Название: Handbuch der Europäischen Aktiengesellschaft - Societas Europaea
Автор: Hans-Peter Schwintowski
Издательство: Bookwire
Серия: C.F. Müller Wirtschaftsrecht
isbn: 9783811437579
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Viele SE-Umwandlungen deutscher mitbestimmter AG sind dadurch motiviert, dass in der neuen Rechtsform die Möglichkeit besteht, die Größe und Zusammensetzung des Aufsichtsrats zu modifizieren. Da die Vorschriften des Mitbestimmungsgesetzes, insbesondere dessen § 7, auf die SE keine Anwendung finden, fällt die Festlegung der Größe des Aufsichtsrats ausschließlich in die Kompetenz des Satzungsgebers, also der Hauptversammlung. Dadurch können die Effizienz der Aufsichtsratsarbeit gesteigert und Kosten gesenkt werden. Hinzu kommt, dass sich im Fall der Umwandlung in eine SE die Zusammensetzung des Aufsichtsrats regelmäßig ändert: Während sich in der AG die Arbeitnehmerbank im Aufsichtsrat nur aus in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmern zusammensetzt, haben in der SE auch im europäischen Ausland tätige Arbeitnehmer ein aktives und passives Wahlrecht und werden zahlenmäßig proportional im Aufsichtsrat beteiligt.[36] Diese Internationalisierung und die Verkleinerung des Aufsichtsrats führen dazu, dass weniger Aufsichtsratsmandate für Gewerkschaftsvertreter zur Verfügung stehen und damit die Bedeutung der Gewerkschaften im Aufsichtsrat abnimmt.
8. Vorrats-SE
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Die SE ist auch als Vorratsgesellschaft einsetzbar[37] und als solche in der Praxis sehr beliebt.[38] Vorzugsweise wird zunächst eine SE als Tochter-SE gegründet. Diese kann dann beliebig viele SE-Tochtergesellschaften nach Art. 3 Abs. 2 SE-VO gründen.[39] Hat die gründende SE keine Arbeitnehmer, ist auch die Vorrats-SE mitbestimmungsfrei, ohne dass es Verhandlungen über die Arbeitnehmerbeteiligung bedarf.[40] Aus diesem Grunde wird in vielen Fällen, in denen eine SE angestrebt wird, eine Vorrats-SE verwendet. Vor dem Hintergrund des § 18 Abs. 3 SEBG ist die Mitbestimmungsfreiheit der Vorrats-SE jedoch nicht zwingend endgültig, da geplante strukturelle Änderungen eine erneute Verhandlungspflicht auslösen können.
9. SE als Familienunternehmen
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Die Rechtsform der SE eignet sich in besonderem Maße auch für Familienunternehmen.[41] Zum einen bietet das monistische System die Möglichkeit, die einzelnen Familienstämme über den Verwaltungsrat flexibler und besser an der Leitung zu beteiligen als in einer dualistischen AG. Zum anderen ermöglicht es dem starken Unternehmer, sich flexibler schrittweise aus der Führung des Unternehmens zurückzuziehen und die nachfolgende Generation einzubinden. Hinzu kommt, dass die Flexibilisierung und Beschränkung der Mitbestimmung gerade für Familienunternehmen ein wichtiges Thema ist. So können insbesondere nicht (paritätisch) mitbestimmte Familienunternehmen aufgrund der Möglichkeit, das im Zeitpunkt der Gesellschaftsumwandlung bestehende Ausmaß der Mitbestimmung „einzufrieren“, verhindern, dass sie durch etwaige Veränderungen hinsichtlich der Anzahl der Arbeitnehmer künftig dem DrittelbG oder dem MitbestG unterliegen.[42]
10. SE als Akquisitions-Vehikel
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In bestimmten Konstellationen ist die SE auch als Akquisitions-Vehikel geeignet. Neben der Möglichkeit einer späteren Sitzverlegung und der Vorteile als europäisches Marketinginstrument empfiehlt sich die SE als Akquisitions-Vehikel vor allem aus zwei Gründen, nämlich der Flexibilität der Organisationsverfassung und der Flexibilität der Arbeitnehmermitbestimmung. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen das Akquisitions-Vehikel das Zielunternehmen im Wege eines asset deal erwirbt, letztlich jedoch auch in Fällen eines share deal, in denen das Akquisitions-Vehikel lediglich als Holding fungiert.
