Название: Gesammelte Werke
Автор: Джек Лондон
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962813475
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Er öffnete sein Bündel, und das erste, was er dann tat, war, dass er seine Streichhölzer zählte. Es waren im ganzen siebenundsechzig. Er zählte sie dreimal, um seiner Sache sicher zu sein. Dann teilte er sie in drei Häufchen und packte jedes für sich in Ölpapier ein. Das erste Häufchen tat er hierauf in seinen leeren Tabaksbeutel, das zweite in das Schweißleder seines arg mitgenommenen Hutes, während er das dritte auf der Brust unter dem Hemd verbarg. Als das getan war, überkam ihn plötzlich ein panischer Schrecken, er packte sie alle wieder aus und zählte sie noch einmal. Es waren immer noch siebenundsechzig.
Er trocknete seine Fußbekleidung am Feuer. Die Mokassins waren zu durchnässten Fetzen geworden. Die Überzugstrümpfe waren durchlöchert, seine Füße zerschunden und blutig. In seinem Fußgelenk hämmerte es, und er untersuchte es deshalb. Es war so stark angeschwollen, dass es ebenso dick wie das Knie war. Er riss einen langen Streifen von einer seiner beiden Decken und band ihn straff um das Fußgelenk. Er riss weitere Streifen ab und band sie um seine Füße, damit sie ihm gleichzeitig als Strümpfe und als Mokassins dienen konnten. Dann trank er den ganzen Topf heißes Wasser aus, zog seine Uhr auf und kroch in seinen Schlafsack.
Er schlief wie ein Toter. Die kurze Dunkelheit um Mitternacht kam und schwand. Im Nordosten ging die Sonne auf – oder richtiger gesagt, die Dämmerung brach drüben an, denn die Sonne selbst blieb hinter grauen Wolken verborgen.
Um sechs Uhr wachte er auf. Er lag ruhig auf dem Rücken, starrte in den grauen Himmel empor und fühlte nur das eine, dass er hungrig war. Als er sich auf die Seite legte und sich auf den Ellbogen stützte, hörte er zu seinem Staunen ein lautes Schnarchen und sah einen Renntierbullen, der ihn wachsam und neugierig betrachtete. Das Tier war kaum zwanzig Schritt von ihm entfernt, und im selben Augenblick schoss dem Mann die Vision und der Geschmack eines Renntierbratens, der auf dem Feuer zischte und schmorte, durch den Kopf. Mechanisch streckte er die Hand nach dem leeren Gewehr aus, zielte und drückte ab. Der Bulle schnaufte und lief in weiten Sprüngen davon. Seine Hufe klapperten und schlugen, während er über die Felsblöcke hinübersetzte.
Der Mann fluchte und schleuderte das leere Gewehr weit von sich. Laut stöhnend versuchte er, auf die Beine zu kommen. Das war eine langsame und schwierige Arbeit. Die Füße, die noch nicht an ihre neuen Hüllen gewöhnt waren, mühten sich ab und glitten hin und her; jedes Beugen und Strecken gelang nur durch eine ungeheure Willensanspannung. Als er endlich auf den Füßen stand, brauchte er wieder lange Zeit, um sich aufzurichten und wie ein normaler Mensch dazustehen.
Er kroch auf eine kleine Bodenerhöhung und sah sich um. Es gab keinen Baum, keinen Strauch – nur ein graues Meer von Moos, das von den grauen Felsen, den grauen Pfützen und den kleinen grauen Bächlein kaum zu unterscheiden war. Der Himmel war ebenfalls grau. Keine Sonne oder auch nur die Andeutung einer Sonne war zu sehen. Er ahnte nicht mehr, wo Norden sein mochte, und hatte ganz den Weg vergessen, den er in der vorigen Nacht hierhergewandert war. Aber er war nicht verloren. Das wusste er. Bald kam er in das »Land der kleinen Zweige«. Er hatte das Gefühl, dass es irgendwo links vor ihm liegen musste, gar nicht so weit entfernt – vielleicht schon hinter dem nächsten Hügel.
Er kehrte zu seinem Lagerplatz zurück, um sein Bündel für die Weiterfahrt zu schnüren. Zunächst vergewisserte er sich, dass alle drei Päckchen Streichhölzer vorhanden waren, gab sich aber nicht die Mühe, sie noch einmal zu zählen. Dagegen zögerte er lange und nachdenklich, als er einen strotzenden Beutel aus Elchleder wieder einpacken wollte. Der Beutel war nicht groß. Er konnte ihn in seinen beiden Händen verbergen. Er wusste genau, dass das Ding nur ein Gewicht von fünfzehn Pfund hatte … genauso viel wie das ganze übrige Bündel … aber es machte ihm immerhin gewisse Schwierigkeiten. Er blieb einen Augenblick stehen und starrte den dicken elchledernen Beutel an. Schließlich nahm er ihn doch, während er einen misstrauischen Blick um sich warf, als ob die Einöde versuchen könnte, ihm den Beutel zu stehlen. Und als er endlich aufstand, um seine Tageswanderung anzutreten, befand sich der Beutel unter den Sachen, die er auf seinem Rücken trug.
Er bog nach links ab. Hie und da blieb er stehen, um Moosbeeren zu essen. Sein Fußgelenk war jetzt ganz steif, er hinkte stärker als zuvor, aber der Schmerz in dem Fuß war nichts gegen die Qualen, die ihm sein leerer Magen verursachte. Der Hunger begann sehr weh zu tun. Er fühlte ihn immer stärker und schmerzhafter, bis er nicht mehr imstande war, seine Gedanken auf den Weg zu richten, den er einschlagen musste, um nach dem »Lande der kleinen Zweige« zu gelangen. Die Moosbeeren vermochten nichts gegen die Schmerzen. Sie machten nur durch ihre beißende Schärfe seine Zunge und seinen Schlund ganz wund.
Er erreichte ein Tal, wo Bergschneehühner sich auf flatternden Flügeln von Felsblöcken und Moosbeerensträuchern in die Luft erhoben. »Kerr … Kerr … Kerr …« schrien sie. Er warf ihnen Steine nach, konnte sie aber nicht treffen. Er legte sein Bündel auf den Boden und pürschte sich an sie heran, wie eine Katze an einen Sperling. Die scharfen Steine zerrissen ihm die Hosen, bis seine Knie eine Fährte von Blut hinterließen. Aber der Schmerz, den der Hunger verursachte, war so groß, dass er sonst nichts empfand. Er schlüpfte durch das feuchte Moos, seine Kleider wurden durchnässt, sein Körper zitterte vor Kälte, aber er merkte es gar nicht, so furchtbar brannte das Fieber des Hungers. Und immer wieder erhoben die Schneehühner sich und umflatterten ihn, bis ihm ihr ewiges »Kerr … Kerr … Kerr …« wie ein blutiger Hohn erschien. Und er verfluchte sie und rief ihnen ihren eigenen Schrei zu.
Einmal stolperte er sogar über ein Schneehuhn, das wahrscheinlich eingeschlafen war. Er hatte es gar nicht bemerkt, bis es aus seinem steinigen Winkel ihm direkt ins Gesicht flatterte. Er haschte nach dem Vogel, aber seine Bewegung war ebenso erschrocken und ungeschickt wie der Flug des Schneehuhns aus dem Versteck, und so blieben ihm nur ein paar Schwungfedern in der Hand. Als er es wegfliegen sah, fühlte er einen flammenden Hass gegen den Vogel, als hätte der ihm etwas Furchtbares angetan. Dann kehrte er um und lud sich das Bündel wieder auf die Schultern.
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