Название: Gesammelte Werke
Автор: Isolde Kurz
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962812515
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Obgleich das bisschen Lernen in Gesellschaft des Bruders mühelos und mit Riesenschritten vor sich ging – Lesen, Rechtschreiben, das Einmaleins, die Mythologie, die Anfänge der Geschichte glitten uns wie von selber zu –, so wurde ich doch in Bezug auf die Leichtgläubigkeit noch lange nicht gescheiter. Was man mir sagte, nahm ich ohne weiteres für wahr und schmückte es noch durch die Einbildung aus. Im Kämmerchen unserer Josephine befanden sich drei ungebrauchte kaufmännische Rechnungsbücher von einem Umfang, der mir, an meiner eigenen Größe gemessen, riesenhaft erschien. Auf eines dieser Bücher richteten wir zwei älteren Kinder unser Begehr, um es mit den Erzeugnissen unserer Zeichenkunst zu füllen. Fina, die Gute, widerstand lange, endlich überließ sie uns eines, und als es vollgeschmiert war, auch das zweite. Wir zeichneten unser selbsterfundenes Märchen vom Schnuffeltier und Buffeltier hinein, von dem wir jeden Tag ein neues Begebnis ersannen. Fina sah uns zu, aber immer von Zeit zu Zeit seufzte sie: Ach, was wird Herr Sch. sagen, der mir diese Bücher zum Aufheben gegeben hat! (Herr Sch. war ein Jugendbekannter Mamas, dessen Namen wir oft gehört hatten.) Gewiss wird er einmal kommen und nach den Büchern fragen. Und wenn er sie in diesem Zustand findet, dann setzt er mir den Kopf zwischen die Ohren.
Diese Reden ängstigten mich unaussprechlich. Ich hielt das Kopf-zwischen-die-Ohren-Setzen für eine grausige Marter, und es war fürchterlich, dass unserer treuen Pflegerin diese Gefahr um unseretwillen drohte. Gleichwohl half ich auch das nächste Buch beschmieren, aber immer dachte ich an den gefürchteten Herrn Sch. und ob er nicht komme. An einem Spätnachmittag trat ein elegant gekleideter Herr in senfgelbem Überzieher in unser Haus und fragte nach Mama. Augenblicklich durchzuckte es mich: Das ist er! Und er war es in der Tat, wie ich aus Josephinens Begrüßung ersah. Sie wies ihn die Treppe hinauf und kehrte heldenhaft in ihre Küche zurück, gefasst, wie mir schien, das äußerste zu leiden. Ich wäre am liebsten jammernd in den Garten entwichen, aber ein kategorischer Imperativ zwang mich, wiewohl an allen Gliedern schlotternd, dem Furchtbaren die Treppe hinauf nachzuschleichen, ob ich nichts zur Rettung unserer Geliebten zu unternehmen vermöchte. Was ich nun am Schlüsselloch sah und hörte, war so merkwürdig, dass ich auf einmal alle Angst vergaß und nur Augen und Ohren aufsperrte. Der fremde Herr saß ganz vertraulich neben meiner Mutter und hatte eine Anzahl messingener und zinnerner Röhren auf dem geschliffenen Sofatisch ausgebreitet, das zerlegte Modell einer Erfindung, durch die er jeden Krieg siegreich, aber unblutig beenden zu können vermeinte. Es war, wenn meine Mutter, von der ich diese Erklärung habe, ihn richtig verstand, ein Geschütz, durch das ganze Heere mittels abgeschossener feiner Ketten umspannt und wehrlos gemacht werden sollten, und der fantasievolle Erfinder hatte die Absicht, damit nach Paris zu reisen und das Modell an Napoleon III. zu verkaufen. Meine sonst so geistvolle Mutter verstand von Mechanik nicht viel mehr als ihr Töchterlein am Schlüsselloch und war fast ebenso leichtgläubig. – Was, an den Tyrannen? hörte ich sie entrüstet sagen. Du solltest dich schämen, der Reaktion zu dienen. Ich hoffe, dass du dich anders besinnst und mit dem Modell nach Italien zu Garibaldi fährst, damit er es zum Heil der Freiheit verwende.
Der Besucher packte seine Röhren zusammen und antwortete, er werde jetzt, wie geplant, nach Paris reisen und sein Geheimnis um zwei Millionen dem Franzosenkaiser verkaufen, weil er das Geld brauche. Hernach aber wolle er jenen um den Vorteil bringen, indem er ein zweites Modell Garibaldi unentgeltlich zur Verfügung stelle. Er ging auch in die Küche und sprach vertraulich mit Josephine, und als er fort war, überzeugte ich mich, dass ihr Kopf auf dem alten Flecke stand. Ich wagte endlich wegen der Bücher zu forschen, da gestand sie, mich nur geneckt zu haben. Die Bücher waren ihr Eigentum, über das sie frei verfügen konnte. Der Herr, dessen sinnreiche Einfälle übrigens bekannt waren, hatte einmal mit seiner Frau als Gast bei meiner damals noch unverheirateten Mutter gewohnt, und da er eben nicht bei Kasse war, Josephine jene unbenutzten Bücher statt eines anderen Entgelts für ihre Dienste hinterlassen.
Die vielen bei Tage ausgestandenen Ängste, die ich meist aus unüberlegten СКАЧАТЬ