Название: Soll und Haben, Bd. 1 (2)
Автор: Gustav Freytag
Издательство: Public Domain
Жанр: Зарубежная классика
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Itzig warf sein Bündel in einen Wandschrank und trat auf die Galerie hinaus. Da er auch hier keinen zweiten Gast vorfand, fing er an von der Galerie die Aussicht zu bewundern mit demselben Grad von Interesse, welchen ein niederländischer Architekturmaler gehabt haben würde, nur nicht ganz in derselben Absicht. Unten am Fuß des Hauses wälzte ein Fluß sein lehmiges Wasser eilig vorwärts und bildete eine schmale Wasserstraße, welche auf beiden Seiten mit verfallenen hölzernen Häusern eingefaßt war. Fast an jedem Hause, an jedem Stockwerk waren ähnliche hölzerne Galerien herausgebaut und durch gebräunte Balken gestützt. Manchmal liefen drei, vier Galerien übereinander, dann war der Fußboden der obern das Regendach der untern. In alter Zeit hatte die achtbare Zunft der Gerber diese Straße bewohnt, damals war das Holzwerk glatt und neu gewesen, und helle Lämmer- oder Ziegenfelle hatten an den Geländern gehangen, bis sie weich und geschmeidig geworden waren, um Handschuhe für die Patrizier und Ledertaschen für ihre Frauen zu geben. Jetzt waren die Gerber nach entfernteren Stadttheilen hinabgezogen, und statt der Thierfelle hing die Wäsche armer Leute an den hölzernen Balconen, über dem zerbrochenen Schnitzwerk und den wurmstichigen Balkenköpfen. Noch stach die weiße, rothe und blaue Farbe der Wäsche im Abendlichte seltsam ab von dem schwarzen Holzwerk, und das Licht brach sich auf wunderliche Weise an den Säulen und Vorsprüngen der Galerie, an rohen Arabesken der Einfassung und an den dunkeln Pfählen, welche hier und da aus dem Wasser hervorragten. Es war ein unheimlicher Aufenthalt für jedes Geschöpf, außer für Maler, Katzen oder arme Teufel.
Junker Itzig war schon früher ein und das andere Mal in dem Hause gewesen, aber immer in größerer Gesellschaft. Heut bemerkte er, daß eine lange bedeckte Treppe vom Ende seiner Galerie bis hinunter an das Wasser führte; er sah, daß neben dieser bedeckten Treppe eine ähnliche am Nachbarhause hinablief, und schloß daraus, daß es möglich sein müsse, die eine Treppe hinunter und die andere hinauf zu steigen, ohne sich mehr als die Schuhe naß zu machen; er entdeckte ferner, daß es bei dem niedrigen Wasserstand des Sommers möglich war, längs der Häuserreihe am Wasser weit hin fortzugehen, und er überlegte, ob es Menschen geben könnte, welche bei Tag oder Nacht einen solchen Spaziergang für nützlich hielten. Nachtwächter und Polizeidiener wenigstens waren dort nicht zu befürchten. Durch diese Betrachtungen wurde seine Phantasie so aufgeregt, daß er in das Gastzimmer zurücklief, in die Wandschränke kroch, welche offen standen, und die Holzwände derselben durch Klopfen und Schütteln untersuchte. Mit Erstaunen entdeckte er, daß auch die Rückwand von Holz war und hohl klang. Da an dieser Seite die Mauer laufen mußte, welche dies Haus vom Nachbargebäude trennte, so fand er den hohlen Ton auffällig und nicht in der Ordnung und war eben im Begriff, einen verschlossenen Wandschrank anzugreifen und zu sehen, ob nicht ein Ritz in dem Holze der Rückwand weiteren Aufschluß gebe, als ein dumpfes Knurren seine Hand von der Schrankthür zurückhielt. Er sah sich um und erkannte – ohne große Beschämung – daß er nicht mehr allein war. In einer Ecke des Zimmers lag in seinen Kaftan gewickelt, das schwarze Käppchen im Haar, ein galizischer Handelsmann zusammengekauert auf dem Strohsack. Er hatte seine Sachen in dem angegriffenen Wandschrank verschlossen und hielt für nöthig, gegen die Untersuchung des Wißbegierigen zu protestiren. Itzig versuchte ein Gespräch mit dem Fremden anzuknüpfen; da dieser aber mehr Lust zum Schlafen als zur Unterhaltung zeigte, setzte sich Itzig in die gegenüberliegende Ecke auf einen andern Strohsack und saß dort mit seinem rastlosen Geiste rechnend und Geschäfte ausdenkend, wobei er zuweilen in lebhaftem Sinnen mit Händen und Beinen schlenkerte, bis die Dunkelheit der Nacht durch die Thür eindrang, und die kleine Oellampe zu knistern anfing und Miene machte auszugehen. Noch kam Pinkus der Wirth selbst herauf, ein Licht in der Hand; er untersuchte den Bestand seiner Gäste, setzte einen Krug Wasser auf den Tisch und schloß beim Herausgehen die Thür von außen ab. Im Finstern holte Itzig ein Stück trockenes Brod aus der Tasche und schlief endlich unter dem Schnarchen seines Stubengenossen ein, den Strohsack unter sich, zugedeckt mit seiner alten Jacke.
