Die große Gauklerin. Brachvogel Carry
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Die große Gauklerin - Brachvogel Carry страница 7

Название: Die große Gauklerin

Автор: Brachvogel Carry

Издательство: Public Domain

Жанр: Зарубежная классика

Серия:

isbn:

isbn:

СКАЧАТЬ einmal vom halben Freiplatz im Kadettenkorps und im Infanterieregiment befreit sein wollte, um das Leben in Schönheit und Kunst zu leben, von dem Geschlecht auf Geschlecht vergebens träumte. Auch der Oberst Schöttling hatte in seinen Knabenjahren gemeint, daß der Prozeß wohl gewonnen sein würde, bis er das Kadettenkorps verließ, und daß er dann für Jahre hinunterziehen dürfte nach Italien, um Maler zu werden, wie's der Vorfahre gewesen war. Aber auch ihm ging's nicht anders wie den andern, denn die Entscheidung des Prozesses verzögerte sich immer noch, nur die dreißig Mark Zulage blieben. Weil der Leutnant Schöttling aber von Hause aus ein gescheiter Mensch und obendrein halb und halb ein Sohn der neuen Zeit war, die vom Träumen und Sehnen nicht mehr gar so viel wissen mochte, kam er über den Durchschnitt hinaus, wurde Geschichtslehrer an der Kriegsakademie, erreichte es, daß er in den Stab kam, und schien bestimmt zu sein, eine große oder wenigstens sehr gute Karriere zu machen. Da kam aber bei ihm doch wieder die künstlerische Unbedachtsamkeit zutage, er verlobte sich mit einem blutarmen Mädchen, das geduldig mit ihm wartete, bis er als Hauptmann sie heiraten konnte. Rasch nacheinander kamen vier Kinder, unter ihnen drei Söhne, deren Existenz sich abermals auf den halben Freiplatz im Kadettenkorps und die dreißig Mark Zulage aufbaute. Dann begann die Frau zu kränkeln, Aerzte und Badereisen zu bedürfen, und alles, was sonst an die Hausfrau und Mutter kam, legte sich nun auf die Schultern der jungen Elisabeth. Eine wegen beiderseitiger Armut aussichtslose Neigung zu einem Leutnant im Regiment ihres Vaters warf die ersten tieferen Schatten über ihre Seele und ihr Gesicht, und die Jahre, die nachkamen, hielten mit feinen, mit ganz feinen Linien den Umriß der Schatten fest. Die Mutter starb, für den Vater war es Zeit, in Pension zu gehen, und er siedelte aus der teueren Pfalzgarnison, in der sie zuletzt gestanden hatten, nach München über, weil Elisabeth, die ein hübsches, wenn auch nicht aufsehenerregendes Talent besaß, Malerin werden wollte. Sie studierte fleißig in einer Malschule ganz moderner Richtung, bekam durch ihren guten Namen und mancherlei Beziehungen von früher her auch allerlei Aufträge für Kinderportraits oder Kopien, aber sie fühlte doch bald, daß ihre Begabung nicht ausreichte, um ihrem Leben einen Inhalt zu geben, wenngleich sie natürlich die Einnahmen, die ihr die Bilder brachten, nicht hätte missen mögen. Denn das billige München war unaufhaltsam teurer geworden, die drei Brüder reichten schon lange nicht mehr mit ihrem bescheidenen Wechsel, und der Oberst war froh, daß die Tochter wenigstens nicht von ihm forderte, sondern bescheiden und still das kleine Hauswesen führte und selber verdiente, was sie an Extraausgaben benötigte.

      Endlich war dann der Prozeß gewonnen, der die Lage der Familie mit einem Schlage glänzend gestaltete, und als ersten Genuß des Besitzes gönnten sich der Oberst und Elisabeth die italienische Reise, die zunächst bis Neapel führen sollte. In Anbetracht des ungewöhnlichen Ereignisses hatte auch der jüngste Bruder, der in einer kleinen, fränkischen Garnison war, einen vierzehntägigen Urlaub erhalten, und das Kleeblatt reiste in hellem Jubel ab.

      Ueber Mailand ging die Fahrt in kleine Nester und Städte, die durch große Offenbarungen der Kunst für alle Zeiten geweiht sind. Der Oberst und Elisabeth schwelgten in primitiven Fresken, in naiven Gobelins, in präraffaelitischen Märtyrern und Allegorien, der Leutnant aber stand ziemlich teilnahmslos umher und schien von allem, was er sah, ziemlich oder gründlich enttäuscht. Denn Otto von Schöttling war ein aus der Art geschlagener Schöttling und Bayer, dem wenig Kunstbegeisterung im Blute lag, der nicht als Aesthet, sondern als Beobachter reiste und obendrein noch das »Uns-kann-keiner-Gefühl« des jungen Neudeutschen mit sich trug und zur rechten Zeit laut werden ließ. Er sah überall Verlotterung, Faulheit, Schmutz und Unredlichkeit, wo Vater und Schwester malerische Wirkung und kindliche Harmlosigkeit erblickten, und erklärte bald, er hätte schon genug vom Bilderrummel, und der Geruch der Kanäle sei so entsetzlich, daß er ihn auf die Länge nicht aushalten könne. Erstaunt, ungläubig hörten der Oberst und Elisabeth, was er sagte, und begriffen ihn nicht, begriffen vor allem nicht, wieso sich gerade hier, in dieser märchenhaften Stadt eine so tiefe Verschiedenheit der Ansichten geltend machen konnte.

