Aus der Praxis. Wilhelm Walloth
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Название: Aus der Praxis

Автор: Wilhelm Walloth

Издательство: Public Domain

Жанр: Зарубежная классика

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СКАЧАТЬ ist abenteuerlich?« gab sie zurück, »es kommt nur darauf an, von welcher Seite man die Sachlage betrachtet. Uns modernen Europäern kommt vieles abenteuerlich vor, was einem Beduinen oder einem Menschen vergangener Zeiten als etwas durchaus Gewöhnliches erschienen wäre. Sie verblüfft dieser Fall, weil er Ihnen zum ersten Mal mit seiner vollen Neuheit und Seltsamkeit vor Augen tritt; hätten Sie so lang darüber nachgedacht wie ich, er würde alles Ungewöhnliche für Sie verloren haben, wie er es für mich verloren hat. Ich habe mich an das Abenteuer so sehr gewöhnt, dass es keines mehr für mich ist.«

      Sie hatte die Türklinke erfasst, ließ diese jetzt los und trat auf den noch immer nachdenklich Dasitzenden zu.

      »Können Sie mir,« sagte sie ernst, »meinen Egoismus wirklich nicht verzeihen? Und ist meine Handlungsweise denn völlig egoistisch? Handle ich nicht unter dem Zwang der Notwendigkeit?«

      »Ich muss Ihnen das zugestehen,« sagte er langsam, als prüfe er seine eigene Entscheidung, »doch —« er schwieg und setzte dann ganz rasch hinzu, ohne recht zu wissen, was er sagte: »warum wollen Sie es nicht einmal mit einem Gesunden probieren?«

      Er runzelte darauf die gesenkte Stirne ein wenig; sie bemerkte das, sah ihn erstaunt an und entgegnete nach einer Pause: »Sie wissen es ja, warum nicht!« .

      »Ach so!« sagte er errötend und sich tiefer herabneigend fügte er hinzu: »Dann gefiele mir es, offen gestanden, immer noch besser, Sie wiesen die Erbschaft von sich und ertrügen das Unvermeidliche so gut es eben gehen will.«

      »Raten Sie mir das wirklich?« frug sie erstaunt, indem ein tiefer Ernst ihre Züge überschattete.

      »Sie mögen recht haben,« fuhr sie leiser fort, als der Doktor schwieg, »obgleich Sie nicht wissen, was Sie von mir verlangen, welche Entbehrungen meiner harren, welche Opfer ich bringen muss, welche dunklen Pläne zuweilen von meinen Sinnen Besitz nehmen. Aber trotzdem, wenn Sie mir diesen Rat geben, will ich versuchen, die finsteren Gedanken zu verscheuchen, die alsdann, zuweilen Einlass begehrend, an mein Herz pochen werden!«

      »Finstere Gedanken?« frug er wie träumend, neigte dann den Oberkörper langsam in den Sessel zurück und sah ihr ernst in das finster brütende Auge, in dessen verschleiertem Glanz er zu lesen suchte.

      Und was las er in diesen Zügen? Unwillkürlich schrak er zurück, als er einige Zeit in dieses unter den schwarzen, hochgewölbten Brauen blitzende Auge gesehen. Vor einigen Tagen hatte er die berühmte Clara Ziegler in Grillparzers Medea bewundert. An diese Medea, wie sie über dem letzten, blutigen Entschluss brütet, musste er plötzlich denken, als er das seltsame Mädchen so in sich gekehrt, so starr in die öde Luft blickend an der Türe stehen sah. Er zuckte zusammen; welcher Tat wäre diese leidenschaftliche, starke Seele fähig, dachte er; nein! Da gibt es keinen Ausweg! Sogleich bemühte er sich zu lächeln, stand auf und erfasste die Hand Fräulein Pöhns.

      »Nein, mein Fräulein, achten Sie nicht auf meine Worte,« sagte er herzlich, »ich habe mich geirrt! Handeln Sie nach Ihrem ersten Entschluss, es ist das Beste, das kleinere von zwei Übeln. Ich werde Ihnen behilflich sein.«

      »Ich danke Ihnen,« sagte sie tonlos, ganz kalt.

      »Wollen Sie mich morgen um diese Zeit wieder besuchen?«

      Sie nickte und er fuhr in einem Tone fort, dessen Leichtfertigkeit seine tiefe, innere Bewegung bemänteln sollte:

      »Da ist unter meinen Patienten,« warf er hin, »ein armer Maler, er heißt Paul Steinacher, dem hat die undankbare Muse so übel mitgespielt, dass ich vor einigen Wochen gerade noch recht kam, ihm ein Gegengift wider das Arsenik beizubringen, das er in einem Anfall von Katzenjämmerlichkeit genommen. Ich habe den jungen Mann in der Tat recht liebgewonnen, während der Zeit, da ich ihn behandelt und ich würde es ihm von Herzen gönnen, wenn er seine letzten Lebenstage statt in einer windigen Dachwohnung in einem guten Krankenhause bei ordentlicher Nahrung beschlösse.«

      Er schwieg, ein Lächeln erzwingend.

