Die große Gauklerin. Brachvogel Carry
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Название: Die große Gauklerin

Автор: Brachvogel Carry

Издательство: Public Domain

Жанр: Зарубежная классика

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СКАЧАТЬ Pergolen wechselten mit Säulen und Fassaden des San Sovino, mit Friesen, Balkonen und Pilastern von heiterer Festlichkeit. Die einen sahen gewaltig, die andern prunkvoll oder verlottert aus, den mochte ein Eroberer, jenen ein fröhlicher Genußmensch oder ein toller Verschwender gebaut haben, aber wer immer den Odem des Lebens ihnen eingeblasen hatte, – sie hatten ihn bewahrt, wie sie ihn empfingen, und trugen ihn weiter über Jahrhunderte, Krieg, Völkergeschick und Verfall bis auf den heutigen Tag, daß der Wasserarm, in dem sie sich spiegeln, einer geheimnisvollen Quelle gleicht, der die Kraft gegeben war, dem Tode zu wehren und längst Vergangenes durch Zauberkraft festzuhalten. Unwirklich, nicht einmal wie ein Märchen, sondern nur wie die Spiegelung eines Märchens, lag Venedig da, nur die Vaporetti, die auch zu dieser frühen Stunde fleißig und geräuschvoll den Kanal auf und ab fuhren, brachten durch das wirbelnde Geräusch ihrer Räder und die bunte Menge, die sie verfrachteten, den Lärm und das Getriebe des lebendigen Tages in diese Palaststraße, die der Vergangenheit und den großen Erinnerungen geweiht scheint. Elisabeth sah hinaus, wie sie jeden Morgen hinaussah, ungläubig, erstaunt, so als ob sie's noch immer nicht fassen könne, daß dies alles nun ihr und ihren durstigen Augen gehöre. Sie wandte den Kopf zurück zu ihrem Vater, der am Frühstückstisch saß:

      »Kannst Du's fassen, Papa, ich noch immer nicht! Ich meine immer noch, eines Morgens müßt' ich aufwachen, daheim in München, und merken, daß alles nur geträumt war!«

      Der Oberst lachte.

      »Unser italienischer Traum dauert jetzt schon Wochen, und da hab' ich mich allmählich daran gewöhnt!«

      »O sag' nicht ›gewöhnt‹! Gewöhnen kann man sich an alles mögliche, aber an Venedig nie, nie … Mir kommt's schon immer so töricht vor, daß man hier essen und schlafen muß, wie sonst auch, statt zu schauen, immerfort zu schauen. Ich hab's wie ein Fieber in mir, daß ich meine, ich müßte jeden Tag auspressen und genießen, als ob er mein letzter wäre!«

      »Ich genieße jeden Venezianer Tag lieber so, als ob er mein erster wäre, als ob ihm noch eine endlose Reihe von seinesgleichen folgen müßte.«

      Elisabeth dachte eine Sekunde nach.

      »Ja, das ist wohl auch klüger, und ich möcht' es auch, aber ich kann nicht. Es ist wie eine Angst in mir, daß mir etwas von all dieser Schönheit entrinnen und daß ich's dann nie mehr einholen könnte.«

      Der Oberst nickte.

      »Das ist die Jugend mit ihrer schönen Zügellosigkeit! Mädel, Du weißt gar nicht, wie gut Du's hast, daß Du in Deinen jungen Jahren Italien auf- und abkutschieren darfst. Ich hab's nicht so gut gehabt!«

      »Du warst aber doch schon als junger Mensch einmal hier!«

      Die Augen des Obersten leuchteten auf.

      »Ja, freilich, als ganz junger Dachs mit ein paar mühselig ersparten Kröten. Für acht Tage in einem italienischen Beisel hat's gereicht! Aber was waren das für acht Tage! Herrgott, was für Tage! Damals war man eben jung und genau so verrückt wie Du heut, obgleich ich für mein Mittagessen nicht so viel zahlen konnte, wie wir heute hier für eine Flasche Selterwasser.

      Aber Venedig bleibt immer Venedig, und wie man's erreicht, ist schon ganz gleichgültig, wenn man's nur erreicht!

      Aber sag', Liesel, willst Du nun immerfort am Fenster stehenbleiben und das schöne Frühstück kalt werden lassen?«

      »Ich habe gar keinen Hunger!«

      »Ach was, keinen Hunger! Der Mensch muß ordentlich frühstücken, immer und in allen Lebenslagen, hauptsächlich auf Reisen! Also mach' keinen Unsinn, komm her und trinke Deinen Tee!«

      Elisabeth trat lächelnd vom Fenster zurück und setzte sich ihrem Vater gegenüber an den Frühstückstisch, auf dem alles stand, was ein erstes Hotel zum Déjeûner complet serviert. Sie trug kein Morgenkleid, sondern war schon wieder wie gestern zum Ausgehen fertig, aber trotz der Ungeduld, die sich in dieser morgendlichen Bereitschaft verriet, und trotzdem sie behauptet hatte, daß sie gar keinen Hunger habe, aß sie jetzt doch mit dem Appetit ihrer Jugend, so daß der Vater lange vor ihr fertig war und sich in das Studium der deutschen Zeitung versenkte, die er gestern abend gekauft hatte. Elisabeth las indes im Bädeker nach, was man gestern gesehen hatte oder heute sehen konnte. Als der Oberst seine Zeitung zu Ende gelesen hatte, fragte er:

      »Also, wie war doch das Programm für heute? Wenn ich mich recht erinnere, vormittags die Gemäldesammlung im Palazzo Priuli, dann San Zaccaria und San Giovanni e Paulo, und nachmittags nach Chioggia. Das alles aber natürlich nur, wenn es Dich nicht müde macht!«

      Elisabeth schüttelte den Kopf. Nein, hier war sie nie müde. Befand sich immerfort in einer leisen, köstlichen Erregung. Es war ihr, als ob ihr Körper gar keine Schwerkraft mehr besäße, sondern gleich einem leuchtenden, durchsichtigen Vogel von Schönheit zu Schönheit flog, immer höher und höher in eine blaue, unnennbare Ferne hinein, in der es nichts mehr gab als Seligkeit.

      Jeder junge, empfindsame Mensch, der zum erstenmal italienischen Boden betritt, kennt den romanischen Rausch, in dem der Germane und Nordländer seine Geistesschwere vergißt und mit Staunen sieht, wie schön eine Welt sein kann, in der es kein Regenwetter und keine abgrundtiefen Probleme gibt. Wenn Elisabeth diesen Rausch stärker empfand als die meisten anderen, so war's vielleicht, weil sie die Sehnsucht ihrer ganzen Familie im Blute trug, weil die Schöttlings, dies verarmte bayerische Adelsgeschlecht, ihrem Drang und ihrem Wesen nach Künstler waren, wenn sie gleich aus Standes- und Sparsamkeitsrücksichten immer wieder den Offiziersberuf wählten. Nur einer von ihnen, Peter von Schöttling, der ums Jahr 1830 herum lebte, hatte, weil er ein ungewöhnliches Talent war, seiner großen Leidenschaft folgen und Maler werden können. Er hatte mit König Ludwig I. die Italienreise gemacht, war ein Freund Rottmanners gewesen, und die alte Pinakothek in München bewahrt noch ein paar im Stil seiner Zeit gemalte treffliche Landschaften von ihm. Das war aber auch der einzige, der seine Sehnsucht hatte ausleben dürfen; bei den anderen reichte weder das Können noch das Geld, und sie wurden Soldaten, weil sie im Kadettenkorps einen halben Freiplatz bekamen, und weil ihre Väter immer gerade noch die dreißig Mark Zulage für ein Infanterieregiment aufbringen konnten.

      Weil sie allesamt Künstlernaturen waren, heitere oder versonnene Idealisten, lag die ewige Geldmisere nicht gar zu schwer auf ihnen; sie träumten wohl davon, wie schön das sein müßte, wenn man so leben könnte, wie der Peter von Schöttling gelebt hatte, dilettierten wohl auch in ihren Mußestunden ein wenig mit Pinsel und Palette herum, aber dann gingen sie auch wieder als brave Soldaten zum Dienst und taten ihre Pflicht, wenn auch keiner von ihnen eine Leuchte der Strategie oder des Kriegshandwerks wurde.

      Seltsam und tragikomisch war es, daß diese Menschen, die so gerne von den Notwendigkeiten des Lebens gar nichts gewußt hätten, durch die Verhältnisse gezwungen waren, diesen Erbschaftsprozeß zu führen, der in der Tat bis zu einem der bayerischen Kurfürsten zurückreichte und sich um Millionenliegenschaften drehte. In diesem Prozeß stritten zwei Linien Schöttling gemeinsam gegen eine dritte, die sich jene Liegenschaften kraft irgendeiner unklaren Ehe angemaßt hatte, stritten mit ihr über ein Jahrhundert hinweg mit einer Ausdauer, einer Zähigkeit und einer Empörung, als ob sie allesamt die zwei Ur-Schöttlinge wären, die den Erbschaftsprozeß zuerst angefangen hatten. Geschlechter kamen, liebten, haßten, hofften, alterten und starben, – aber der Prozeß dauerte fort. Jede Hoffnung begann bei ihnen mit den Worten: »Wenn wir den Prozeß erst gewonnen haben …«, und jede Entsagung senkte grimmig das Haupt: »Ja, wenn wir den Prozeß schon gewonnen hätten …« Der Prozeß war schließlich wie ein unsichtbares, aber lebendiges Wesen geworden, das mit ihnen ihre Tage teilte, sie erfüllte, umzingelte, jeder Süße und jeder Bitternis seinen Namen lieh. Und doch dachten die wenigsten von ihnen, die da verbissen von Instanz zu Instanz stritten, an unerhörte materielle Genüsse, an Luxus und Verschwendung, die ihnen aus dem endlich erreichten Schatz kommen sollten. СКАЧАТЬ