Gesammelte Werke. Isolde Kurz
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Название: Gesammelte Werke

Автор: Isolde Kurz

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier

isbn: 9783962812515

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СКАЧАТЬ ihr der Schritt ge­sperrt wur­de, und der Gast är­ger­te sich hef­tig, ohne dass er bei der ab­göt­ti­schen Lie­be, die mei­ne Mut­ter für ihre Klei­nen hat­te, es wa­gen durf­te, mich vor die Tür zu set­zen. Er woll­te sich da­her in Güte mit mir ei­ni­gen, und nach­dem er sich ei­nes Ta­ges doch zu ei­nem Aus­gang ent­schlos­sen hat­te, brach­te er eine Tüte voll Zucker­werk mit, dem er den mir noch un­be­kann­ten Na­men Bon­bons gab. Die­ses un­schö­ne Wort für einen so schö­nen Ge­gen­stand miss­fiel mir sehr: in dem na­sa­len O und in der Ver­dop­pe­lung der Sil­be fühl­te ich dun­kel et­was Gro­blüs­ter­nes und Un­wür­di­ges. Wie mich ein neu­es Wort, das mei­nen Ohren schön oder ge­heim­nis­voll klang, in einen stil­len Rausch ver­set­zen konn­te, auch wenn ich sei­nen Sinn gar nicht ver­stand, ja dann erst recht, so­dass ich da­mit um­her­ging wie mit dem schöns­ten Ge­schenk, so gab es an­de­re, die mir einen Wi­der­wil­len ein­flö­ßten und die ich ein­fach nicht in den Mund nahm. Ich wur­de nun auf den brei­ten höl­zer­nen Tritt ge­setzt, der das hal­be Zim­mer aus­füll­te, und un­ter dem Be­ding, mich für eine Wei­le ru­hig zu ver­hal­ten, er­hielt ich ein run­des bern­stein­far­bi­ges Zucker­chen, das ich als­bald in Ar­beit nahm. Aber es rutsch­te mir glatt den Hals hin­un­ter, mich um den Ge­nuss be­trü­gend. So­gleich brach ich den Frie­den, in­dem ich wie Queck­sil­ber auf­fuhr und mich mi­au­end zwi­schen die Knie der Mut­ter klemm­te, in der Hoff­nung, eine Ent­schä­di­gung zu er­lan­gen. For­dern moch­te ich sie nicht, weil ich nicht wuss­te, wie das Ding be­n­am­sen, da mir das wi­der­wär­ti­ge Wort, das ich ganz leicht hät­te aus­spre­chen kön­nen, nicht von der Zun­ge woll­te. Ich ant­wor­te­te also auf die er­schreck­te Fra­ge, was mir ge­sche­hen sei, nur, ich hät­te »das Ding« ver­schluckt. Was für ein Ding? frag­te sie, schon an al­len Glie­dern zit­ternd, denn sie dach­te an ir­gend­ei­nen spit­zi­gen oder gar gif­ti­gen Ge­gen­stand. Das Ding! Das Ding! rief ich ge­ängs­tigt, dass man mich nicht ver­stand, und nun erst recht ent­schlos­sen, das ver­haß­te Wort kei­nen­falls aus­zu­spre­chen. Mama war schon aus der Tür ge­stürzt, um den Arzt zu ru­fen, aber der Gast hat­te die Geis­tes­ge­gen­wart, mich bes­ser ins Ver­hör zu neh­men: Wie sah denn das Ding aus? – Es war rund und gelb und ganz süß, sag­te ich schnell, er­leich­tert, dass ich nun end­lich den Weg sah, mich ver­ständ­lich zu ma­chen. Du dum­mes Kind, das war ja dein Bon­bon, konn­test du das nicht gleich sa­gen? hieß es nun. Mama wur­de zu­rück­ge­ru­fen, die mich ju­belnd als eine Ge­ret­te­te in die Arme schloss, ich er­hielt ein zwei­tes Bon­bon, das ich trotz dem wid­ri­gen Na­men ver­gnügt in Empfang nahm, und das Zwie­ge­spräch konn­te end­lich sei­nen Fort­gang neh­men. Aber die­sen Zwi­schen­fall hat mir Pfau nie ver­ges­sen. Er ver­si­cher­te mir spä­ter oft, ich sei das un­aus­steh­lichs­te Kind ge­we­sen, was ich ihm von sei­nem Stand­punkt aus ger­ne zu­ge­ben will.

