Die hochzeit von Lyon. Novellen / Свадьба в Лионе. Новеллы. Книга для чтения на немецком языке. Стефан Цвейг
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Читать онлайн книгу Die hochzeit von Lyon. Novellen / Свадьба в Лионе. Новеллы. Книга для чтения на немецком языке - Стефан Цвейг страница 18

СКАЧАТЬ Krämersinn geerbt hatten, vertaten die Zwillingsschwestern dieses Gold durchaus nicht, wie die meisten ihrer Art, in eitlen Nichtigkeiten; nein, klüger als jene, liehen sie ihr Geld sorglich auf Wucher und Zins, gaben es zur Mästung an Christen, Heiden und Juden und scharrten so kräftig mit dem Wucherrechen, dass bald nirgends so viel Reichtum aufgehäuft war an Münzen und Kameen, sicheren Verschreibungen und gültigen Pfandbriefen wie in jenem argen Haus. Kein Wunder, dass, mit solchem Beispiel vor Augen, die jungen Mädchen des Landes nicht mehr Scheuerfrauen werden wollten und sich die Finger blaufrieren am Waschtrog, und bald war diese Stadt berüchtigt unter den Städten als ein neues Sodom dank der schlimmen Gegenwart der endlich einig gewordenen Schwestern.

      Doch auch dies ist wahr in den alten Sprüchen, wenn sie sagen: Wie rasch der Teufel auch reitet, schließlich bricht er doch vor dem Ziele das Bein. Und so sollte auch hier das Ärgernis noch erbaulich enden. Denn wie die Jahre gingen und vergingen, wurden die Männer des immer gleichen Rätselspiels allmählich müde. Seltener kamen Gäste, früher löschten die Fackeln im Haus, schon wussten längst alle anderen, und nur die Schwestern wussten es nicht, was der Spiegel stumm den flackernden Lichtern erzählte: dass kleine Falten nisteten unter den übermütigen Augen und das Perlmutter zu blättern begann von der mählich erschlaffenden Haut. Vergebens, dass sie jetzt mit Künsten rückzukaufen suchten, was Natur, die mitleidlose, stündlich ihnen nahm, vergebens, dass sie das Grau löschten um die Schläfen, die Runzeln mit elfenbeinernen Messern strichen und rot sich die Lippen malten und um den ermüdeten Mund; die Jahre, die stürmisch durchlebten, waren nicht länger zu verhehlen, und kaum dass die Jugend von den Schwestern ging, wurden auch die Männer der beiden satt. Denn indes jene abblühten, wuchsen rings in den Straßen immer wieder junge Mädchen auf, jedes Jahr ein anderes Geschlecht, süße Wesen mit kleinen Brüsten und schelmischen Locken, doppelt verlockend der männlichen Neugier durch Unberührtheit des Leibes. Immer stiller wurde es darum im Hause auf dem Marktplatz, die Angeln der Türe begannen zu rosten, vergeblich brannten die Fackeln und dufteten die Harze, niemandem zur Wärme wartete der Kamin und der Schwestern geschmückter Leib. Gelangweilt übten die Flötenspieler, denen keiner zu lauschen kam, statt ihrer schmeichlerischen Kunst endlose Würfelspiele, und der Pförtner[44] , der allnächtens der Gäste warten sollte, wurde rundlich vom Übermaß unbehelligten Schlafes. Ganz einsam aber saßen oben die beiden Schwestern an der langen Tafel, die einstmals klirrte vom Andrang des Gelächters, und da kein Liebhaber mehr Zeitvertreib brachte, hatten sie höchlichst Musse, sich des Vergangenen zu erinnern. Insbesondere Sophia dachte mit Wehmut der Zeiten, da sie, abgewandt von aller irdischen Wollust, einzig ernstem und gottgefälligem Wandel gedient; oftmals nahm sie darum wieder die verstaubten frommen Bücher zur Hand, denn gern zieht ja die Weisheit bei Frauen ein, sobald die Schönheit flieht. Und so bereitete sich allmählich eine wunderbare Umkehr des Sinnes in den beiden Schwestern vor, denn so wie in den Tagen ihrer Jugend Helena, die Buhlerin, gesiegt über Sophia, die Fromme, so geschah es, dass Sophia nun spät allerdings und nach reichlicher Sündigkeit – bei ihrer allzu irdischen Schwester Gehör fand, wenn sie zu Verzicht mahnte. Ein heimlich Kommen und Gehen begann in den Morgenstunden: erst war es Sophia, die in das Siechenhaus schlich, das sie so beleidigend verlassen, um Verzeihung zu erbitten, dann war es Helena, die sie begleitete, und als die beiden erklärten, sie wollten ihr lästerlich zusammengerafftes Geld restlos diesem Hause für alle Ewigkeit übermachen, durften selbst die Misstrauischsten nicht länger den Ernst ihrer Buße bezweifeln.

