Название: Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme
Автор: Jodocus Temme
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027238149
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»Sie wollten mir einen Beweis liefern, Vetter Aschen.«
»Meine Frage soll für ihn dienen. Ich bitte also um Antwort.«
»Ein Bauerknecht kann ein ganz ehrenwerter Mann sein.«
»Ich meine das auch, und wir haben Beispiele, dass ans Bauerknechten vornehme Grafen und große Generale geworden sind. Ich erinnere Sie an den österreichischen General Grafen Spork; er war Bauerknecht in einem Dorfe meiner Heimat Westfalen. Die hochmütige Tochter seines Bauers verschmähte seine Liebe. Der deutsche Kaiser machte ihn zu seinem General, erhob ihn in den Grafenstand des deutschen Reichs. Aber weiter, mein Vetter, was sagen Sie zu einem Schneidergesellen? Würden Sie dem Großen Kurfürsten unter oder mit dem vormaligen Schneidergesellen, dem Feldmarschall Derfflinger, haben dienen mögen?«
»Es war ein ehemaliger Schneidergeselle, Vetter Aschen?«
»Hm, ja, Vetter Steinau. Aber Sie wissen, dass Derfflinger, der zuerst im schwedischen Heere diente, nach dem Westfälischen Frieden als Fremder von der Schwedenkönigin entlassen wurde. Der Große Kurfürst von Brandenburg nahm ihn darauf in seine Dienste. Wenn dies nun nicht geschehen wäre· oder nicht sogleich, und der Oberst Derfflinger hätte nun — militärische Pensionen gab es damals noch nicht; Vermögen hatte der brave, ehrliche Derfflinger nicht erworben; gelernt hatte er nichts, als das Schwert und die Nadel zu führen; sein Schwert wollte niemand; leben musste er; Straßenräuber oder Dieb wollte er nicht werden; er wollte gern ein ehrlicher Kerl bleiben; da griff er wieder zu seiner Nadel, ernährte sich redlich, bis der Große Kurfürst in seinen Kriegen mit den Polen, Franzosen und so weiter eines tüchtigen Generals bedurfte. Da stieg der vormalige und demnächstige Schneidergeselle Oberst Derfflinger wieder von seinem Schneidertisch herunter, warf die Nadel zum zweiten Male von sich, und der Große Kurfürst machte ihn zu seinem General und später zu seinem Feldmarschall und sagte nicht zu ihm: Tut mir leid; ich kann von Seinen Diensten keinen Gebrauch machen; ein Offizier, der sich zum Schneidergesellen degradiert, kann nicht mehr meiner Armee angehören; kein Offizier, der auf seine Ehre hält, würde mit Ihm dienen wollen. — Ah, Vetter Steinau, ich glaube, ich wollte eine Frage an Sie richten; ich habe sie vergessen. Aber eine andere fällt mir dafür ein: Sie hätten als Kurfürst den Offizier, der nicht mit dem Derfflinger hätte dienen wollen, auf die Festung geschickt? Aber nein, antworten Sie mir noch nicht. In Ihren Kriegsgerichten wird ja wohl, wie auch in andern Gerichten, beim Abstimmen von dem Jüngsten angefangen. Ei, meine jungen Herren Offiziere, darf ich vorab um Ihre Ansicht bitten? Zuerst Sie, Herr Graf Thalhausen.«
Es war eine bedenkliche Frage für den Grafen Thalhausen. Aber er war nicht der Mann, der leicht verlegen wurde.
»Es käme auf gewisse Voraussetzungen an«, sagte er.
»Zum Beispiel, Herr Graf?«
Aber der Graf kam nicht weiter zum Antworten.
Seine Antwort, die er gegeben hatte, sollte ihn doch festgefahren haben.
Sie hatte den General in Zorn gebracht.
