Gesammelte Werke. Isolde Kurz
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Название: Gesammelte Werke

Автор: Isolde Kurz

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier

isbn: 9783962812515

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      1 Her­mann Kurz. Ein Bei­trag zu sei­ner Le­bens­ge­schich­te. Mün­chen 1906, bei Ge­org Mül­ler. Jetzt Stutt­gart, Deut­sche Ver­lags-An­stalt. <<<

      2 Flo­ren­ti­ni­sche Erin­ne­run­gen. Mün­chen 1910, bei Ge­org Mül­ler. 2. Aufl. Jetzt Stutt­gart, Deut­sche Ver­lags-An­stalt. <<<

      Es hat einen tie­fen Reiz für das geis­ti­ge Ich, sei­nen ei­ge­nen An­fän­gen nach­zu­spü­ren. Wann und wie ist von die­sem Be­wusst­sein, das spä­ter die gan­ze Welt des Sei­en­den, des Ge­we­se­nen und gar noch des Künf­ti­gen um­span­nen möch­te, der ers­te Fun­ke auf­ge­däm­mert? Die täg­li­che Um­ge­bung, in die wir hin­ein­ge­bo­ren wur­den, lässt kaum einen be­wuss­ten Ein­druck zu­rück, sie ist uns das Selbst­ver­ständ­li­che ge­we­sen, auch sind es nicht Per­so­nen, son­dern Din­ge, die uns zu­erst die Vor­stel­lung der Au­ßen­welt als mit uns im Ge­gen­satz be­find­lich ge­ben.

      Am An­fang mei­ner Erin­ne­run­gen steht ein Rad. Die­se frü­he­s­te Ge­dächt­niss­pur hat sich mir in mei­nem acht­zehn­ten Le­bens­mo­nat ein­ge­gra­ben. Es war ein mit grü­nem Schlamm be­han­ge­nes, ver­wit­ter­tes Mühl­rad, das sich in ei­nem ei­len­den Schwarz­wald­bach dreh­te. Ich hielt es für den großen Garn­has­pel un­se­rer Jo­se­phi­ne, wor­aus ich schlie­ßen muss, dass mir die­ser schon eine ganz ge­läu­fi­ge Vor­stel­lung war, aber wann ich sei­ner be­wusst wur­de, weiß ich nicht. Das Rad war also nicht das ers­te, ich müss­te viel­leicht sa­gen: im An­fang war der Has­pel; al­lein nun stut­ze ich wie der Dok­tor Faust bei der Bi­bel­über­set­zung: ich kann den Has­pel so hoch un­mög­lich schät­zen. Es müs­sen noch an­de­re Er­kennt­nis­se in Men­ge vor und mit dem Has­pel ge­we­sen sein, je­doch sie sind auf ewig un­ter die Schwel­le mei­nes Be­wusst­seins hin­ab­ge­taucht, und das Mühl­rad steht als ers­ter si­che­rer Mei­len­stein auf mei­ner Le­bens­stra­ße. Ich zap­pel­te also vom Arm des Kin­der­mäd­chens her­un­ter, um den ver­meint­li­chen Has­pel aus dem Was­ser zu lan­gen – die Grö­ßen­ver­hält­nis­se wa­ren mir noch nicht auf­ge­gan­gen – und ich setz­te durch die­se Ab­sicht das Mäd­chen in be­rech­tig­tes Er­stau­nen, denn sie trug mich schleu­nig hin­weg, wo­bei ich mei­ne Miss­bil­li­gung durch Schrei­en und Tre­ten aufs leb­haf­tes­te äu­ßer­te. Die­ses Mäd­chen hieß Jus­ti­ne, sie war bei der gleich­na­mi­gen Hel­din des Weih­nachts­fun­des, den mein Va­ter um jene Zeit schrieb, Pate ge­stan­den, und der Auf­tritt spiel­te auf ei­ner moos­be­wach­se­nen Stein­brücke in dem klei­nen Schwarz­wald­bad Lie­ben­zell, die ich bei ei­nem vor we­ni­gen Jah­ren dort ab­ge­stat­te­ten Be­such auf der Stel­le wie­der er­kann­te.

      Die­sel­be Jus­ti­ne, die, bei­läu­fig ge­sagt, erst vier­zehn Jah­re alt war, mir aber als eine sehr ehr­wür­di­ge Per­sön­lich­keit er­schi­en, trug mich ein­mal in eine Schmie­de, wo ru­ßi­ge Män­ner tief in­nen um lo­dern­des Feu­er han­tier­ten. Ich sah sie mit un­be­schreib­li­chem Ent­set­zen und hielt sie für Teu­fel. Wie aber kam der Teu­fel, von dem ich nie ge­hört hat­te, in mei­ne Vor­stel­lung? Ich weiß es nicht und kann nur an­neh­men, dass der Teu­fel zu den an­ge­bo­re­nen Be­grif­fen ge­hört. Ich schrie und sträub­te mich ge­wal­tig, als es in die­se Höl­le ging, und als gar ei­ner der Schwar­zen – es war, wie ich spä­ter er­fuhr, der Va­ter des Mäd­chens – sich mir ver­bind­lich nä­hern woll­te, ließ ich je­nes im gan­zen Ort be­kann­te Ge­schrei er­tö­nen, wor­an mich der Nacht­wäch­ter stra­ßen­weit zu er­ken­nen pfleg­te, dass das Mäd­chen ei­ligst mit mir das Wei­te such­te. Ich konn­te mich üb­ri­gens da­mals schon ganz gut ver­ständ­lich ma­chen, denn ich sprach, wie man mir er­zähl­te, schon im ers­ten Le­bens­jahr zu­sam­men­hän­gend. Mein um elf Mo­na­te äl­te­res, sonst sehr be­gab­tes Brü­der­chen Ed­gar lern­te es erst an mei­nem Bei­spiel. Aber wahr­schein­lich hät­te er es eben­so früh wie ich ge­konnt und ließ sich nur durch ir­gend­ein in­ne­res Hemm­nis die Zun­ge bin­den, denn er war ein wun­der­li­ches, äu­ßerst schwie­rig ver­an­lag­tes klei­nes Men­schen­kind, dem mei­ne grö­ße­re Un­be­fan­gen­heit eben­so nütz­lich war wie mir sein schon ent­wi­ckel­te­rer Ver­stand.

