Vom Stromkartell zur Energiewende. Peter Becker
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Название: Vom Stromkartell zur Energiewende

Автор: Peter Becker

Издательство: Bookwire

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Серия: ZNER-Schriftenreihe

isbn: 9783800593729

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       8. Weiteres Festhalten des Staates am Weg

      Die Bundesregierung hielt vielmehr an der Entrechtung der Kommunen fest. So wurden die Verfahrensvorkehrungen beseitigt, mit denen die Volkskammer versucht hatte, die Verfahren zur Vermögensübertragung zu regeln. Durch den Einigungsvertrag war die Eigentumsüberführungsverfahrensordnung zum Kommunalvermögensgesetz vom 25.7.1990 nicht übernommen worden. Außerdem fehlten Regelungen über das Verwaltungsverfahren zur Vermögenszuordnung gem. Art. 21, 22 Einigungsvertrag. Daher erließ der Bundesgesetzgeber unter dem 22.3.1991 das „Gesetz über die Feststellung der Zuordnung von ehemals volkseigenem Vermögen (Vermögenszuordnungsgesetz – VZOG)“.

      Mit dem Gesetz wurde zum einen § 7 Kommunalvermögensgesetz aufgehoben; und damit die Zuständigkeit des Präsidenten der Treuhandanstalt für die Entflechtung und Zuordnung des kommunalen Vermögens für die Energieversorgung, außerdem das Auskunftsrecht der Kommunen gegenüber dem Regionalversorger, das mit dem ersten Ergänzungsgesetz zum KVG zum Bestandteil des § 7 gemacht worden war.

      Ein zweiter Eingriff betraf die Vorschriften zur Naturalrestitution in Art. 21 und 22 des Einigungsvertrags. Es wurden unterschiedliche Zuständigkeiten für die Verteilung des Verwaltungsvermögens, das für die kommunalen Aufgaben erforderlich war, sowie das Finanzvermögen in Form von Kapitalbeteiligungen geschaffen. Für die Kommunen bedeutete das Hürden über Hürden, weil unklar war, welche übergeordnete Behörde auf der Basis welcher Formulare anzugehen war. Diese systematische Verunklarung war schon im Infodienst Kommunal vom 16.11.1990 mit seiner Arbeitsanleitung zur Übertragung des kommunalen Vermögens vorbereitet worden. Dort wurden das Verwaltungs- und das Finanzvermögen erklärt. Eine empfindliche Einschränkung wurde aber gerade für das energiewirtschaftliche Versorgungsvermögen getroffen. Danach gab es keinen Herausgabeanspruch, wenn das Vermögen des betroffenen Unternehmens empfindlich beeinträchtigt würde; in solchen Fällen könne nur Entschädigung verlangt werden. Dabei berief sich der Infodienst Kommunal auf eine gemeinsame Erklärung nach Anlage III des Einigungsvertrags, die von diesen Fällen gar nicht gesprochen hatte, sowie auf „Rechtsgedanken“ verschiedener Gesetze – und gerade keine ausdrücklichen gesetzlichen Regelungen.

      Diese Verunklarungen setzten sich in den gerichtlichen Eilverfahren fort, mit denen Sicherungen gegen den Abgang kommunalen Versorgungsvermögens erreicht werden sollten. Zuständig waren die neu geschaffenen Kreisgerichte, in denen abgeordnete Richter aus der Zivil-, der Verwaltungs-, der Arbeits- und der Finanzgerichtsbarkeit aus den alten in die neuen Bundesländer als Einzelrichter zuständig waren. Diese nahmen nur zu gern die von der Treuhandanstalt ins Spiel gebrachten Bedenken an der örtlichen und sachlichen Zuständigkeit der Gerichte auf. Den Vogel schoss ein Richter ab, der die erste Verhandlung über ein solches Eilverfahren am 24.6.1991 beim Kreisgericht Schwerin anberaumt hatte. Ich betrat den Gerichtssaal deutlich vor Terminsbeginn, wo der Richter gerade mit dem Aufbauen seines Diktiergeräts beschäftigt war. Er erklärte mir beiläufig, dass er in allen entscheidenden Fragen – sachliche Zuständigkeit, örtliche Zuständigkeit, Anspruch der Kommunen auf das Versorgungsvermögen – der Auffassung der Treuhandanstalt war; vor Antritt der mündlichen Verhandlung! Ich riet den Beschäftigten der Schweriner Kommunalverwaltung, um deren Ansprüche es ging, den Richter wegen Befangenheit abzulehnen. Das wurde von ihnen aber rigoros abgelehnt: Doch nicht im ersten Gerichtsverfahren, das sie überhaupt zu bestreiten hatten! Es kam wie es kommen musste: Der Richter schlug sich in allen Fragen auf die Seite der Treuhandanstalt – und das vor den feixenden Justitiaren aus den Konzernen und den Bezirks-EVU, die wissen wollten, welche Chancen die Kommunen hätten. Ich nahm den Antrag zurück, um eine schriftliche Entscheidung zu vermeiden. Zu Hause angekommen, war mir der nächste Schritt klar und dessen Konzeption fertig.

