Soll und Haben, Bd. 1 (2). Gustav Freytag
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Название: Soll und Haben, Bd. 1 (2)

Автор: Gustav Freytag

Издательство: Public Domain

Жанр: Зарубежная классика

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СКАЧАТЬ Stube des Herrn Jordan war die größte unter den kleinen Wohnungen des Hinterhauses, in welchem die Herren vom Comtoir einzeln oder zu zweien hausten, und wurde deßhalb und wegen der ansprechenden Gemüthsart ihres Bewohners zuweilen als Salon benutzt; sie genoß die Auszeichnung, ein Fortepiano und einige Armstühle zu besitzen. An den Fenstern hingen zahlreiche Biscuitbilder, in denen edle Weiblichkeit durch mittelalterliche Kirchengängerinnen, Loreleys und Madonnen vertreten war. In diesem Zimmer saßen und standen die Herren und erwarteten die Ankunft des Neulings. Anton machte die Massenvorstellung mit Erfolg durch, indem er jedem Einzelnen die Hand schüttelte und hinterdrein Alle zusammen um ihr Wohlwollen und freundliche Hülfe bat, weil er im Geschäft ganz unerfahren und noch gar nicht in der Welt und wenig unter Menschen gewesen sei. Diese Offenheit verfehlte nicht, einen guten Eindruck hervorzubringen. Darauf ging eine friedfertige Unterhaltung an, gewürzt mit kleinen Scherzen und Anspielungen, welche für einen Neuling so unverständlich als möglich waren. Anton verhielt sich schweigend und mühte sich, das Wesen der einzelnen Herren zu erkennen. Da war der Buchhalter Herr Liebold, ein ältlicher kleiner Mann mit einer feinen Stimme und einem bescheidenen Lächeln, durch welches er die Welt um Vergebung bat, daß er sich die Freiheit nehme, zu existiren. Er sprach wenig, hatte aber die Eigenschaft, im Nachsatz das zurückzunehmen, was er im Vordersatz behauptete; z. B.: »ich glaube fast, daß dieser Thee zu schwach ist, aber freilich ist starker Thee sehr ungesund,« und Aehnliches. Ferner war da Herr Pix, der tyrannische Führer des schwarzen Pinsels in dem Hausflur, ein entschlossener Mann, welcher geneigt schien, alle menschlichen Verhältnisse wie Detailgeschäfte zu betrachten; vielleicht respectabel, aber kleinlich. Als ein Stuhl im Zimmer fehlte, rückte er verächtlich einen kleinen Tisch in die Nähe des Thees, schwang sich darauf und blieb den ganzen Abend rittlings darauf sitzen. Ferner war da ein Herr Specht, welcher viel sprach und stark in Behauptungen war, die von Jedermann bestritten wurden. Er behauptete, China werde durch eine Constitution regiert, die von der englischen nur wenig verschieden sei, und verfocht mit Leidenschaft die Ansicht, daß Schneckensuppe das Lieblingsgericht des seligen Kaisers Napoleon gewesen sei. Ferner war da ein schmächtiger Herr Baumann mit kurz geschorenem Haar und sinnigem Wesen, welcher jeden Sonntag in die Kirche ging, allen Missionsvereinen Beiträge zahlte und, wie seine Collegen ihm auf den Kopf zusagten, die Absicht hatte, später einmal Missionär zu werden. Er schob das noch auf aus einer gewissen kindlichen Gewöhnung an Deutschland und die Firma, zu deren Nutzen er gegenwärtig arbeitete. Anton bemerkte mit Freuden, daß im Ganzen ein artiger und rücksichtsvoller Ton unter den Herren herrschte. Da er ermüdet war, empfahl er sich in Kurzem, und weil er Niemandem widersprochen hatte und gegen Alle zuvorkommend gewesen war, so wurde nach seinem Abgange erklärt, er verspreche ein guter College zu werden.

      Unterdeß schritt Veitel Itzig mit der Gleichgültigkeit eines Herumtreibers und der Sicherheit eines Eingeborenen durch das Gewirr der Menschen und Straßen. Das röthliche Licht der Abendsonne war von den Steinen der Straße an den Häusern hinaufgestiegen, von einem Fenstersims zu dem andern bis hoch auf die Dächer, und das Dunkel des Abends erfüllte die engen Gassen des alten Stadttheils, welcher am Flusse liegt. In einer solchen Gasse stand ein großes Haus mit breiter Front. Die untern Fenster waren durch Eisenstäbe vergittert, im ersten Stockwerk glänzten die weißen Rahmen, welche große Spiegelscheiben einfaßten, unter dem Dach waren die Fenster blind, schmutzig, hier und da eine Scheibe zerschlagen. Es war kein guter Charakter in dem Hause, wie eine alte Zigeunerin sah es aus, die über ihr bettelhaftes Costüm ein neues buntes Tuch geworfen hat.

