Aus der Praxis. Wilhelm Walloth
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Название: Aus der Praxis

Автор: Wilhelm Walloth

Издательство: Public Domain

Жанр: Зарубежная классика

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СКАЧАТЬ diesen unglücklichen Gesichtsausdruck schon einmal gesehen.

      Sie wollte sich, von peinlichem Mitleid ergriffen, abwenden, als sie gewahrte, wie der junge Mensch plötzlich einen unartikulierten Laut ohnmächtiger Wut ausstieß, den Stift heftig von sich schleuderte und darauf krampfhaft schluchzend in den Stuhl zurücksank, das Gesicht, in das die wirren, schweißtriefenden Haare herabhingen, mit beiden Händen bedeckend.

      Emma traten die Tränen in die Augen, sie wollte sich, wie von einer peinlichen Marterszene, abwenden, und doch fühlte sie sich genötigt, den Unglücklichen zu beobachten, dessen wildnaiver Schmerzensausbruch einen eignen bestrickenden Reiz auf sie ausübte.

      Endlich wandte sie sich zum Arzt.

      »Ich kann nicht bei ihm eintreten,« sagte sie mit bebender Stimme, »gehen Sie allein! Teilen Sie ihm alles mit.«

      Der Arzt nickte, sie verließ ihn, blieb dann stehen und sagte, unruhig vor sich niedersehend:

      »Es ist nur zu seinem Besten, Doktor, nicht wahr? Sie sehen das selbst? Wo ist da ein Unrecht?«

      »Sie sind unschlüssig geworden,« gab Kahler achselzuckend zurück.

      Sie besann sich, ein wenig erblassend.

      »Nein! Nein! Gehen Sie nur, ich erwarte Sie im Wagen,« stieß sie mit rauer Stimme, fast unverständlich hervor und ging.

      Der Arzt hatte angeklopft; wie es seine Gewohnheit war, trat er, kaum das: »Herein!« abwartend, ein. Paul Steinacher ließ die Hände vom Gesicht gleiten und blickte mit finster drohendem, fast wildem Gesichtsausdruck nach der sich öffnenden Türe, errötete aber sofort, als er den Arzt, seinen einzigen Freund, eintreten sah. Indem ein kindlich verschämtes Lächeln seine bleichen Züge belebte und indem er sich mühsam erhob, fasste er, ohne das Wort, das ihm auf der zuckenden Lippe schwebte, aussprechen zu können, nach seines Ratgebers Hand.

      Es lag etwas unbehilflich Demütiges in seinem ganzen Betragen, eine scheue, tiefgefühlte Dankbarkeit, die keine Worte fand. Doktor Kahler, sonst redselig, setzte sich diesmal schweigsam nieder, spielte mit seinem Stock und suchte das Gesicht abzuwenden.

      »Sie sind heute so ernst, Doktor,« begann der Maler nach einiger Zeit mit aufrichtiger Besorgnis, aber auch einer gewissen respektvollen Ängstlichkeit die Miene seines Freundes studierend, »mache ich Ihnen Sorge?« setzte er dann leise hinzu.

      Der Arzt hob langsam den Kopf.

      »Wie haben Sie geschlafen?« frug er dann ablenkend.

      »Wie immer, nicht gut,« sagte der zuweilen nervös mit dem Kopfe Zitternde, »ich träumte wüstes Zeug die ganze Nacht! Ich fühle mich matter denn je zuvor.«

      Der Arzt griff nach dem Puls des Kranken.

      »Ich habe von Ihnen geträumt,« setzte Paul leise hinzu.

      »Von mir?« frug der Doktor zerstreut, ohne zu wissen, was er fragte.

      »Ja,« fuhr der Maler erregt fort, das Haupt beschämt zur Erde neigend, »die ganze Nacht quälte mich mein Gewissen, Doktor, ich lag mit mir selbst im Zank, ich ohrfeigte mich, mein Stolz trat vor mich hin und spie mir ins Gesicht; du bist ein Undankbarer, ein ganz nutzloses Geschöpf, das von der Gnade anderer leben muss, ich warf es mir vor, dass ich Ihre Hilfe in Anspruch nahm, ohne doch nur im Geringsten, nicht einmal durch ein Bild —«

      Der Arzt, der erriet, wie sein Patient den Satz schließen werde, unterbrach ihn heftig.

