weg kreuzen.
Wieder eine Nacht. Als er gegen Morgen erwachte, war er noch ruhiger und vernünftiger geworden. Er löste den ledernen Riemen, mit dem der Elchlederbeutel zugebunden war. Ein gelber Strom von grobem Goldstaub und -klumpen ergoss sich durch die Öffnung. Er teilte das Gold in zwei ungefähr gleiche Haufen. Die eine Hälfte verpackte er in ein Stück von einer Decke und verbarg es hinter einem hervorspringenden Felsblock, die andere Hälfte tat er in den Sack zurück.
Zum Wickeln seiner Füße musste er jetzt schon Streifen von seiner letzten Decke schneiden. Sein Gewehr behielt er noch immer bei sich, lagen doch in ihrem Depot am Dease-Fluss Patronen.
Es war ein nebliger Tag, und leider erwachte der Hunger jetzt wieder. Er fühlte sich sehr schwach und litt an einem Schwindel, der ihn hin und wieder vollkommen blind machte. Es war schon längst nichts Ungewöhnliches mehr, dass er strauchelte und stürzte. Und einmal, als er stolperte, fiel er gerade in ein Schneehuhnnest. Es waren vier erst vor kurzem ausgekrochene Kücken darin; sie waren vielleicht einen Tag alt, kleine Klumpen pulsierenden Lebens, jedes kaum mehr als ein Happen, und er verschlang sie gierig. Er steckte sie sich lebendig in den Mund, zerkaute sie wie Eierschalen zwischen seinen Zähnen. Das Muttertier schlug unter lautem Gekreisch auf ihn ein. Mit seinem Gewehr als Keule versuchte er den Vogel zu erschlagen, aber das Tier entkam. Er schleuderte ihm Steine nach, und es gelang ihm, einen Flügel zu zerschmettern. Aber der Vogel entflatterte, bevor er ihn fangen konnte, lief, den verstümmelten Flügel nachschleppend, fort, während er ihn humpelnd verfolgte.
Die kleinen Kücken hatten seinen Appetit nur verschärft. Er hüpfte und hinkte mit seinem kranken Fußgelenk dahin. Ab und zu warf er mit Steinen nach dem Vogel, dann und wann schrie er mit heiserer Stimme. Dann wieder humpelte und hüpfte er in grimmigem Schweigen. Mürrisch und geduldig raffte er sich wieder auf, wenn er hinfiel. Und immer wieder rieb er sich mit der Hand die Augen, wenn der Schwindel ihn zu überwältigen drohte.
Die Verfolgung führte ihn über sumpfiges Gelände in die Tiefe der Schlucht hinab, und dort fand er plötzlich im feuchten Moos Fußstapfen. Es waren nicht die seinigen – das sah er sofort. Es musste Bills Fährte sein. Aber er konnte nicht stehen bleiben, denn die Schneehuhnmutter lief vor ihm her. Zuerst wollte er sie fangen und dann umkehren und die Fußspuren untersuchen.
Er ermüdete das Schneehuhn allmählich – gleichzeitig aber ermüdete er sich selber. Das Huhn lag, nach Atem ringend, auf der Seite – nur wenige Schritt von ihm entfernt. Und er lag ebenfalls auf der Seite, hatte aber nicht Kraft genug, um hinzukriechen. Und als er sich erholt hatte, hatte der Vogel es auch getan und flatterte fort, als der Mann gerade die Hand ausstreckte, um ihn zu ergreifen. Die Jagd war zu Ende. Die Nacht brach herein, und der Vogel war damit endgültig entkommen. Vor lauter Schwäche stolperte er und schlug vornüber zu Boden, das Bündel auf dem Nacken. Es dauerte lange, ehe er sich überhaupt rühren konnte. Dann wälzte er sich auf die Seite, zog seine Uhr auf und blieb bis zum nächsten Morgen liegen.
Wieder kam ein nebliger Tag. Die Hälfte seiner letzten Decke hatte er bereits als Fußlappen verwendet. Er war nicht mehr imstande, die Fährte Bills zu finden. Sie war ihm auch völlig gleichgültig. Sein Hunger trieb ihn jetzt wieder weiter, nur dachte er mit Staunen, ob Bill sich vielleicht auch verirrt hätte. Gegen Mittag wurde das Schleppen des schweren Bündels ihm zu ermüdend. Abermals teilte er das Gold in zwei Häufchen, ließ diesmal aber das eine einfach auf den Boden strömen. Im Laufe des Nachmittags warf er auch die andere Hälfte fort. Jetzt blieben ihm überhaupt nur noch eine halbe Decke, der Zinnbecher und das Gewehr.
Eine unangenehme Halluzination begann sich seiner zu bemächtigen. Er war ganz überzeugt, dass er noch eine Patrone übrig hätte. Sie lag in der Kammer des Stutzens, und er hatte sie bisher einfach übersehen. Andererseits aber wusste er die ganze Zeit, dass die Kammer leer war. Die Halluzination wollte jedoch keiner vernunftmäßigen Überlegung weichen. Er konnte sie für Stunden verdrängen, dann aber öffnete er doch schnell die Kammer und musste feststellen, dass sie leer war. Und die Enttäuschung war genauso bitter, wie wenn er wirklich erwartet hätte, eine Patrone zu finden.
Eine halbe Stunde lang trottete er weiter. Dann tauchte die verrückte Halluzination wieder in seinem Gehirn auf. Und abermals bekämpfte er sie, und dennoch blieb sie hartnäckig, bis er, um sich zu vergewissern und sich von ihr zu befreien, wiederum die Gewehrkammer öffnete und feststellte, dass nichts vorhanden war. Zu anderen Zeiten wanderten seine Gedanken seltsamere Wege. Und während er wie ein lebloser Automat weiterwankte, nagten höchst merkwürdige Pläne und Einfälle wie Würmer in seinem Gehirn. Aber all diese Ausflüge aus der Wirklichkeit waren doch nur von kurzer Dauer, denn der stechende Schmerz, den der Hunger verursachte, rief ihn immer wieder zurück. Einmal wurde er von einem solchen Ausflug in die Welt der Fantasie ganz plötzlich durch ein Gesicht zurückgerufen, das ihn beinahe die Besinnung gekostet hätte. Er schwankte, taumelte und wankte wie ein Betrunkener, der sich vergebens bemüht, das Gleichgewicht zu bewahren. СКАЧАТЬ