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Die Flexibilität der Organisationsverfassung erlaubt die Wahl des monistischen Board-Systems, bei dem der Erwerber über den Verwaltungsrat und aufgrund der Weisungsgebundenheit der geschäftsführenden Direktoren unmittelbar Einfluss auf die Leitung des Zielunternehmens nehmen kann. Dies ist für Venture Capital-Investoren bei Frühphasen- und Start up-Finanzierungen häufig von elementarer Bedeutung. Gleichzeitig können – anders als bei der Verwendung einer GmbH als Akquisitions-Vehikel – die Vorteile der aktienrechtlichen Kapitalverfassung und des Kapitalmarkts gewahrt werden: die Möglichkeiten der Schaffung von genehmigtem oder bedingtem Kapital und der Eigenkapitalfinanzierung durch Options- oder Wandelschuldverschreibungen, die einfachere Übertragbarkeit der Aktien sowie die Möglichkeit eines exit über die Börse.
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Ferner sind die Flexibilität der Arbeitnehmerbeteiligung und das „Einfrieren“ der Mitbestimmung für die SE als Akquisitions-Vehikel interessant. Wird eine Vorrats-SE verwendet, ist diese grundsätzlich zunächst mitbestimmungsfrei. Selbst wenn die Akquisition über § 18 Abs. 3 SEBG eine erneute Verhandlungspflicht auslösen sollte, kann möglicherweise die größere Flexibilität der Verhandlungslösung genutzt und eine vom sonst einschlägigen gesetzlichen Modell abweichende Mitbestimmung vereinbart werden. Jedenfalls wird dieses vereinbarte Mitbestimmungsniveau nicht durch spätere Neueinstellungen tangiert, die zu einem Überschreiten der mitbestimmungsrechtlichen Arbeitnehmerschwellen führen. Auch insofern ist die SE gerade bei wachsenden Zielunternehmen als Akquisitions-Vehikel prädestiniert.
Anmerkungen
Hopt ZIP 1998, 96, 99.
Www.worker-participation.eu/European-Company-SE/Facts-Figures; nach Tschechien mit fast 1 500 liegt Deutschland damit auf Rang 2, was die SE-Gründungen angeht. Jährlich werden in Deutschland mehr als 40 neue SE gegründet. Zu den Ursachen der enormen Popularität der SE in Tschechien ausführlich Eidenmüller/Lasak FS Hommelhoff, 2012, S. 187 ff., die maßgeblich auf ein – rechtlich nicht unproblematisches – landesspezifisches „Finanzierungsmodell“ für die SE-Gründung verweisen, wonach ein professioneller Anbieter das Grundkapital für die SE vorstrecke, nach Eintragung abziehe und dem Käufer ein Darlehen für den Erwerb der SE gewähre (Eidenmüller/Lasak FS Hommelhoff, S. 199 f.). Diese Konstruktion schaffe erhebliche Anreize für SE-Gründungen, wobei die SE aufgrund ihrer vereinfachten Corporate Governance-Struktur der tschechischen Aktiengesellschaft vielfach vorgezogen werde (Eidenmüller/Lasak FS Hommelhoff, S. 202 f.).
Stand: Mai 2014.
Aktuelle Untersuchungen zeigen, dass die SE in Deutschland ganz überwiegend von kleinen und mittleren Unternehmensgruppen genutzt wird, vgl. Schuberth/von der Höh AG 2014, 439 ff.
Schuberth/von der Höh AG 2014, 439 ff.