      In dieses Haus trat Veitel Itzig, indem er einem geputzten Dienstmädchen an der Thür schnalzend einen Kuß zuwarf, den diese wie eine heranfliegende Wespe pantomimisch mit der Hand fortschleuderte. Die unsaubere Treppe führte zu einer weißlackirten Entreethür, auf welcher in großem Messingschild der Name: »Hirsch Ehrenthal« zu lesen war. Veitel faßte den dicken Porcellangriff der Klingel und schellte, ein ältliches Frauenzimmer mit zerknitterter Haube öffnete einen schmalen Spalt und frug, die Nase hinaussteckend, nach seinem Begehr, dann riß sie die Stubenthür auf und rief in das Zimmer: »Es ist Einer da, Itzig Veitel heißt er, aus Ostrau, er will den Herrn Hirsch Ehrenthal sprechen.« Aus der Stube scholl die Stimme des Hausherrn: »Warten soll er!« und das Geklirr von Tellern verrieth, daß der Geschäftsmann erst das Familienglück des Abendessens genießen wollte, bevor er dem künftigen Millionär Audienz gab. Die aufwartende Person warf mit mißtrauischen Blicken auf den Ankömmling die Thür wieder zu und sperrte ihn aus.

      Veitel setzte sich auf die Treppe und sah mit starrem Auge auf das Messingschild und die weiße Thür, bewunderte die abgeschrägten Ecken der Messingplatte und versuchte sich vorzustellen, wie der Name Itzig auf einer eben solchen Platte an einer ähnlichen weißen Thüre aussehen würde. Darauf kam er auf gradem Wege zu der Betrachtung, wie viel ihm noch fehle, um so reich zu sein, wie Hirsch Ehrenthal, er fühlte nach einem halben Dutzend Ducaten, welche ihm seine alte Mutter mit einem Lederfleck in das Futter seiner Weste eingenäht hatte, und überlegte, wie viel er alle Tage dazu sparen könnte, vorausgesetzt, daß ihm der reiche Mann Gelegenheit ließe, etwas zu verdienen. Er war tief in Betrachtungen versunken über den Werth von zwei Phantasiestiefeln, welche er sich auf den Beinen eines jungen Elegants vorstellte, und welche nach seiner Annahme den dreifachen Werth des Viergroschenstücks haben mußten, das er dem eleganten Herrn dafür bieten wollte; da wurde die Entreethür mit starker Hand aufgemacht, und Herr Ehrenthal stand vor dem armen Bocher. Das war nicht mehr der Mann von heut Nachmittag, die anschmiegende Freundlichkeit war verschwunden, wie der Duft einer Rose am Ende des heißen Tages, er war ganz Majestät, Selbstgefühl, Despotismus; kein asiatischer Kaiser kann so stolz auf die Creatur vor seinen Füßen heruntersehen, als er auf das Kind von Ostrau zu blicken verstand. Itzig fühlte das Bedeutende in der Stellung des großen Mannes und seine eigene Nichtswürdigkeit trotz der sechs Ducaten im Ledersäckchen, er schnellte in die Höhe und stand demüthig vor seinem Meister. »Hier ist ein Brief von Baruch Goldmann, bei welchem der Herr Ehrenthal mich hat verschrieben für sein Geschäft,« begann Veitel und hielt dem großen Mann einen Brief entgegen.

      »Ich habe dem Goldmann geschrieben, er soll mir einen Menschen schicken, den ich mir ansehe, ob ich ihn brauchen kann; abgemacht ist noch nichts,« sprach Ehrenthal vornehm und öffnete das Schreiben.

      »Ich bin doch gekommen, damit Sie mich ansehen,« entgegnete Veitel.

      »Und was kommst du so spät, junger Itzig? Es ist keine Zeit mehr zur Rede vom Geschäft,« schnarrte ihn der Hausherr an.

      »Ich wollte mich melden bei meinem Herrn Hirsch Ehrenthal zum Dienst noch heut Abend, wenn er mir hat zu geben einen Auftrag für morgen früh.«

      »Davon ist zu reden morgen früh,« antwortete gereizt der Herr, welcher es für vortheilhaft hielt, dem Neuling zu zeigen, wie wenig ihm an seiner Person gelegen sei. Itzig begriff vollkommen das Zweckmäßige dieses Benehmens, und da er sah, daß seine Stellung bei dem abzuschließenden Geschäftsvertrage bis jetzt keine günstige war, suchte er sie dadurch zu verbessern, daß er tiefer auf die Sache einging und entgegenwarf: »Ich kann vielleicht leisten einen Dienst morgen früh, wo Markttag ist, weil ich kenne die meisten Kutscher von den Herren, welche hereinkommen mit Raps.«

      »Was Raps! Was thue ich mit Raps? Was will er reden vom Geschäft?« schleuderte ihm Hirsch Ehrenthal noch grimmiger entgegen.

      Aber unerschüttert fuhr Veitel fort sich herauszustreichen, wie ein seidenes Halstuch: »Ich bin auch sonst bekannt in der Stadt, ich kenne die Makler und die kleinen Leut' und kann dem Herrn helfen bei jedem Geschäft, das er machen will im Haus und außer dem Haus.« Und um seinen Selbstverkauf dem Abschluß näher zu bringen, fügte er mit resignirter Miene hinzu: »Ich bin nicht so stolz, daß ich will wohnen in dem Hause bei Herrn Hirsch Ehrenthal; wenn der Herr Ehrenthal für mich nicht hat ein Bett in seinem Hause, so will ich mir suchen mein Lager in der Nähe bei einem Wirth.«

      Herr Ehrenthal wurde durch diese Anspruchslosigkeit so weit gerührt, daß er den Burschen noch einmal von oben bis unten ansah und mit mehr Herablassung frug: »Sind deine Papiere in Ordnung, daß du mich in keine Unannehmlichkeiten bringst mit der Polizei?«

      Veitel СКАЧАТЬ