      »So wird er sterben?« frug Fräulein Pöhn nicht ohne eine gewisse Teilnahme.

      Des Arztes Gesicht verdüsterte sich einen Augenblick.

      »Voraussichtlich!« warf er achselzuckend hin, »ich möchte es ihm fast wünschen. Schade um den talentvollen Jüngling. Das Gift hat seinen ohnehin durch erzwungene Hungerkur angegriffenen Körper zu stark mitgenommen. Doch genug hiervon.«

      Er zog die Uhr.

      »Es ist Zeit, dass ich gehe,« unterbrach er sich, »ich werde also morgen das Vergnügen haben. Inzwischen werde ich den Patienten vorbereiten und da er mir sehr freundschaftlich zugetan ist, zweifle ich nicht, dass er nichts gegen die seltsame Verbindung einzuwenden hat.«

      Fräulein Pöhn verabschiedete sich, da sie empfand, wie Dr. Kahler das Thema abzubrechen wünschte. Sie versprach, die nötigen Papiere, aus welchen er die ganze Angelegenheit näher kennenlernen werde, ihm durch ihren Rechtsanwalt einhändigen zu lassen; mit diesem Rechtsanwalt bitte sie das weitere ausführlicher zu besprechen.

      Nachdem sie das Zimmer verlassen, stand der Arzt noch so lange sinnend am Fenster, bis er die schlanke, schwarze Gestalt über den Schlossplatz gehen sah, dann von dem eintretenden Diener an den harrenden Wagen erinnert, riss er sich aus seinen Träumereien, kleidete sich rasch an und eilte hinab.

      Das Mädchen, musste er sich gestehen, war durch eigenartige Schicksale in ein eigenartiges Wesen verwandelt werden, aber je länger er über sie nachsann, desto geheimnisvoller wurde ihm ihr Auge, ihre ein wenig stark ausgeprägte Stirne, ihr eigentümlich ländlicher Dialekt, überhaupt das wunderlich Ungenierte und dabei Sichere, Nachdenkliche ihres Benehmens.

      Den Kindern Geisteskranker, wenn sie gesund bleiben, verleiht die Natur oft außergewöhnliche Geisteskräfte – hatte der Arzt hier ein solch wunderbares Wesen vor sich, das unter dem schwülen, exotischen Hauch des Wahnsinns herangereift, besonders glänzende Geistesschwingen erhalten? War dies eines jener unglücklich-glücklichen Wesen, deren reiche Talente aus Grauen, Trümmern und Moder erblüht sind?

      Als er nach der Bahn fuhr, begegnete er ihr im raschen Vorbeifahren noch einmal und fühlte, als sie ihn jetzt lächelnd grüßte, ein mit Hochachtung gemischtes Mitleid in seine Brust dringen. Wenn er sich die ganze Sachlage klarlegte, die Rolle, die er spielen sollte, verdeutlichte, befiel ihn stets ein Missbehagen und zuweilen kam es ihm zu Sinne: wie, wenn das, was du eben vernommen, die phantastische Erfindung einer tatsächlich Geisteskranken gewesen wäre? Doch ihr Vortrag war so ruhig, so sachlich, dass er diesen Zweifel bald fallen ließ. Und doch war er, als er jetzt aus dem Wagen stieg, so zerstreut, dass er sein Etui voll kostbarer Instrumente vergaß und am Billettschalter sich einige Zeit auf sein Reiseziel besinnen musste. – Wie ihn der Lärm, das Fahren, Laufen, Lachen betäubte! Er hätte einem beständig »Kaffee« in vier Sprachen schreienden Kellner einen Verweis erteilen mögen, so unzufrieden war er mit sich selbst; das »Achtung«, »Vorgesehen« der vorübereilenden Gepäckträger störte ihn, als sei es nur an ihn allein gerichtet, kurz, sein sonst so energischer, selbstbewusst ironischer Charakter war wie niedergehalten, wie gedämpft.

      Ärgerlich über seine Versunkenheit schritt er nach dem Wartesaal I. Kl., sich gewaltsam verbietend, an die ganze, sonderbare Angelegenheit zu denken

      »Kaffee,« ertönte noch immer des sprachfertigen Kellners Stimme, als er eben den Saal betreten und mitten im Gedränge der Passanten sich ihm eine Hand auf die Schulter legte.

      »Wie Doktor, Sie hier?« frug es ihn.

      »Ah, Rechtsanwalt Heinheimer,« sagte Kahler zerstreut, einen kleinen Mann bemerkend.

      »Wohin, mein Bester?« schrie СКАЧАТЬ