      Mein nächs­ter blei­ben­der Ein­druck war ein frisch­ge­fal­le­ner Schnee in den Stra­ßen von Stutt­gart, den ich mit in­ni­ger Freu­de für Streu­zu­cker an­sah. Dann aber kam eine Stun­de un­ver­ge­ss­li­chen Jam­mers. Un­se­re Jo­se­phi­ne, das ge­lieb­te Erb­stück aus dem groß­vä­ter­li­chen Hau­se, hat­te mich im Wä­gel­chen auf den Schloss­platz ge­führt und war un­ter der so­ge­nann­ten Ehren­säu­le, die auf ei­nem, wie mir schi­en, him­mel­ho­hen Un­ter­bau eine Grup­pe von Stein­fi­gu­ren trägt, mit mir an­ge­fah­ren. In ei­ner die­ser Ge­stal­ten glaub­te ich un­se­re Mut­ter zu er­ken­nen und rief sie er­schro­cken an her­ab­zu­kom­men. Da sie sich nicht reg­te, schrie ich im­mer ängst­li­cher und fle­hen­der mein »Ma­ma­le, komm lun­ter«. Die­ses star­re, stei­ner­ne Da­ste­hen flö­ßte mir eine ban­ge Furcht, ein wach­sen­des Grau­en ein, ich be­gann zu ah­nen, dass es ein Ent­rückt­sein ge­ben kön­ne, wo kein Ruf die ge­lieb­te See­le mehr er­reicht. In mei­nen Jam­mer misch­te sich noch ein dunkles Schuld­ge­fühl, als ob die­ses Un­glück die Stra­fe für ir­gend­ei­ne von mir be­gan­ge­ne Un­bot­mä­ßig­keit wäre, ich brach in ein fürch­ter­li­ches Weh­ge­schrei aus und blieb für alle Trös­tun­gen taub, wäh­rend man mich schrei­end die gan­ze Kö­nigs­tra­ße ent­lang nach Hau­se führ­te, wo erst der le­ben­di­ge An­blick der für ver­lo­ren Be­wein­ten mir den Frie­den wie­der­gab.

      Und dann sehe ich in eben die­ser Kö­nigs­tra­ße eine brau­ne ein­flü­ge­li­ge Ei­chen­tür mit mes­sin­ge­ner Klin­ke, die so nied­rig stand, dass ich sie mit ei­ni­ger Mühe ge­ra­de er­rei­chen und auf­drücken konn­te. Sie führ­te in einen Bäcker­la­den, den wir Kin­der täg­lich auf un­se­rem Spa­zier­gang mit Jo­se­phi­ne be­such­ten. Dort durf­te je­des von uns sich ein schmack­haf­tes Back­werk, eine so­ge­nann­te »See­le«, sel­ber vom Tisch lan­gen. Ei­nes Ta­ges kam Ed­gar mit sei­ner Wahl nicht zu­stan­de. Wel­che See­le man ihm an­bot, es war im­mer nicht die rech­te. Er wur­de dar­über sehr schwer­mü­tig und er­klär­te im­mer­zu: ’s Her­ze­le will was und ’s Her­ze­le kriegt nix. Als Jo­se­phi­ne nach vie­len ver­geb­li­chen Ver­su­chen, ihn zu be­frie­di­gen, end­lich mit uns den La­den ver­ließ, ver­wan­del­te sich sein Gram in lau­ten Jam­mer, und wäh­rend wir an­de­ren freu­dig un­se­re See­len ver­zehr­ten, er­fuhr es die gan­ze Kö­nigs­tra­ße hin­ab je­der Vor­über­ge­hen­de, dass das Her­ze­le et­was woll­te und nichts be­kam. Da­heim er­goss sich der Ent­täu­schungs­schmerz in einen Strom von Trä­nen, bis Jo­se­phi­ne ih­ren Lieb­ling still bei­sei­te nahm und ihm die heim­lich ein­ge­steck­te See­le reich­te. Er ver­zehr­te sie be­frie­digt und sag­te dann: ’s Her­ze­le will noch mehr.

      In mein drit­tes Le­bens­jahr fällt die ers­te Be­kannt­schaft mit dem Dich­ter Lud­wig Pfau, der als po­li­ti­scher Flücht­ling in Pa­ris leb­te und nun zu heim­li­chem Be­su­che nach Stutt­gart ge­kom­men war. Es ver­kehr­ten zwar vie­le Freun­de in mei­nem El­tern­hau­se, aber sie alle tau­chen СКАЧАТЬ