Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen. August Sperl
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Название: Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen

Автор: August Sperl

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788075831439

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СКАЧАТЬ Turme des heiligen Martin klangen acht Schläge hinaus in die Nacht, und der Regen klatschte gußweise herab auf die Dächer.

      Hansjörgs Wunsch hatte sich erfüllt: er saß in der Malefikantenstube des Rathauses, und an seinem Tische saß ein Strolch.

      »Müßt eben vorlieb nehmen mit mir, Junker,« sagte der Strolch und blickte begehrlich auf die Speisereste. »Es ist gar still in der Herberge der Wohlweisen und Fürsichtigen. Gefällt's Euch nicht hierinnen?«

      Portner schwieg.

      »Seht, Junker, das ist eine närrische Welt,« begann der Strolch aufs neue. »Was für den einen die größte Wohlthat ist, das bedeutet für den andern einen großen Jammer und Abscheu. Und für mich ist diese Stube eine Wohlthat, von wegen der Wärme. Wenn ich nur nicht so lachbar hungrig wäre!«

      »Iß!« befahl Portner und schob die Speisereste hinüber.

      »O Herr,« sagte der Stelzfuß und griff gierig zu, »vergelt's Gott, möcht' ich wünschen, wenn's kein Blödsinn wär'!«

      »Warum sollte das ein Blödsinn sein?«

      »Weil's dem Herrn im Himmel wohl recht ein Ding sein mag, ob Ihr mir Brot und Käse schenkt, oder ob Ihr beides aus dem Fenster in den Kot werfet. – Wenn's überhaupt einen Herrn da droben giebt,« setzte er hinzu und lachte kurz auf.

      Portner erhob sich und ging langsam in die andre Ecke der Stube. ›Wenn's überhaupt einen Herrn da droben giebt,‹ murmelte er; ›ob ich wohl auch so widerlich ausgesehen habe gestern – so gottverlassen widerlich?‹

      »Bist du immer so gottlos gewesen, du mit deinem Stelzfuße?«

      Der andre kaute und schluckte gemächlich und blinzelte behaglich herüber. »Gottlos? Seht, Junker, das ist ein Ding von eigner Bewandtnis. Immer, wenn ich hungrig bin, ist mir auch gottlos zu Mute. Habe ich zu essen, dann schlägt meine Meinung um. Und jetzt gerade bin ich wieder auf dem besten Wege, fromm zu werden – und das ist Eure Schuld. Ich schätze, meine Gottesfurcht hat ihren Sitz im Magen. Und, Herr, ich kann Euch versichern, bei den meisten Menschen sitzt sie im Magen.«

      »Pfui!« sagte Portner.

      »Pfui, Herr? Sagt an, Herr, habt Ihr allzeit die Hände gefaltet in der Kälte und in der Hitze?«

      Portner schwieg. Dann fragte er:

      »Hast du, armer Mensch, keine Mutter gehabt?«

      »Ist eine überflüssige Frage,« rief der Stelzfuß und versuchte zu lachen. Doch seine Augen blickten zornig.

      »Und hat sie niemals gebetet mit dir?«

      »Ist auch eine überflüssige Frage,« rief der Stelzfuß drohend.

      »Du bist nicht hinter der Hecke geboren, Mann!« sagte Portner und kam näher an den Tisch heran.

      »Was kümmert's Euch?« fragte der Strolch und wandte sein struppiges Gesicht ab.

      »Und es ist dir auch nicht an der Wiege gesungen –«

      »Herr,« sagte der Landstreicher und stieß den Stelzfuß hart auf die Dielen, »laßt mir meinen Vater und meine Mutter schlafen in Frieden, und laßt mir meine Wiege stehen, wo sie gestanden ist. Jeder Mensch hat etwas, woran er keinen rühren läßt – auch ein Landstreicher.«

      »Das unterschreibe ich,« antwortete Hansjörg und setzte sich an den Tisch; »aber es könnte ja auch einer auf meinem Stuhle sitzen, der nicht rühren ließe an unsern Herrgott – könnte, sage ich.«

      »O Herr,« meinte der andre mit trübem Lächeln, »wer von uns Zwergen vermöchte auch zu rühren an ihn?«

      Betroffen sah Portner auf:

      »Und wie bist du in diese Lumpen gekommen?«

      »Und wie seid Ihr an einen Tisch gekommen mit dem Strolche?«

      Hansjörg schwieg.