      »Wie oft habe ich Ihnen schon gesagt, dass Sie meine Hilfe gar nicht in Anspruch nehmen,« entgegnete er mit ärgerlich-freundlichem Lachen. »Ich habe Ihnen meine Hilfe aufgenötigt, lieber Freund. Wie konnten Sie meine Hilfe in Anspruch nehmen, als Sie das Arsenik im Magen hatten und sich hier auf dem Fußboden vor Schmerz umherwälzten und mich der Schutzmann aus dem Bette holte! Da wussten Sie ja gar nichts von meiner Gegenwart, sondern lagen auf Ihrem Bett, stöhnten und riefen: Sie hätten nichts Eiligeres zu tun als ins bessere Jenseits abzureisen. Sehen Sie das nicht ein – –«

      »Ja,« wandte der Künstler tief aufseufzend ein, »einmal wäre genug gewesen, aber dass Sie alsdann Tag für Tag kamen, mir Medikamente aufdrangen, die ich nicht nehmen wollte, mir für bessere Nahrung sorgten,« die Stimme versagte ihm: kaum hörbar, den Kopf tief auf die Brust herabgedrückt, fügte er hinzu: »nein! Das ertrag ich nicht länger! Das beschämt mich zu tief – –«

      »Beschämen?« rief der Arzt jetzt beinah wirklich ärgerlich, »schämen hätten Sie sich vorher sollen, wie Sie das Gift an die Lippen setzten. Wissen Sie, das war ein ganz einfältiger Streich –«

      »Im Gegenteil, es war der vernünftigste meines Lebens,« sagte der Künstler kopfschüttelnd, während er mit düstrem Auge vor sich niederstarrte, »und es war ein einfältiger Streich Ihrerseits, mich wieder ins Leben zurückzurufen, das mir zur Qual geworden. Was soll ich nun im Leben beginnen! Es ist auch nur Galgenfrist, denn glauben Sie, Doktor, ich fühlte es nicht, dass mir der Tod bereits am Herzen frisst?«

      »Unsinn,« fuhr der Doktor dazwischen.

      »Machen Sie nur kein solch’ ungläubiges Gesicht, ich sehe es Ihnen an, das ich recht habe, mein Körper ist ruiniert, zerstört für immer. Die Dosis Gift war zwar nicht groß genug, um mir in einer Stunde den Garaus zu machen, dafür wirkt sie desto sicherer nach. Ganz behutsam – ganz langsam – « er lächelte ein ironisches mattes Lächeln und strich mit der Hand durch die Luft, als wolle er die geheimnisvolle Nachwirkung des Giftes hierdurch andeuten. Der Arzt wollte etwas Tröstliches entgegnen, der fieberhaft erregte junge Mann holte mühsam Atem, erhob sich und wankte, sich an den Möbeln zuweilen haltend, in dem engen Gemach auf und ab.

      »O, wenn ich wieder Muskel und Nerv’ hätte,« klagte er, indes sein sonst so edles Auge in krankhafter Glut schwamm, »sehen Sie hier diese angefangene Skizze – Antigone, wie sie zum Tode geführt wird – es ist meine beste Skizze, ausgeführt könnte mich dieses Gemälde mit einem Schlage zum berühmten Mann machen – sehen Sie nur, wie sie sich an den Altar klammert, wie sie der raue Kriegsmann packt, dieser Ausdruck in ihrem Auge – das heißt, Sie sehen noch nichts – aber ich sehe es – hier – hier im Kopfe – und wenn ich den Stift ergreife – glauben Sie, ich brächte eine vernünftige Linie heraus? Kaum zehn Minuten kann ich den Stift halten – ja! Kaum zehn Minuten, es ist um wahnsinnig zu werden, kaum zehn Minuten —«

      Die letzten Worte mit zitternder, tränenerstickter Stimme hervorkeuchend, sank er hilflos auf sein Bett nieder, das Haupt zwischen beide auf die Knie gestützten Arme gepresst. Der Arzt legte gerührt seine Hand auf die Schulter des Trostlosen und bat ihn, sich zu beruhigen.

      »Fassen Sie sich, mein Freund, es kann noch alles besser werden,« sagte er, »hören Sie mich an – ich habe Ihnen eine merkwürdige Begebenheit mitzuteilen – wollen Sie mich ruhig anhören —?«

      Der Künstler ließ sein Haupt los, nickte mit einem kindlich-bitterem Gesichtsausdruck, der ihm sehr gut stand, vor sich hin und alsdann sich langsam dem Arzte zuwendend, sagte er leise:

      »Verlassen Sie mich nicht, Doktor – bitte, verlassen Sie mich nicht, Sie sind mein einziger Freund.«

      Den Arzt bewegten diese so einfach naiv ausgesprochenen Worte Pauls aufs Tiefste; er fühlte, wie nie zuvor, dass sich dieses Kindergemüt mit seiner offenen Hoffnungsseligkeit an ihn, den Verschlossenen, Strengen geklammert hatte, dass er einen großen Einfluss übte auf diese reine, hingebende Seele und dies erfüllte ihn mit einer seltsamen Weichheit. Die Tränen traten dem Manne in die Augen, als er die edelgeschwungenen Linien dieses von sanfter Traurigkeit überschatteten Gesichts mit dem Auge verfolgte und СКАЧАТЬ