      Früh­zei­tig schlich sich auch die Nacht­sei­te des Le­bens in mei­ne In­nen­welt. Die Miss­ge­stal­ten des Struw­wel­pe­ters ar­bei­te­ten zum Nach­teil mei­nes See­len­frie­dens in mei­ner Fan­ta­sie, die ge­nö­tigt war, im Traum noch mehr sol­cher Un­ge­heu­er zu er­zeu­gen. Eins der schreck­lichs­ten war der Hä­kel­mann, eine Ge­stalt, die mich jah­re­lang ver­folg­te. Er war lang und ma­ger mit gras­grü­nem Frack und ro­ten Bein­klei­dern und fuhr blitz­schnell durch alle Zim­mer, in­dem er mit ei­nem lan­gen Ha­ken die Kin­der, die sich vor ihm ver­kro­chen, un­ter den Ti­schen und Bet­ten her­vor­zu­hä­keln such­te. Wann er er­schi­en, brach­te er das gan­ze Haus um den Schlaf, so furcht­bar war mein Angst­ge­schrei. Wie bei Nacht vor dem Hä­kel­mann, so fürch­te­te ich mich wa­chend vor der Licht­putz­sche­re, die da­mals noch im Ge­brau­che war. Ich hat­te näm­lich auf ei­nem Bil­der­bo­gen eine sol­che ge­se­hen, die ein klei­nes Mäd­chen ein­schnapp­te, und glaub­te mich seit­dem zum glei­chen Schick­sal be­stimmt. Wenn es däm­mer­te und die Ker­zen an­ge­zün­det wur­den, so blin­zel­te ich im­mer mit tie­fem Miss­trau­en nach der mes­sin­ge­nen Putz­sche­re, und so oft sie in Tä­tig­keit trat, fürch­te­te ich, in dem gäh­nen­den schwar­zen Ra­chen ver­schwin­den zu müs­sen, denn so früh­reif ich in al­lem an­de­ren war, die Grö­ßen­ver­hält­nis­se wa­ren mir noch im­mer nicht auf­ge­gan­gen. Des­glei­chen gab es im Hau­se einen Bil­der­ka­len­der mit ei­ner Ka­ri­ka­tur, aus der ich schreck­li­che Ängs­te sog: das wa­ren die Krän­ze­les­frau­en. Mit groß­ge­blum­ten Klei­dern im Bie­der­mei­er­stil, Kaf­fee­kan­nen und Tas­sen in der Hand, sa­ßen sie um einen run­den Tisch; sie hat­ten grau­si­ge Dra­chen­köp­fe auf lan­gen, schlan­gen­ar­ti­gen Häl­sen und auf den Köp­fen große ni­cken­de Hau­ben, und sie neig­ten die­se un­heim­li­chen Köp­fe gei­fernd und schnat­ternd ge­gen­ein­an­der. Ein län­ge­res Ge­dicht mit Auf­zäh­lung ih­rer Un­ta­ten war bei­ge­ge­ben, wo­von je­der Vers mit dem Kehr­reim schloss: Hü­tet euch vor den Krän­ze­les­frau­en. Ich nahm mir na­tür­lich vor, mich vor die­sen Un­ge­tü­men zu hü­ten, doch hat mir das im Le­ben we­nig ge­nutzt, denn als ich ih­nen spä­ter leib­haf­tig be­geg­ne­te, da hat­ten sie lei­der kei­ne Dra­chen­köp­fe noch Schlan­gen­hälse, wor­an ich sie zu er­ken­nen ver­mocht hät­te; sie schnat­ter­ten mir auch nicht ent­ge­gen, son­dern küss­ten mich auf bei­de Wan­gen, und erst wenn ich den Rücken ge­dreht hat­te, spritz­ten sie ihr Gift. Da wuss­te ich nun, wes­halb sie mir in den frü­he­s­ten Kin­der­jah­ren den töd­li­chen Ab­scheu ein­ge­flö­ßt hat­ten.

