Название: Mara und der Feuerbringer
Автор: Tommy Krappweis
Издательство: Автор
isbn: 9783964260444
isbn:
Die beiden Raben Odins sahen sich für einen kurzen Moment an, als würden sie sich wortlos austauschen. Dann nickten sie, wie Raben eigentlich nur in animierten Trickfilmen nicken, und Munin begann zu sprechen:
Einst schritten die Rater zum Richterstuhl
Die heiligsten Götter hielten Rat —
»Stallschuh!«, rief Mara sofort dazwischen und hoffte, dass sie das altnordische Wort einigermaßen richtig ausgesprochen hatte. »Bitte diesmal ohne diesen nordisch-germanischen … Reim … Rätsel … Bampf!«
»Ich protestiere«, hörte sie den Professor neben sich, aber Mara hob die Hand. »Ich weiß, dass Sie viel Freude daran haben, das immer wieder zu entschlüsseln und so, aber ich will jetzt mal viel Freude daran haben, dass ich gleich alles verstehe.«
Der Protest des Professors brach sich in Form eines lautstarken Ausatmens Bahn, doch er sagte nichts. Mara blickte auffordernd zu Hugin und Munin. »Also? Wie sieht’s aus? Sagt ihr mir jetzt, wie das alles kam, oder nicht? Ich warne euch aber vor: Wenn ich nicht zufrieden bin mit der Erklärung, dann könnt ihr die so was von alleine retten, eure Welt!«
»Unsere«, verbesserte der Professor.
»Die wissen, was ich meine!«, fauchte Mara zurück, und alle schwiegen.
Ein paar Sekunden lang geschah nichts. Wieder wirkte es so, als würden die beiden Raben stumm miteinander kommunizieren. Doch dann passierte etwas Seltsames. Hugin drehte ziemlich plötzlich seinen Kopf zur Seite und starrte nun mit einem Auge direkt in Maras Kopf hinein. Ihr erster Gedanke war: Hoffentlich schaut der sich da drin jetzt nicht um! Ihr zweiter galt dem Professor, und sie hatte noch die Geistesgegenwart, ihn an der Hand zu packen, um ihn mit einzuschließen.
Aber schon der dritte Gedanke war nicht mehr der ihre. Stattdessen erfüllte die Stimme von Hugin all ihre Sinne. Schnell erkannte sie auch, was er sprach, und im nächsten Moment hörte sie schon nicht mehr, sondern fühlte nur noch …
Heimdall
Wächter der Götter, Bewacher von Bifröst,
Erwacht.
Wie lang schlief ich, wie lang wachte ich nicht?
Warten schon die Feinde, am anderen Ende der Farbenbrücke?
Ist Asgard schon Feuer, der Wohnsitz der Asen vernichtet?
Heimdall öffnet die Augen
Bifröst, prächtiger Regenbogen, einst Weg nach Asgard, zum Wohnsitz
der Götter – kaum mehr als eine Erinnerung …
Asgard, mein Asgard, einst Sitz der Götter, mit den großen Hallen der
Mächtigen – nichts als Reste vergangener Zeiten …
Die Götter, Odin, Frigg, Thor, Freyr und Freya, vergaßen sich – schlafende
Schatten in den Ruinen …
Und Heimdall weint um die Menschen.
Es passte eigentlich nicht zu der Erscheinung des Mannes, und gerade darum wirkte es so rührend. Er mochte auf den ersten Blick wie ein uralter Mann aussehen, mit seinem dichten, weißen Bart und den langen, zotteligen Haaren unter der Lederkappe. Aber die Körperspannung und die drahtigen Muskeln unter der Lederrüstung verrieten, dass er ein Kämpfer war.
Auffallend war außerdem die seltsam geformte Ledertasche auf seinem Rücken. Sie sah so ähnlich aus wie ein Köcher für Pfeile, war aber so gebogen, dass Pfeile dieser Form überallhin, nur sicher nicht ins Ziel geflogen wären.
Gleichzeitig war Mara ebenso verwundert wie auch gerührt, dass er nicht nur um sich und die alten Götter in Sorge war, sondern um die Menschen weinte! Ja, Heimdall bangte um die Menschen in Midgard, »der Welt in der Mitte«. Denn wie konnten sie überlebt haben, wenn ihre Götter nicht mehr waren?
Mara wusste natürlich die Antwort, konnte sie ihm aber nicht geben. Sie war nur Zuschauer dieser Erinnerung, musste ohnmächtig zusehen, wie der alte Gott verzweifelt durch die blassen Ruinen stolperte. Doch gleichzeitig spürte sie auch, wie dieser ehemals so mächtige Ort ihr selbst Kraft spendete. Es war nicht viel, gerade wie ein sanftes Kitzeln in den Fingerspitzen, aber es half Mara, sich zu konzentrieren.
Heimdall späht in die größte aller Hallen
Walhall, die Halle der Gefallenen, bei Tag kämpften sie hier, bei Nacht tranken sie und sangen, nun nur mehr ein Haus für Gebeine … die grauen Überreste Tausender Toter, ein zweites Mal gefallen ohne die Macht Allvaters …
Heimdall betritt Odins Palast
Valaskjalf ist kaum mehr als ein Haufen Stein … keine Treppen führen mehr hinauf zu des Rabengotts Thron, der goldene Hochsitz ist nun tief darunter vergraben …
Heimdall gräbt
Warum tut er das?, überlegte Mara. Was will er denn mit dem Thron von Odin? Oder sucht er nach Odin selbst?
»Natürlich! Hliðskjálf!«
Mara erschrak und ließ einen spitzen Schrei los, der ihr sofort peinlich war. Der Professor hatte gerade direkt in ihrem Kopf gesprochen! Heimdall schien nichts bemerkt zu haben. Er wuchtete nur weiter traurig Stein um Stein von dem Trümmerhaufen.
»Ich kann Sie hören! In meinem Kopf, ganz so als wären Sie neben mir … und trotzdem weit weg!«, sagte, oder besser, dachte Mara in Richtung des Professors. Der dachte lachend zurück: »Eine Seherin, die auch hören kann. Da denk ich doch mal: Respekt.«
Mara ignorierte den Halbscherz. »Das liegt an diesem Ort, Asgard. Da bin ich mir ganz sicher! Ich spür das.«
»Na, vielleicht liegen hier nicht nur die Trümmer der alten Götterfestung, sondern auch noch Überreste der alten Kräfte herum. Möglich wäre es doch. Und wenn nicht hier, wo dann?«, entgegnete der Professor. »Nutz es bitte für einmal Volltanken, wer weiß, wann wir es wieder brauchen.«
»So viel ist das leider nicht … reicht gerade für ein bisschen Kopfradio und Kribbeln in den Fingern«, seufzte Mara. Sie konnte den Professor ja gerade nicht einmal ohne Berührung in die Vision mit einschließen. Sie seufzte und wendete sich wieder dem Geschehen vor ihnen zu. »Also, was sucht der Mann denn da? Irgendwas mit Odins Thron hab ich mitbekommen, aber warum?«
»Nun ich denke, er sucht Odins Hochsitz, Hliðskjálf!«
Mara СКАЧАТЬ