Название: Das Netzwerk
Автор: Markus Kompa
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783864896224
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»Guten Abend. Danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben«, begrüßte der drahtige Generalmajor Malte Lehr seine Amtskollegen. »Ich möchte Sie vor unserer morgigen Sitzung mit Bogk schon vorab über ein Problem mit einem KSK-Soldaten informieren. Ich werde jetzt unter uns ein bisschen offener sprechen, als ich es morgen in Anwesenheit von Bogk und Irion tun werde.« Eine offenbar erwartete Reaktion seiner beiden Zuhörer blieb aus. »Heute Vormittag haben wir beobachtet, dass der bislang äußerst zuverlässige Soldat KSK 656 den Enthüllungsjournalisten Michael Reinecke in der Berliner Redaktion des ›Komet‹ aufgesucht hat, um ihm eine Story anzubieten. Er wurde auf sein heftiges Drängen hin zu Reinecke vorgelassen. KSK 656 behauptete Reinecke gegenüber, jemand vom Geheimdienst habe ihm eine verdeckte Liquidation einer Zielperson im europäischen Ausland angetragen. Die konkreten Befehle zu dieser Aktion will er über ein Smartphone erhalten haben. Als er das besagte Handy Reinecke zeigte, fuhr es wegen eines angeblich schwachen Akkus runter. Reinecke hielt ihn offenbar für einen Spinner und hat ihn rausgeworfen. Ist eh mit der Snowden-Sache beschäftigt genug.«
»Woher haben Sie die Informationen über diese Kontaktaufnahme?«, erkundigte sich Ellen. Lehrs Blick wirkte zunächst verständnislos, dann dozierte er mit angesäuerter Miene gegenüber Ellen. »Nach der Story, die Reinecke über das G36-Gewehr gebracht hat, wird niemand ernsthaft erwarten, dass wir den nicht überwachen, oder? Das G36 ist ein ausgezeichnetes Gerät, nur Affen und Journalisten schießen damit Dauerfeuer. In meiner Amtszeit wird es mit Reinecke keine Überraschung mehr geben.«
»Sie hören Journalisten ab?«
»In meinem Bericht wird nichts davon stehen, und auch Sie haben nichts davon gehört. Bogk braucht und will vermutlich nichts davon wissen. Oder sieht das jemand anders?«
Ellen sparte sich die auf der Hand liegende Kritik. Nachdem vor einem Jahrzehnt herausgekommen war, dass der BND Ende der Neunzigerjahre im Inland Journalisten bis in die Sauna hinein beschattete, ihr Altpapier durchwühlte und sie mit hohem technischen Aufwand abhörte, hatte die Presse Pullach über Monate hinweg die Zähne gezeigt. Seither war die Überwachung von Journalisten tabu – zumindest offiziell. Fricke verzog keine Miene. Lehrs Bespitzelung von Reinecke hatte sich nun offenbar als ertragreich erwiesen, was in der Geheimdienstwelt mehr zählte als der Fairnesspokal. Lehr war auch nicht der Typ, der sich beim Falschspiel erwischen lassen würde.
Der kam nun wieder zu seinem Fall zurück: »Wie KSK 656 zu so einer Räuberpistole kommt, können wir uns derzeit noch nicht erklären. Beunruhigend ist aber, dass seine Reise nach Berlin mit einer Funktäuschung getarnt war. Denn während wir sein Stimmprofil zweifelsfrei im Berliner Büro von Reinecke identifizieren konnten, fingen wir die Signale seines privaten Handys und seines Diensthandys aus Wuppertal auf. Er wohnt dort gerade im Urlaub bei seiner Mutter. Von seinem privaten Smartphone in Wuppertal aus wurden zudem trotz seiner Abwesenheit die ihn üblicherweise interessierenden Websites aufgerufen. Offenbar eine Simulation. Möglicherweise war ihm bewusst, dass jede signifikante Änderung seines Nutzerverhaltens, sollte er überwacht werden, automatisch eine Warnung ausgelöst hätte.«
»Das hört sich ganz nach unserer Alibi-App an«, kommentierte BND-Chef Fricke. »Die geben wir unseren Agenten, damit sie unauffällig zu Treffen gehen können. Die gleichzeitige Anwesenheit zweier Personen innerhalb einer Funkzelle während eines Agententreffs wäre selbst in hundert Jahren noch nachvollziehbar. Das Programm simuliert die gewohnte Aktivität und täuscht damit überzeugend einen am Handy anwesenden Nutzer vor, während sich der ganz woanders befindet. Ist inzwischen Standard, wie Sie vermutlich wissen.«
»Hinzu kommt, dass wir die Handys im Pkw der Mutter geortet haben, anscheinend irgendwo im Kofferraum. Vermutlich sollte der durch Umherfahren verursachte Funkzellenwechsel die vorgetäuschte Anwesenheit in Wuppertal noch zusätzlich unterstützen. Die Mutter hat davon offenbar keine Kenntnis. Sie hat das Smartphone auch nicht bedient, als es heute Abend wieder eine Nachrichtenseite anwählte.«
»Haben KSK-Soldaten denn Zugang zur Alibi-App?«, erkundigte sich Ellen.