      Dann bat wohl Elisabeth: »Geh', Papa, erzähl' ein wenig, wie alles war, wie Du zum erstenmal hier warst!«

      Und der Oberst, der sich selbst gern der alten Zeiten erinnerte, fing an zu erzählen, wie schlecht damals, so ums Jahr 1875 herum, die Schiffe und wie lang die Fahrt gewesen, wie es in Venedig damals noch keine Wasserleitung und keine Vaporetti gegeben habe, sondern nur Ziehbrunnen und die schwarzen Gondeln, wie das alte Getto noch bestanden habe, starrend vor Schmutz, aber in den Tiefen seiner Trödlerläden seltene Altertümer bergend, wie die Straßen und Plätze kaum je gekehrt wurden und von Bettlern erfüllt waren, und wie er und der andere junge Dachs, mit dem er gereist war, an der Speisenkarte ihrer Trattoria gemächlich von den Preisen herunterhandeln konnten. Elisabeth hörte solche Geschichten vom früheren Venedig zu gern, der Leutnant aber meinte mit gönnerhaftem Lächeln:

      »Donnerwetter, Papa, das muß eine schöne Wirtschaft gewesen sein und eine schöne Trattoria!«

      Der Oberst entgegnete ruhig:

      »Wir waren anspruchsloser als Ihr heutzutage! Ihr habt's besser und wollt's immer noch besser haben!«

      Der Leutnant wurde rot und klein. So hatte er's ja nicht gemeint, er wollte den Vater ja nicht kränken und war doch weiß Gott für sich persönlich nicht anspruchsvoll. –

      »Laß gut sein, ich weiß schon, wie Du es meinst! Elisabeth und ich, wir sind eben die Rasse von früher, und Ihr die neue. Wir beten noch an, was unsere Vorfahren angebetet haben, Ihr aber seid aus anderm Stoff und wollt selber Vorfahren sein!«

      Sie verfolgten das Gespräch nicht weiter.

      Der Oberst dachte dann wohl ein wenig darüber nach, wie seltsam verschieden von ihm doch seine Söhne waren, von denen es keinen zur Kunst hinzog, obgleich sie jetzt doch hätten tun und lassen können, wozu die Neigung sie trieb. Der eine wollte nur zur Kavallerie übertreten, der zweite ging mit dem Gedanken um, den bunten Rock auszuziehen, um Elektrotechnik zu studieren, und der Jüngste hier träumte nur von weiten Auslandreisen, von dem Posten eines Militärattachés bei Gesandtschaften in Japan, China oder Amerika.

      »Meine nächste Reise aber geht nach England. Ich will den Platz aufsuchen, wo wir nach dem nächsten Krieg dem King den Frieden diktieren!« setzte er lachend, aber doch mit einem Unterton von Ernst hinzu.

      »Ja, ja, der Vorfahre!« sagte der Oberst mit leiser Ironie.

      Hinwiederum neckte der Leutnant Elisabeth gern, wenn sie bei Fahrten auf dem Canal Grande oder bei Spaziergängen durch die winkelige Stadt immer wieder in Bedauern ausbrach, daß so viele der alten Paläste von einstens zu Registraturen, Gasthöfen, Bilder- und Glaswarenniederlagen degradiert worden waren, vor allem, daß sich heute im Palaste der Catarina Cornaro das Leihhaus befindet. Er sagte dann wohl: »Ich wette, Liesel, die Dogen wären mit dieser Wandlung ganz zufrieden und die Republik Venedig auch. Das waren doch alles nur Krämer und Händler, und ein Leihhaus ist ein Geschäft wie ein anderes auch.«

      »Aber findest Du's denn nicht jammervoll, daß diese großen Familien so heruntergekommen sind, daß sie ihre Paläste zu Bureaux oder Kaufläden hergeben müssen?«

      »Du lieber Gott, was soll einem das Haus ohne Schnecke und der Palazzo ohne Geld! Ich finde es noch ganz vernünftig, daß sie sich nicht mit altem Krempel plagen, der für sie keinen Wert mehr hat.«

      »Ich kann nicht so denken wie Du! So oft ich am Palazzo Manin vorbeikomme, muß ich immer daran denken, wie Papa uns erzählte, daß zu seiner Zeit der letzte Nachkomme der Manins auf dem Markusplatz Streichhölzer verkauft hat!«

      Der Leutnant lachte.

      »Wenn sie dem guten Papa da nur nicht einen Bären aufgebunden haben! Außerdem war der letzte Manin ein simpler Advokat und die Republik von 1848 etwas so Klägliches, daß sie ihrem Schöpfer danken durfte, als sie beim vereinigten Königreich Italien unterkriechen konnte!«

      Es kam bei allen Ironien und Neckereien СКАЧАТЬ