Das Schweigen im Walde. Ganghofer Ludwig
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Название: Das Schweigen im Walde

Автор: Ganghofer Ludwig

Издательство: Public Domain

Жанр: Зарубежная классика

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СКАЧАТЬ solch ein knospenhaftes, zierlich schlankes Ding, das die Zwanzig kaum überschritten haben konnte. Schon überschritten? Nein! Aus den großen, ruhigen Augen blickte wohl ein klarer Lebensverstand, wie ihn frühe Jugend nicht besitzt. Doch die schmalen Wangen hatten noch etwas Kindhaftes, und der schöne Mund erzählte von der unberührten Reinheit einer Mädchenseele, die nur Sonne erlebt habt konnte, keinen Sturm und Schmerz.

      Wer sie sein mochte? Und was suchte und trieb sie hier? Daß sie die Natur liebte, sich selbst genug war und sich wohl fühlte in der Einsamkeit, das war ein gutes Zeugnis für ihr Wesen und ihre Geistesbildung. Wer die Welt nicht nötig hat, ist immer reicher als die Welt. Und die Einsamkeit verträgt nur jener, der sich selbst in jeder Stunde etwas zu sagen hat.

      Wer war sie? Vielleicht die Tochter stadtmüder Leute, die dort unten im Ehrwalder Tal ihre Sommerfrische genossen? Nein! Wenn sie noch Eltern hätte? Die würden ihrem Kinde solche Freizügigkeit nicht gestatten, auch nicht einem Kinde, das neben eigenen Gedanken auch Mut und eigenen Willen hat. Denn Mut gehört dazu, wenigstens für ein Mädchen, so einsam in menschenferner Bergwildnis zu hausen.

      Aus dem dichten Latschenfeld war Ettingen auf eine von wenigen alten Wetterfichten überschattete Lichtung getreten, die einen freien, herrlichen Ausblick bot über den See und gegen das Geißtal hinaus, über den Sebenforst und das Ehrwalder Tal. Inmitten des Platzes erhob sich ein kleines Blockhaus, aus dessen eisernem Kaminrohr sich milchblaue Rauchwölklein emporkräuselten in die sonnige Morgenluft. Überall an den Balken der Hütte schlangen sich Efeuranken bis unter das vorspringende Dach, bildeten über der halboffenen Tür eine kleine Laube und ließen von den Holzwänden nicht viel mehr gewahren als zwei kleine, mit grünen Läden versehene Fenster, hinter deren blanken Scheiben rote Vorhänge schimmerten. Neben der Tür zog sich an der Wand eine Holzbank hin, auf der eine Messingpfanne zwischen hölzernen Tellern und weißem Teegeschirr zum Trocknen in der Sonne stand. Ein Stangenzaun, an dem eine Zeile junger Fichtenbäumchen angepflanzt war, zog sich im Geviert um die Hütte und umschloß einen sorgsam gepflegten Garten, der sich mit seinen leuchtenden Blumenbeeten und seinen weißen, kiesbestreuten Wegen gleich einer lieblichen Oase von der wilden Unkultur der Umgebung abhob. Auf diesen Beeten blühten keine Zierblumen, wie sie in den Gärten des Tales heimisch sind. Eine kundige Gärtnerhand hatte hier gesammelt und durch Pflege veredelt, was zwischen der Waldgrenze und den Schneefeldern der Berge an Blumen gedeiht. Neben feurigen Alpenrosen schimmerten die blauen Glocken des Enzian; Speik und Edelraute blühten neben dem Almrausch, dessen zarte, rosige Dolden schon zu verwelken begannen, Mardaun und Brunellen neben Arnika und zierlichen Orchisarten, und ein aus Felsen aufgebauter Hügel trug in seinen mit Erde ausgefüllten Spalten die kleinen blaßgrünen Stauden des Edelweiß, dessen Stöcke, nach den frischen saftigen Blättern zu schließen, hier gut zu gedeihen schienen, obwohl sie ohne Blüten waren. Die Farben dieser Bergblumen, die hier in reicher Fülle gesammelt waren, hatten etwas Ungewöhnliches und Seltsames, und zu dem überraschenden Anblick gesellte sich der fremdartige, süße Duft, den die blühenden Beete in den reinen Morgen hauchten.

      Ein einziger Baum stand im Garten, in einer Ecke des Zaunes. Und der wunderliche Wuchs dieses Baumes stimmte zu allem übrigen, als hätte ihn die romantische Laune eines Künstlers unter Tausenden ausgewählt und hierhergestellt, um den ungewöhnlichen Eindruck dieses Gartenbildes noch zu erhöhen. Es war kein Baum – es waren sieben Bäume in einem: eine uralte riesige Zirbe, auf deren harfenförmig ausgebogenem Hauptstamm sieben senkrecht nebeneinander aufsteigende Äste sich zu starken Stämmen ausgewachsen hatten. Der Baum war anzusehen wie eine gewaltige grüne Leier. Und diese Leier klang auch! Wenn der sachte Wind die Äste bewegte, ging ein lindes Rauschen durch die zottigen Nadelbuschen, und mit diesem Grundton klangen feine Glockenstimmchen zu einem weichen, traumhaften Akkord zusammen.