Zu derselben Stunde wickelte sich sein Reisegefährte im Patrizierhause in die gesteppte Decke seines Lagers, sah noch einmal mit müden Augen in der Stube umher und bemerkte schlaftrunken, daß die gelbe Katze auf dem Schreibtisch ihre Beinchen bewegte, sich mit der Pfote zu strählen anfing und ihm zuletzt sogar mit beiden Pfoten Kußhändchen zuwarf. Bevor er Zeit hatte, über diese ungewöhnliche Freundlichkeit des Gipses nachzudenken, war er eingeschlafen. Vor beiden Jünglingen senkte sich das Gewebe von grauem Flor herab, auf welchem die Traumgöttin ihre bunten Bilder zu zeigen pflegt. Anton sah sich selbst auf einem großen Waarenballen sitzen und durch die Luft fliegen, während eine gewisse junge Dame die Arme nach ihm ausstreckte; und Veitel Itzig entdeckte mit Behagen, daß er ein Baron geworden war, welcher von Hirsch Ehrenthal um ein Almosen angeredet wurde. Er sah, wie er dem alten Ehrenthal seine sechs Ducaten als Geschenk gab und wie dieser sich kläglich bedankte. Ueber diese Großmuth erschrak er im Traume so, daß er mit Händen und Beinen um sich schlug.
Am nächsten Morgen begann jeder der beiden Jünglinge seine Thätigkeit. Anton saß auf seinem Platze im Comtoir und copirte Briefe; und Veitel stand, nachdem er sämmtliche Stiefeln und Schuhe der Familie Ehrenthal gebürstet und die Kleidertaschen Bernhards durchsucht hatte, als Aufpasser vor dem größten Hotel der Stadt, um einen fremden Herrn vom Lande zu beobachten, welcher mit Herrn Ehrenthal unzufrieden geworden war und im Verdacht stand, sich andere Geschäftsfreunde auf sein Zimmer bestellt zu haben. Anton bekam durch das Copiren der Briefe Einsicht in Styl und Sprache seines Geschäfts, und Veitel hatte während seines Lauerns vor dem Gasthofe das Glück, die Adresse eines vorübergehenden Studenten zu erhalten, welcher es für zeitgemäß hielt, seine silberne Uhr zu verkaufen.
In seinen ersten Mußestunden zeichnete Anton das Schloß, die Kletterpflanzen, den Balcon und die Thürmchen aus dem Gedächtniß auf das beste Papier, das ihm die große Stadt liefern konnte. Er ließ das Bild in einen Goldrahmen fassen und hing es über seinem Sopha auf.
V
Anton hatte in den ersten Wochen Mühe, sich in der neuen Welt zurecht zu finden, in die er versetzt war. Das Gebäude, der Haushalt, das Geschäft waren so alterthümlich, solid und großartig, daß sie auch einem Weltbürger von mehr Erfahrung imponiren mußten.
Das Geschäft war ein Waarengeschäft, wie sie jetzt immer seltener werden, jetzt, wo Eisenbahnen und Telegraphen See und Inland verbinden, wo jeder Kaufmann aus den Seestädten durch seine Agenten die Waaren tief im Lande verkaufen läßt, fast bevor sie im Hafen angelangt sind, so selten, daß unsere Nachkommen diese Art des Handels kaum weniger fremdartig finden werden, als wir den Marktverkehr zu Tombuctu oder in einem Kaffernkral. Und doch hatte dies alte weit bekannte Binnengeschäft ein stolzes, ja fürstliches Ansehen und, was mehr werth ist, es war ganz gemacht, bei seinen Theilhabern feste Gesinnung und ein sicheres Selbstgefühl zu schaffen. Denn damals war die See weit entfernt, die Conjuncturen waren seltener und größer, so mußte auch der Blick des Kaufmanns weiter, seine Speculation selbstständiger sein. Die Bedeutung einer Handlung beruhte damals auf den Massen der Waaren, welche sie mit eigenem Gelde gekauft hatte und auf eigene Gefahr vorräthig hielt. Auf den Packhöfen am Flusse lag in langen Speichern ein großer Theil der fremden Waaren aufgestapelt, ein kleinerer Theil in den Kellern und Gewölben des alten Hauses selbst, viele Vorräthe in Speichern und Remisen der Nachbarschaft. Zahlreiche Kaufleute in der Provinz versorgten sich aus den Magazinen der Handlung mit Colonialwaaren und den tausend guten Erzeugnissen der Fremde, welche uns ein tägliches Bedürfniß geworden sind. Aber auch über die Grenzen des Landes hinaus, nach dem Süden und Osten, bis СКАЧАТЬ