Aus der Praxis. Wilhelm Walloth
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Aus der Praxis - Wilhelm Walloth страница 8

Название: Aus der Praxis

Автор: Wilhelm Walloth

Издательство: Public Domain

Жанр: Зарубежная классика

Серия:

isbn:

isbn:

СКАЧАТЬ Torheit —!«

      Er schwieg, als wolle er sich ärgerlich zeigen, und betrachtete dann den tief Atem holenden Freund, mit melancholischem Lächeln. Der Patient schwieg lange Zeit, das Gesicht mit beiden Händen bedeckend, als schäme er sich, seine Gemütsbewegung zu zeigen.

      Nach einer längeren Pause sprach der Doktor mit weicher Stimme und in fragendem Tone das Wort: »Liebe« aus, worauf Paul wie erschrocken emporfuhr und den Freund mit seinen großen, schmerzlich leuchtenden Augen ansah.

      »Nicht wahr, das ist Torheit?« sagte er, wie über sich selbst entrüstet, »ich weiß, es ist Torheit! Aber sehen Sie, uns Künstlern haftet ein einmal gesehenes interessantes Gesicht so tief im Gedächtnis, dass wir uns von dem liebgewonnenen Phantasiebilde nicht mehr zu trennen vermögen, dass es von unserem ganzen Wesen Besitz ergreift, uns völlig ausfüllt. Es war an jenem Tage, da ich hungrig und sehr erschöpft nach dem Schlosse wandelte, um in der Gemälde-Ausstellung mich durch geistige Genüsse für die Entbehrung der körperlichen zu entschädigen; das ist so meine Art, ich suche und finde Trost bei den toten Bildern, die sich vor meinen Blicken beleben. Ich war so ermattet, dass ich kaum die Treppe hinaufklimmen konnte, wandelte dann wie betäubt durch die Säle und suchte, indem ich zuweilen von meiner letzten Semmel aß, meine traurige Gemütsstimmung mittelst der Phantasiewelt, die mich umgab, zu verscheuchen. Ich brauche Ihnen meinen jämmerlichen Zustand nicht weiter auszumalen, nur das will ich hinzufügen, dass ein abscheulicher Menschenhass mir diesmal zu schaffen machte und der Gedanke, was andere in der Kunst geleistet und mir unerreichbar bleiben sollte, mich diesmal ganz besonders bitter stimmte. Im letzten Saale traf ich eine Dame, deren geistvoll schöne Gesichtszüge mir trotz meiner Sinnenverwirrung auffielen. Sie stand vor einem modernen Bilde, einer Hero, und ihr ernstes, von tiefer Glut beseeltes Auge schien mehr in sich hinein als auf das Bild zu sehen. Die Dame redete mich an und ich gab ihr, meinen Schwächezustand so gut es gehen wollte bemäntelnd, Antwort. Ich weiß nicht mehr ausführlich, was sie frug und was ich antwortete, nur so viel weiß ich, dass sie mich einmal, da ihr wahrscheinlich mein schlechtes Aussehen auffiel, mit sanfter Stimme frug: ob ich krank sei. Ich schüttelte natürlich den Kopf, obgleich ich kaum auf den Füßen stehen konnte. Trotzdem ich die Welt wie durch einen Schleier sah und mir die Ohren summten, bewegte ihre weiche Stimme, der mitleidige, so geistvolle Blick, den sie auf mir ruhen ließ, mein Innerstes. Kam es mir nur so vor, oder verhielt es sich in Wirklichkeit so, es schien mir, als wollte sie mir ein Anerbieten betreffs pekuniärer Aushilfe machen, als wage sie dies jedoch nicht. Die mitleidige Art, in der sie mit mir sprach, flößte mir seltsamer Weise ein tiefes, geradezu peinliches Mitleid mit mir selbst ein, ich glaube, ich konnte meine Tränen nicht länger beherrschen; ich benahm mich in dem nervösen Zustande, der mich befallen, beinahe kindisch. Ich weiß nicht, wie es kam, wahrscheinlich stand ich nicht mehr fest auf den Füßen, ich glaube, sie hielt mich am Arme, oder tat sonst etwas, kurzum, ich saß auf einmal in einem der Sessel, die zu allgemeinem Gebrauch aufgestellt sind. Die ganze Szene ist mir übrigens in einen Nebel gehüllt, ich könnte sie ebenso gut geträumt haben. Ich sah noch ihr bestürztes, seltsam schönes Auge in mein Auge blicken, hörte noch ihr Gemurmel: ›der arme Mensch!‹ Dann mag ich wohl die Besinnung verloren haben, ich fand mich später, wohl von einem der Saaldiener dorthin gebracht, auf der Steintreppe des Schlosses. Als ich nach meinem Taschentuch griff, um mir den kalten Schweiß von der Stirne zu wischen, fand ich zwei Fünfmarkscheine in der Tasche. Wie ich nach Hause kam, weiß ich nicht, doch es ergriff mich zu Hause in meinen kahlen, liebeleeren Wänden eine solche Sehnsucht nach der edelherzigen Freundin und zugleich ein so überwältigendes Mitleid mit mir selbst, dass ich —« Paul hielt inne, die Tränen drangen ihm in die Augen, seine Stimme zitterte, »nun, Doktor, Sie wissen am besten,« fuhr er, sich gewaltsam fassend, fort, »was alsdann geschah.«

      Da er, die Augenbrauen finster zusammenziehend, vor sich niederstarrte und schwieg, machte der Doktor eine abwehrende Bewegung auf dem Stuhl.