»Es kommt auf gar keine Voraussetzungen an«, sagte der alte Soldat seines Königs. »Mit einem Offizier, dem mein König die Ehre erweist, ihn in seine Armee aufzunehmen, muss es mir eine Ehre sein, zu dienen, und ein Offizier, der anders denkt oder Bedenklichkeiten hat, der lehnt sich gegen seinen König auf und gehört in die Festung.«
»Wie ein braver Offizier gesprochen, Vetter Steinau«, sagte der Domherr, »und was von einem Schneider gesellen gilt, das gilt auch von einem Kellner, und —«
Der Domherr fuhr in einem Zuge fort, dass ihm auch nicht das kleinste Wort des Widerspruchs zwischen seine Rede eingeschoben werden konnte.
»Und unser Lieutenant Becker war vor den Feldzügen Kellner gewesen, hatte seine Beschäftigung verlassen und zur Verteidigung seines Vaterlandes das Gewehr ergriffen, war nach Beendigung des Kriegs entlassen und hatte vergeblich bei aller Welt, bei allen Ministerien und Behörden um irgendeine Anstellung nur als Kanzlist oder dergleichen gebeten, ward überall zurückgewiesen und musste, wenn er nicht verhungern wollte, wieder Kellner werden.
Aber er ging in das Ausland, wo niemand ihn kannte, und er verbarg seine Uniform und seine Orden ganz tief unten in seinem Koffer, dass kein Mensch nur ahnen konnte, dass er ein Offizier des Königs von Preußen sei. Vetter Steinau, haben Sie einen Stein für ihn, oder erklären Sie ihn für einen Ehrenmann?«
»Er ist ein Ehrenmann«, sagte der General Steinau.
»Und Sie würden ihn als Offizier wieder aufnehmen, wenn es Krieg gäbe und der König mehr Offiziere nötig hätte?«
»Auf der Stelle.«
»Aber alle Wetter, Vetter Steinau, noch eine Frage.«
Der Domherr ließ, bevor er seine Frage aussprach, seine lebhaften Augen auf dem Gesichte des Grafen Thalhausen ruhen.
Der Graf wusste nicht, wo er mit seinen Augen bleiben solle.
Der Domherr fuhr zu dem General gewendet fort:
»Wenn Sie aber einen Sohn oder Neffen hätten, der mit dem Lieutenant Becken weil er so gehandelt, wie er gehandelt hat, sich nicht schlagen wollte, was würden Sie dem Sohne oder Neffen sagen?«
»Vetter Aschen«, erwiderte der General, »einen Sohn habe ich nicht; hätte ich einen, so wäre er Offizier, und wollte er sich dann mit dem Lieutenant Becker, so wie Sie den Fall setzen, nicht schlagen, so würde ich zum Könige gehen und ihn bitten: Majestät, lassen Sie meinen Sohn als einen Unwürdigen infam kassieren.«
Der General sprach es wieder in großem Zorne.
Der Graf Thalhausen saß vernichtet da.
Seine drei Kameraden wagten nicht zu ihm aufzublicken.
Der Domherr stand auf.
»Wir sprachen vorhin vom Könige, Vetter Steinau. Der König ist hier.«
»Wa — was?« sprang der General auf. »Hier? Wo?«
»Vor einer Stunde hat er in jener Laube gesessen, mit dem General Witzleben Jetzt promeniert er mit diesem. Ah, dahinten kehren sie gerade zurück. Sie werden Seiner Majestät Ihre Aufwartung machen wollen, Vetter! Also auf Wiedersehen.«
Die vier jungen Offiziere saßen alle wie vernichtet.
»Herr des Himmels!« flog es über ihre Lippen, wie vor ein paar Stunden über die des Kellners.
Der Domherr nahm mit einem freundlicheren Lächeln Abschied von ihnen.
»Meine Herren, ich habe mich sehr gefreut — ich wünsche Ihnen einen vergnügten guten Morgen!«
Indem er dann zum Hause zurückkehren wollte, hörte er hinten an der Fähre eine melancholische Stimme rufen:
»Hol’ über!«
Er blieb stehen.
»Sollte ich die Stimme nicht kennen? Wahrhaftig, der alte lahme Schulmeister Hausmann! Der arme Musketier mit dem zweimal gebrochenen Bein! Und da hinten geht sein alter Hauptmann, der es ihm zweimal brechen ließ, um seinem Könige eine Freude zu machen. Ah, Vetter Steinau, wegen des alten Mannes СКАЧАТЬ