      Mei­ne ers­te Be­kannt­schaft mit den Krän­ze­les­frau­en fällt üb­ri­gens schon nicht mehr in mei­ne il­li­te­ra­te Zeit, denn ich er­in­ne­re mich, be­sag­tes Ge­dicht zu wie­der­hol­ten Ma­len selbst ge­le­sen zu ha­ben. Al­ler­dings hat­te ich die­se Kunst schon im drit­ten Jahr, dem äl­te­ren Bru­der zur Ge­sell­schaft, un­ter müt­ter­li­cher Lei­tung zu er­ler­nen be­gon­nen. Auch in die klas­si­sche Li­te­ra­tur wur­de ich be­reits ein­ge­führt, denn Mama ließ mich als ers­tes das Uh­land­sche Ge­dicht vom Wir­te wun­der­mild schrei­ben und aus­wen­dig her­sa­gen; und et­was spä­ter, es mag zwi­schen mei­nem vier­ten und fünf­ten Le­bens­jahr ge­we­sen sein, las sie mir Schil­ler­sche Bal­la­den vor, die mich sehr ent­zück­ten, mit Aus­nah­me der Bürg­schaft, die ich als einen unz­ar­ten An­griff auf mei­ne Trä­nen­drü­sen emp­fand und ver­stimmt ab­glei­ten ließ. Der schein­ba­re Kalt­sinn em­pör­te mein ra­sches Müt­ter­lein, sie schalt mich einen Eis­klotz und hielt mir zur Rüge vor, dass mein von mir sehr be­wun­der­ter Bru­der Ed­gar beim Vor­le­sen in Trä­nen zer­flos­sen sei. Aber es half nichts, ich konn­te über die Bürg­schaft nicht wei­nen, und es war ge­ra­de die früh­rei­fe Emp­fäng­lich­keit, die mich ge­gen das grö­be­re Pa­thos stör­risch mach­te. Die Bürg­schaft ist auch zeit­le­bens für mich auf dem In­dex ge­blie­ben, ein Be­weis für die voll­kom­me­ne Un­ver­än­der­lich­keit un­se­rer an­ge­bo­re­nen In­nen­welt.

      Hier zie­he ich einen Sie­ben­mei­len­schuh an und stap­fe ohne wei­te­res in un­se­re Obe­reß­lin­ger Tage hin­über. Da ich aber alle äu­ße­re Sze­ne­rie so­wie die Fül­le der teils rüh­ren­den, teils wun­der­li­chen Käu­ze, die un­se­re Kin­der­stu­be um­ga­ben, schon in mei­ner Her­mann-Kurz-Bio­gra­fie aus­führ­lich ge­schil­dert habe, wer­de ich auch hier fort­fah­ren, nur von den in­ne­ren Er­leb­nis­sen zu re­den, an de­nen das klei­ne Men­sch­lein all­mäh­lich zum Men­schen ward.

      Das nächs­te, was sich mir ein­ge­prägt hat, war eine ers­te Lie­be – o dass sie ewig grü­nend blie­be! Aber sie nahm lei­der ein Ende mit Schre­cken. Ich war jetzt fünf Jah­re alt, und er hieß Dr. Adolf Bac­meis­ter. СКАЧАТЬ