Название: Halbtier
Автор: Böhlau Helene
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 4064066114619
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Die Schulbuben waren wie versessen auf das seltene Schauspiel, und auch die alten Weiber hatten gestanden und gestanden ohne Aufhören. Was thut nicht so ein altes Weib, wenns was zu sehen giebt. Da haben sie Kräfte wie Dämonen.
Die Schulbuben hatten sich um die uralten Sarghenkel gerauft, die hin und wieder zu Tage gefördert wurden, verrostet und wie in eine Schicht von Kies eingebacken.
Es waren Altertümer — wirkliche Altertümer, die Jahrhunderte bei den Toten gelegen — also ganz echt, wahre Schätze.
Über diesen Haufen neugieriger Lebewesen, die sich um die armen Knochen drängten, war das Hochgewitter hereingebrochen.
Der erste, große, freie Donnerschlag hatte auch sie überrumpelt, und der mächtige Regenguß sprühte die Menge an und vertrieb sie.
Sie waren wie weggewaschen, — auch der Kapuziner und der pflichtgetreue Schutzmann; nur die Knochen unter den zerrissenen triefenden Bahrtüchern blieben über der aufgewühlten Erde, die im Nu zu einem braunen Tümpel umgestaltet war.
*
Ein Schädel war vom Regenstrom aus dem Sande frei gespült.
Er lag mitten im Wassertümpel. Seine Glatze schaute ein wenig darüber hinaus. Die Wellchen spülten um die kleine beinerne Insel.
Aus dem Fenster eines großen Zinshauses schaute ein Mädchen auf den eirunden gelblich bräunlichen Fleck.
‚Ein Stein‘ dachte sie — ‚oder?‘
Schon lange hatte sie sich am Fenster aufgehalten und hinausgesehen, bald halb knieend, auf dem Stuhl, bald im Stuhl lehnend, die jungen Hände um das Knie gefaltet; bald hatte sie mit den Fingern am Fensterglas leise geklimpert oder eine Lockenspitze zwischen die Zähne genommen und daran geknabbert.
Der kleine feste Kopf mit dem dunkeln Geschau, prächtig frei auf dem schlanken Hals sitzend, war unverwandt auf das geschäftige Wühlen der Arbeiter gerichtet.
Wenn sie da unten wieder einen Fund gethan, ist sie immer mit ganzer Seele dabei gewesen. ‚So etwas! — so ein Glück, die grausliche Geschichte vor dem Fenster zu haben! Wie gut, daß sie hier gemietet hatten!‘
Sie sah so befriedigt aus. Über ihr, am weißen, verwaschenen Fenstervorhang, hängt ein fünffaches Kißchen, eins über dem andern, aus gelbem Atlas, ein Riechkißchen mit Irispulver gefüllt, und dieser trockene Duft berührt mit jedem Atemzug ihre Geruchsnerven.
Das Zimmer, in dem sie sich aufhält, paßt nicht gerade gut zu der verwöhnten hingerekelten Gestalt des jungen Geschöpfes.
Es hat etwas Spießbürgerliches, etwas Verbrauchtes, etwas, aus dem sie herausgewachsen ist.
Es sind da auch zwei Seelen in dem einen Raum zu spüren. Zwei grundverschiedene Seelen, mit grundverschiedenen Angewohnheiten.
Das eine schmale Bett mit einem roten, altertümlichen Stück Damastseide zugedeckt, das nach einer Altarverkleidung aussieht; das andere Bett ganz unbedeckt und unsäglich sorgfältig hergerichtet, kein Fältchen, keine Unebenheit. Über diesem Bett hängen Photographien von Familiengliedern, Freundinnen.
Ganze Regimenter Kotillonsträußchen sind zu Sternen und Rosetten geordnet, japanische Papierfächer und allerhand Krimskrams, alles wohl abgestäubt.
An der Wand des Bettes mit der geflickten Purpurdecke ist nichts dergleichen zu sehen; nur ein paar unaufgezogene Originalphotographien nach alten Meistern sind hier mit gelben Zeichenstiften fest gemacht.
Die tiefen, vornehmen Töne unterbrechen das Banale der Wand.
*
Die Thür zum Nebenzimmer wird geöffnet und eine weinerliche Stimme sagt:
„Hast du denn garnichts weiter zu thun?“
Die Stimme gehört einer langen schlanken Frau mit kleinem Kopf und feiner Gestalt.
„Ach — das ist doch zu arg!“
Jetzt wendete sich das Mädchen um. Sie schien zuerst nicht gehört zu haben.
„Mama?“ antwortete sie.
„Thust du denn auch gar nichts?“ — dieselbe weinerliche Stimme.
„Was soll ich denn thun?“
„Siehst du denn nicht, wie ich mich plage?“
„Ach Mama.“
Es lag so etwas in dieser gedehnten müden Antwort, als wollte sie sagen: Laß doch! Ich weiß wirklich nicht, was ich thun soll. Du plagst dich doch auf alle Fälle!
„Nun, und Marie, weiß die es etwa nicht?“
„Ja wohl, gescheidter wär’s aber, ihr ließt das Mädel mehr arbeiten, ihr verderbt jedes Mädchen.“
„Werden etwa alle Tage Kapuziner hier ausgegraben?“
„Das fehlte auch noch! Wie kannst du da nur immer zusehn? Ich bin froh, wenn ich nichts davon gewahr werde.“
„Laß mich doch!“
„Frau Doktor!“ rief dreimal hinter einander die ungebildete überlaute Stimme des Dienstmädchens vor der Thür.
Und, als hätte ihr Vorgesetzter gerufen, war Frau Doktor Frey hastig zum Zimmer hinausgeschlüpft.
Die junge Isolde seufzte, dehnte sich und hockte sich wieder am Fenster zurecht.
Der Regen hatte nachgelassen. Der Tümpel auf dem Totenfeld war fast eingekrochen. Schimmernde Wasserblasen saßen im Sande und platzten und ließen einen feinen schwarzen Ring zurück, aus winzigen Kohlen- und Holzteilchen gebildet.
Auch der ganze Tümpel hatte die verschiedenen Stadien seines Einkriechens mit schwarzen Linien bezeichnet — tripp, trapp, troll.
Hier hatte er ein wenig gezögert, hier wieder, hier wieder. Es war wie eine feine Linienarbeit.
Die kleine beinerne Insel, um die die Wellchen des Tümpels gespült hatten, der Schädel, lag jetzt ganz frei; auch um die Stirn saß das schwarze Linienwerk in perlmutterschimmernden Bläschen und leichtem Wasserschaum.
Das alles sah das junge Mädchen. Sie hatte aus einem Schubfach ein Opernglas genommen und hielt es auf den Schädel gerichtet.
Dann ging sie im Zimmer auf und nieder, ganz nachdenklich und nahm dann wieder das Opernglas.
Die Dämmerung brach herein und am Himmel drohten schwarzblaue Wolken zu neuem Regenguß.
Es kam ein Nachtrab.
Vielleicht erst jetzt das Wahre! Auch der Wind hatte sich wieder erhoben. Die Leute rannten schon mit aufgespannten Regenschirmen.
Des Mädchens ganzes Benehmen wurde ein unruhiges; etwas Unschlüssiges lag in ihren Bewegungen.
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