»Nein. Das sind reine Geheimdienst-Werkzeuge. KSK 656 hat auch keine informationstechnischen Kenntnisse, mit denen er so etwas programmieren könnte. Wir folgern daraus, dass er professionelle Unterstützung von unbekannter Seite haben muss.«
»Hat er denn eine Story anzubieten?«, wollte Fricke wissen.
»Keine spezielle. Beim KSK ist grundsätzlich alles streng geheim. Wie wir alle wissen, dürfen KSK-Männer ihrer Ehefrau gerade einmal ihre Abkommandierung zum KSK erzählen. KSK 656 hat in Afghanistan einiges gesehen und mitgemacht. Aber darunter befindet sich nach meiner bisherigen Kenntnis nichts so Außergewöhnliches, dass ein Enthüllungsjournalist Geld dafür bezahlen würde. Für den Afghanistan-Einsatz interessiert sich die Presse doch sowieso kaum. Außerdem zahlen Redaktionen so lächerlich, dass sich für keinen Soldaten das Risiko im Verhältnis zu den Nachteilen lohnt.«
»Du sagtest vorhin, dass während des Gesprächs das Handy ausging?«, fragte Fricke.
»Ja, als Reinecke es in die Hand nahm, zeigte es offenbar Akku leer an und war dann tot. KSK 656 beteuerte, das Gerät gerade erst aufgeladen zu haben, wirkte aber offenbar dabei wie ein Spinner. Dem Reinecke laufen fast täglich solche Typen zu, die ihm von Chemtrails, UFOs und tödlichen Strahlen der CIA berichten. Unsere Auswerter haben deshalb schon großes Mitleid mit dem Mann.«
»Die Sache mit dem Handy kommt mir jedenfalls bekannt vor. Als die Handykameras aufkamen, hatten die Amerikaner ihren Leuten Handys gegeben, die auf ihre Nutzer biometrisch geeicht wurden. Guckt der Falsche in die Kamera, verabschieden die Geräte sich genauso höflich, wie du es gerade bei Reinecke beschrieben hast. Dieser Zaubertrick hat sich allerdings in der Branche schnell rumgesprochen und war damit witzlos. Wir fangen mit solchen Spielereien gar nicht erst an. Ich glaube auch kaum, dass das KSK Verwendung für so etwas hat. Aber fahr bitte fort!«
»Wir haben uns danach für eine Klaransprache entschieden, weil der Rechtsbruch eindeutig war und der Mann offenbar kein eigenes Handy bei sich trug, mit dem wir ihn weiter hätten überwachen können. Wir wollten nicht abwarten, bis er noch jemand anderes seine Story anbietet und uns dann entwischt. Außerdem war nicht klar, ob er nicht tatsächlich eine wahre Geschichte erzählte. Zwei meiner Leute in Berlin haben ihn mit vier Feldjägern in Zivil in einem Biergarten in Berlin Tiergarten angesprochen und informell zur Begleitung ins Ministerium aufgefordert.«
»Feldjäger in Zivil …?«, fragte Ellen ungläubig.
»In meinem Bericht werden sie vermutlich Uniform tragen …«, raunte Lehr lakonisch. »KSK 656 hat meinen Leuten gegenüber zunächst auf seinen Urlaub gepocht. Da er jedoch nicht einmal seinen Truppenausweis oder sonstige Papiere dabei hatte, haben wir ihm mit einem offiziellen Tadel gedroht, der in seine Personalakte eingegangen wäre. Er zeigte sich daraufhin kooperativ und begleitete das Team zu den beiden Pkws. Beim Einsteigen hat er dann zwei Feldjäger überraschend k.o. geschlagen und ist erfolgreich in den Tiergarten getürmt. Der Mann ist ein durchtrainierter Elite-Soldat, der mit bloßen Händen auf sechsundfünfzig verschiedene Arten töten kann und Marathon läuft. Seine Beurteilungen sind in jeder Hinsicht exzellent. Den Feldjägern ging schon nach zwei Minuten die Puste aus. Aus der Wäsche in seinem Rucksack, den er bei seiner Flucht zurückgelassen hat, schließen wir, dass er seit drei oder vier Tagen unterwegs ist. Und genau das ist aus einem weiteren Grund merkwürdig. Wir haben seine Kontobewegungen rekonstruiert, die eine solche Reise nicht tragen. Er hat vor einer Woche das letzte Mal einhundert Euro am Automaten abgehoben, in der Zwischenzeit aber keine Fahrkarten übers Internet gebucht oder mit Karte getankt. Die Reise nach Berlin und die letzte Woche kann er also nicht selbst finanziert haben.«
»Vielleicht hat er seine Mutter angepumpt?«, gab Ellen zu bedenken.
»Das СКАЧАТЬ