      Verwundert – recht wie einer, der im Märchen die Pforte einer bezauberten Stätte betritt – zur Neugier gereizt und doch von einer seltsamen Scheu zurückgehalten, stand Ettingen vor der Umfriedung des Gartens. Bald glitt sein Blick über die Blumen hin, bald suchten seine Augen in den Wipfeln des Harfenbaumes die tönenden Glöckchen, bald wieder musterte er die Hütte und spähte nach Tür und Fenstern.

      Er lächelte. »Hier muß es wohnen – mein Märchen!«

      Da kam es auch schon gegangen, auf der anderen Seite des Gartens, vom See herauf, nicht schwebenden Schrittes, nicht mit dem Lilienstab, gar nicht märchenhaft, sondern festen Ganges, gut ausholend bei jedem Schritt. Und während sie den linken Arm, um das Gleichgewicht zu halten, seitwärts streckte, trug sie in der rechten Hand eine große, wassergefüllte Gießkanne, deren schwere Last jede Linie des geschmeidigen Mädchenkörpers straffer spannte – ein Bild gesunden, jungen Lebens, kraftvoll und schön zugleich.

      Auch anders gekleidet war sie als an jenem Abend im schweigenden Wald. Sie trug eine helle Bluse aus leichtem Flanell und dazu einen braunen Lodenrock, unter dessen Saum noch ein Stücklein jener grauen Wollstutzen zu sehen war, wie die Sennerinnen sie zu tragen pflegen. Das reiche Haar, nach dem Bade noch nicht völlig getrocknet, fiel ihr mit wirrem Geringel über Nacken und Schultern bis auf die Hüften nieder, und die um Stirn und Schläfen sich kräuselnden Härchen leuchteten in der Sonne so goldig, daß der schöne Mädchenkopf wie von einem zitternden Schimmerkranz umgeben war.

      Als sie mit dem Knie das Gartentürchen vor sich aufstieß, gewahrte sie drüben am Zaun den stillen, lächelnden Gast. Kaum merklich zuckte es um ihren Mund, als hätte sie in Gedanken zu sich gesagt: Das ist er wieder, der von neulich, aus dem Geißtaler Wald!

      Ettingen lüftete das Hütchen. »Guten Morgen, mein Fräulein!«

      Schweigend dankte sie, wohl freundlich, aber doch nicht anders, als man auf der Straße den höflichen Gruß eines Fremden erwidert.

      »Wollen Sie einem müden Sterblichen erlauben, daß er Ihren blühenden Zaubergarten betritt, um eine Minute zu rasten? Dort, unter Ihrem singenden Baum?«

      Eine Furche lag zwischen ihren Brauen. Hatte ihr seine Frage wie Spott geklungen? Oder wie die Redensart eines Zudringlichen? Doch als ihr Auge dem seinen begegnete, lächelte sie und sagte ruhig: »Treten Sie nur ein! Das Türchen hat keinen Riegel. Man sieht Ihnen an, daß Sie heute schon einen Weg hinter sich haben, der Ihnen warm gemacht hat. Dort bei der Zirbe finden Sie eine Bank. Die hat Schatten.«

      Während sie das sagte, ging sie auf die Hütte zu. Nun stellte sie die Kanne nieder und verschwand in der Tür.

      Welch einen linden Klang ihre Stimme hatte!

      Ettingen umschritt die Fichtenhecke und betrat den Garten. Gerne hätte er einen Blick in das Innere der Hütte geworfen, aber die Tür war zugelehnt. Einem der weißen Kieswege folgend, ging er auf die Zirbe zu, in deren Schatten er einen schwer gezimmerten Holztisch fand und eine aus bizarr gewachsenen Latschenzweigen geformte Bank, deren Holz unter dem Schnee vieler Winter schon völlig schwarz geworden war.

      An diesem Tische mußte schon manch ein müder Wanderer gerastet haben; zahlreiche Buchstaben, ganze und halbe Namen, Jahreszahlen und absonderliche Zeichen waren in die morsche Tischplatte eingeschnitten. Auch der Stamm des Harfenbaumes war bedeckt mit solchen Zeichen, alten und neuen, unter denen eine Reihe von Einschnitten, die in der Mitte des Baumes regelmäßig übereinander angebracht waren, eine Art von Hausherrenrecht auf dieser Rinde zu beanspruchen schien. Da stand zu oberst in der Reihe: »Lolo, aetatis suae XIV – Papa, aetatis suae XLV« – dabei eine Jahreszahl, und diese Zeichen waren umzogen von einer tiefeingeschnittenen Herzlinie mit einer Flamme. Diese Inschrift war sieben Jahre alt, die Schnitte begannen schon in der Rinde zu vernarben. Darunter standen noch, ersichtlich von der gleichen Hand geschnitten, die Zahlen von fünf aufeinanderfolgenden Jahren, und die letzte dieser Zeilen – sie schimmerte noch weiß im Holz und hatte erst einen einzigen Winter überstanden – war umgeben von einem Kränzlein frischer Alpenrosen. Das berührte, als hätte die Spenderin dieser Blumen sagen wollen: »Du letztes Jahr! Wie warst du schön! Ich werde dich nie vergessen! Nie!«

      Von СКАЧАТЬ