      So kam es, dass eines Morgens, als der Pförtner noch schlummerte, zwei Frauen, einfach gekleidet und verhüllten Gesichts, wie Schatten aus dem üppigen Hause am Marktplatz traten, nicht unähnlich in ihrem scheudemütigen Gang jener Frau, ihrer Mutter, da sie vor fünfzig Jahren aus raschem Reichtum zurückschlich in die niedere Gasse ihrer Armut. Vorsichtig glitten sie durch den zaghaft geöffneten Türspalt, und die ein Leben lang in wetteiferndem Unmaß der Eitelkeit die Aufmerksamkeit eines ganzen Landes für sich gefordert, nun deckten sie ängstlich ihr Antlitz, dass keiner um ihren Weg wisse und in verborgener Demut ihr Schicksal vergessen sei: in einem Frauenkloster fremden Landes, wo niemand ihre Herkunft ahnte, sollen sie – niemand weiß es genau – nach Jahren schweigsamer Zurückgezogenheit gestorben sein. So reichlich aber waren die Schätze, die sie dem frommen Asyl[45] hinterließen, so viele Scheffel Goldes wurden aus den Spangen und Münzen und Edelsteinen und Schuldverschreibungen gelöst, dass man beschloss, ein neues und herrliches Siechenhaus zu Schmuck und Krönung der Stadt zu entrichten, schöner und größer, als jemals eines gesehen wurde im aquitanischen Land. Ein nordischer Meister entwarf den Riss, zwanzig Jahre baute Tag und Nacht die werkende Schar, und als endlich das hohe Werk sich enthüllte, stand abermals staunend die Menge. Denn nicht wie bislang Brauch war, hob hier über das Viereck des Hauses ein einziger Turm sein vierkantiges Haupt trotzig gequadert zur Höhe – nein, hier stieg weibisch schlank und in steinerne Spitzen gehüllt zur Rechten einer empor und einer zur Linken, so völlig einander gleich in Wuchs und Maßen und der zarten Anmut des gemeißelten Steins, dass bereits vom ersten Tage an die Leute die beiden Türme „die Schwestern“ nannten – mag sein, bloß um ihrer äußeren Ebenmäßigkeit willen, vielleicht aber auch, weil man im Volke, das ja allezeit denkwürdige Begebenheiten durch Jahre und Jahrhunderte gerne überliefert, die ungebührliche Legende von Weltfahrt und Wandlung der beiden gleichungleichen Schwestern nicht vergessen wollte, die mir jener biedere Bürger, vielleicht ein wenig vom Weine beschwingt, im Mondlicht der Mitternacht erzählte.

      Die Liebe der Erika Ewald

      Camill Hoffmann in inniger Freundschaft

      … Aber das ist die Geschichte aller jungen Mädchen, dieser sanften Dulderinnen. Sie sagen nie, dass sie leiden. Die Frauen sind zum Dulden geschaffen. Es ist gewiss so ihr Schicksal, sie erfahren es früh und sind darüber so wenig erstaunt, dass sie noch immer sagen, das Übel sei nicht da, wenn es längst gekommen…

Barbey d’Aurevilly

      Erika Ewald trat langsam ein, mit dem vorsichtigleisen Gang einer Zuspätkommenden. Der Vater und die Schwester saßen schon beim Abendessen; beim Geräusch der Türe blickten sie auf, um der Eintretenden flüchtig zuzunicken, dann klang nur wieder das Klingen der Teller und das Klappern der Messer durch den matterhellten Raum. Gesprochen wurde selten, nur hie und da fiel ein Wort, und das flatterte wie ein aufgeworfenes Blatt haltlos in der Luft, um dann ermattet zu Boden zu sinken. Sie hatten sich alle wenig zu sagen. Die Schwester war unscheinbar und hässlich; eine jahrelange Erfahrung, stets überhört oder bespöttelt zu werden, hatte ihr jene altjüngferliche stumpfe Resignation gegeben, die jeden Tag mit einem Lächeln scheiden sieht. Den Vater hatte eine langjährige gleichfarbige Bureautätigkeit der Welt entfremdet, und insbesondere seit dem Tode seiner Frau umfing ihn jene harte Verstimmung und trotzige Schweigsamkeit, mit der alte Leute gerne ihre physischen Leiden verbergen.

      Auch Erika schwieg meistens an diesen eintönigen Abenden. Sie fühlte es, dass sich gegen die graue Stimmung, die sich wie dicke drohende Wetterwolken über diese Stunden legte, nicht ankämpfen lasse. Und dann war sie zu müde dazu. Die quälende Tagesarbeit, die sie von Stunde zu Stunde hetzte und sie zwang, Disharmonien, tastende Akkorde, unmusikalische Brutalitäten mit rastloser Sanftmut zu ertragen, löste in ihr ein dumpfes Ruhebedürfnis aus, ein wortloses Verströmen aller Empfindungen, die die Gewalt des Tages überwuchert hatte. Sie liebte es, in diesen wachen Träumen sich selbst anzuvertrauen, weil ihr eine fast überreizte Schamhaftigkeit nie gestattete, anderen nur eine Andeutung ihrer seelischen Erlebnisse zu geben, ob auch ihre Seele unter dem Drucke ihrer ungesprochenen Worte bebte, wie ein überreifer Obstbaumzweig unter der Last seiner Früchte schwankt. Und nur ein leichter, ganz unmerklich feiner Zug um die schmalen blassen Lippen verriet, dass Kampf und Ringen in ihr war und eine unbändige Sehnsucht, die sich nicht von Worten tragen lassen wollte und nur manchmal ein wildes Beben[46] um den festgeschlossenen Mund legte wie von jähem Schluchzen.

      Das Abendessen war bald zu Ende. Der Vater erhob sich, sagte kurz einen Gutenachtgruß und ging in sein Zimmer, um sich die Pfeife anzuzünden. Das war so jeden Tag in diesem Hause, wo auch die gleichgültigste СКАЧАТЬ



<p>44</p>

Pförtner der; -s, -; – jemand, der beruflich den Eingang eines großen Gebäudes bewacht

<p>45</p>

Asyl das; -(e)s, -e; nur Sg; – der Aufenthalt, den ein Staat einem Ausländer gewährt, um ihn vor Verfolgung zu schützen

<p>46</p>

Beben nur Sg; – der Zustand, in dem etwas bebt