      Der Landstreicher lachte fast unhörbar:

      »Sind alles überflüssige Fragen. Woher? Wohin? Allezeit überflüssig, zumal aber heutzutage. Aus einer goldbeschlagenen Wiege auf ein blutbeschmutztes Rad, aus einer Lehmhütte auf einen stolzen Gaul, von einem stolzen Gaul auf einen klapperigen Stelzfuß, aus der Ruhe in die Unruhe« – er hielt inne und atmete tief auf – »und, Gott sei gelobt, zuletzt immer und auf allen Wegen in die ewige Ruhe.«

      »Du bist nun wohl gesättigt?« fragte Portner.

      »Weil ich von der ewigen Ruhe spreche? Könnte das nicht auch sehr über alle Maßen gottlos sein? Doch, Herr, es macht sich manch einer schlechter als er ist – die meisten allerdings machen sich besser, als sie sind – was ist Euch lieber?«

      »Und mancher probiert erst, wie der andre beschaffen ist, stimmt seine Geige hoch und tief und je nach dem –«

      »– heult er mit den Wölfen oder singt mit den Engeln,« vollendete der andre mit seinem leisen Lachen. »Das ist richtig, Herr. Und wie weit käme wohl ein Stelzfuß auf der Heerstraße ohne diese Kunst?«

      »Wo hast du das Bein verloren?« fragte Portner.

      »Es ist zugleich mit einer Königskrone und mit einem Kurhut auf die böhmische Erde gefallen, Herr. Die Königskrone und den Kurhut haben sie wieder aufgehoben, aber das Bein, das haben sie eilend verscharrt auf dem weißen Berge, und dort liegt der Knochen. Und wenn mir recht ist, kann der Winterkönig seine Krone und seinen Hut leichter entbehren als ich mein Bein. An solches Bein gewöhnt sich der Mensch, dürft's glauben. Des Morgens vor der Schlacht schnitt ich nur noch liebreich den Nagel an der großen Zehe fein sauber und rundlich, freute mich über das kräftige Bein; des Mittags drauf war der Nagel weg samt dem Beine. Das Nagelschneiden hätt' ich mir ersparen können. Darum ist's ganz richtig, vor der Schlacht soll man sich einmal die Nägel nicht beschneiden. Und, weiß Gott, was ich jetzt sein könnte, wenn ich das Bein noch hätte! Obristwachtmeister oder gar Obrist Seiner Kurfürstlichen Durchlaucht. Und hätt' einen großen Beutel voll Dukaten und könnte fragen: Was kostet denn das halbe Dutzend Landsassengüter in der oberen Pfalz – oder geht's im Dutzend wohlfeiler?«

      Hansjörg Portner sah finster vor sich hin.

      »Wär' eigentlich gar keine üble Zeit, diese Räuberzeit,« fuhr der Strolch fort und faltete die Hände auf der Tischplatte. »Aber was hat ein Strolch davon? – Alle sind Räuber,« flüsterte er; »der Kaiser zieht den Bauern das Fell über die Ohren, daß das Blut zum Himmel dampft, die Fürsten schlagen einander die Hüte vom Kopfe, daß die Federn fliegen, und die Pfaffen drücken einander aus den Kirchen, daß die Teufel Purzelbäume schlagen; Könige werden landflüchtige Bettler, und Soldaten leimen sich Grafschaften und Herzogtümer zusammen wie der Hafner den Kachelofen und der Biber die Wasserburg. Wie lang? Bis einer kommt, der stärker ist als alle und jedem den Raub abjagt. Und er wird kommen, Herr, könnt Euch darauf verlassen. Er kommt, ehe sich's einer versieht, wie ein Blitz vom Himmel und wie ein Dieb in der Nacht. – Aber trocken ist's mir in der Kehle, Herr. Euch nicht? Ei, hätt' ich einen Gulden in der Tasche, dann ließe ich Wein kommen. Wein her! Habt Ihr Sorgen? Sicherlich! Warum trinkt Ihr keinen Wein? Habt Ihr's noch nie verspürt, wie der Wein die Sorgen bricht? Hast dich getragen mit bitteren Sorgen – tagelang, hast dich wund gedacht mit schweren Gedanken – wochenlang, es liegt dir wie Blei im Magen, dein Kopf ist heiß, die Gurgel СКАЧАТЬ