      »Und die fremde Dame,« redete er den Sinnenden an, »haben Sie nie wieder etwas von ihr gehört?«

      Der Maler schüttelte den Kopf.

      »Das sind romantische Träumereien, mein Lieber,« fuhr der Doktor fort, »halten Sie sich jetzt wieder an die Wirklichkeit. Sie machen sich das weis, dass Sie jene unbekannte Mildtätige lieben.«

      »Ich weiß auch nicht, ob ich sie liebe,« entgegnete der Kranke träumerisch, »ihre Mildtätigkeit tat mir nach dem vielen Schlimmen, Gehässigen, das ich erlebt, so unendlich wohl, erfüllte mich mit so hingebender Dankbarkeit. Und dann ihre Schönheit; wenn Sie diesen Kopf gesehen hätten, Doktor, Sie würden anders reden. Diese Feinheit, diese Durchgeistigung in allen Linien, dabei diese Weichheit des Mundes, während um die Augenbrauen ein reizender Trotz schwebte und die Augen so tief aufmerksam leuchteten – wer das gesehen, vergisst es nie wieder.«

      »Nun,« unterbrach ihn der Doktor lächelnd, »jene Fremde, von der ich sprach, ist auch nicht zu verachten, wenn auch Ihr Phantasiebild, das Sie von jener anderen im Kopfe tragen, unerreichbar zu sein scheint für arme Sterbliche. Sehen Sie sich einmal das Gesicht Fräulein Pöhns an, ich finde, diese Züge könnten einem Maler unter Umständen gefallen.«

      Er hielt Paul die Photographie entgegen, die dieser ohne Interesse, fast widerwillig ergriff, dann aber, da seine Hände nervös zitterten, zu Boden fallen ließ. Er bückte sich, das Bild aufzuheben, warf einen Blick darauf, zuckte wie vom Schlag gerührt zusammen und legte dann das Bild, während ihn eine tödliche Schwäche anzuwandeln schien, mit zitternden Fingern aus das Bett, auf das er langsam zurücksank.

      Der Arzt sprang dem, wie von einem Krampfe Befallenen bei, spritzte ihm aus einer nebenstehenden Schüssel Wasser in das erblasste Gesicht und frug erschrocken, was ihm denn fehle, was denn geschehen sei. Er erinnerte sich, dass er dem Kranken gestern durch einen Diener eine Flasche Portwein zugeschickt; nach dieser Flasche suchte er sogleich in allen Winkeln, fand sie auch schließlich hinter der Staffelei und flößte dem nun allen Ernstes in Ohnmacht Gesunkenen einige Tropfen ein. Die belebende Wirkung des Weins blieb nicht aus. Nach einiger Zeit begannen sich die Wangen des Ohnmächtigen zu röten, seine Augen verloren ihre verglaste Starrheit und indem er die Hand seines Helfers krampfhaft an die Brust drückte, bewegte er die Lippen zum Sprechen.

      »Was wollen Sie sagen, mein Freund?« frug Kahler, der ihn nicht zu verstehen vermochte, mitleidig.

      »Doktor, Doktor,« brachte der Kranke mühsam hervor, »sie ist es!«

      »Wer?« frug Kahler, der zu erröten begann, »es ist doch nicht —«

      Der Maler nickte, während sich ein glückseliges Lächeln in seinen vergrämten Zügen Bahn brach.

      »Ja, sie ist es, es ist dieselbe,« flüsterte er »eben diese Augen, eben dieser Mund, so sah sie mich an – und Sie sagen, sie liebt mich —?«

      »Wie? Es ist also jene Fremde, die auf dem Schlosse, vor dem Bilde mit Ihnen sprach?« frug Kahler und wusste selbst nicht, warum ihm bei dieser Vermutung das Blut in die Wangen stieg und ein fast an Zorn grenzendes Schmerzgefühl die Brust umklammerte.

      Der Maler, der sich infolge der freudigen Erregung auffallend rasch von seiner Ohnmacht erholte, erklärte nochmals, dass er sich nicht täusche. Er ließ sich noch einmal die Photographie reichen, betrachtete sie mit inniger Aufmerksamkeit und sagte dann, während ein kindliches Lächeln seine Lippen kräuselte:

      »Also habe ich ihr gefallen. Sie sagen, dass sie sich nach mir erkundigt, Doktor? Reden Sie doch! Teilen Sie mir doch ihre Schicksale, ihre Familienverhältnisse mit.«

      Kahler, der in ein trübes Sinnen verfallen war, bestätigte die Neigung des Mädchens und fügte ein paar flüchtige Bemerkungen über ihre Familie bei, mit sich selbst uneins, was er nun beginnen solle, ob er seine Lüge aufrecht erhalten oder dem unerfahrenen Jüngling die offene Wahrheit, die ganze unselige Erbschaftsangelegenheit auseinandersetzen solle. Endlich stand er, nach seinem Hut СКАЧАТЬ