       9. Der erste Stadtwerkskongress und die Kommunalverfassungsbeschwerde

      Am 24.6.1991 hatte nämlich in Berlin der Kongress „Auf dem Weg zu neuen Stadtwerken. Hemmnisse – Erfahrungen – Ergebnisse“ stattgefunden; und zwar im vormaligen FDGB-Haus, dann Berliner Congreß Center (und jetzt Chinesische Botschaft). Einlader waren die Städte Leipzig, Schwerin, Jena, Wernigerode und Zehdenick, eine aus jedem Bundesland, große, mittlere, kleine. Die Einladungen wurden von Potsdam aus verschickt, um jeglichen Argwohn zu vermeiden, es könne sich um eine fremdbestimmte Veranstaltung handeln. Und in der Tat waren viele Impulse vom Leiter des Leipziger OB-Büros Michael Weber und dem Geschäftsführer der Wernigeroder Stadtwerke, Wenzislav Stoikow, ausgegangen. Eine ganz wichtige Rolle spielte Bürgermeister Holzgrebe aus Jena, der sogar eine öffentliche Zuwendung für den Kongress locker machte. Auf dem Kongress waren 123 Städte vertreten, überwiegend mit den Aufbaubeauftragten für Stadtwerke aus den Stadtverwaltungen oder auch schon Geschäftsführern, aber auch vielen Bürgermeistern. Referate über die Rechtslage wurden gehalten, darunter auch eine durchaus wohlwollende eines Mitarbeiters der Treuhandanstalt, sowie von Ministerialrat Apfelstedt aus dem Hessischen Wirtschaftsministerium, der den Städten erklärte, sie bräuchten für ihre Stadtwerke keine Betriebsgenehmigung nach § 5 des Energiewirtschaftsgesetzes, weil sie vom Bestandsschutz ihrer früheren Stadtwerke zehren könnten. Im Mittelpunkt stand eine – vorab vorbereitete – Resolution, die in der Absicht gipfelte, eine Kommunalverfassungsbeschwerde zur Sicherung der kommunalen Rechte zu erheben.

      Die Verfassungsbeschwerde sollte im Urlaub entstehen. Der Aktenberg, der für die Verfassungsbeschwerde vorzubereiten war, wuchs immer mehr. In unserem Ferienhaus gab es keine Zeit zum Erholen. Mich erreichte nämlich ein Telefonanruf mit dem Hinweis, dass die Treuhandanstalt nunmehr, nach dem Schweriner Sieg, die Stromverträge durch Auskehrung der Kapitalmehrheiten an dem Bezirks-EVU vollziehen wolle. Das war an einem Wochenende. Am Montag rief ich beim Verfassungsgericht an und erfuhr, dass Richter Prof. Böckenförde, der für die kommunale Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 GG zuständige Richter, am kommenden Freitag den letzten Tag im Gericht sein werde, um danach seinen Jahresurlaub anzutreten. Das erzwang konzentriertes Arbeiten. Küche und Wohnzimmer waren der Verteilung von Akten vorbehalten. Die Kinder mussten auf den Fußspitzen durchlaufen. Am Mittwoch war die Verfassungsbeschwerde fertig (73 Seiten, 200 Seiten Anlagen). Ein Kernstück fehlte allerdings noch, ein Teil der verfassungsrechtlichen Argumentation, den der Mainzer Prof. Hans Heinrich Rupp als Prozessvertreter der Stadt Forst, beisteuern wollte. Prof. Rupp, den ich aus meiner Mainzer Assistentenzeit kannte, war von Günther Nooke, Forster Abgeordneter, angesprochen worden.

      Es gab allerdings ein Problem: Vollmachten hatte ich nämlich nur von den Städten Finsterwalde, Jena, Neuruppin, Potsdam, Wernigerode und Zehdenick, also nur von sechs Städten. Aber es gab noch die Anwesenheitsliste des Stadtwerkskongresses. Ich ernannte kurzer Hand alle in der Anwesenheitsliste aufgeführten Kommunen zu Beschwerdeführerinnen in dem Kommunalverfassungsbeschwerdeverfahren. Zurück in Deutschland am Mittwochabend waren alle Schriftsatzteile fertig, meine Sekretärin um vier Uhr des Nachts auch; dann begannen die redaktionellen Tätigkeiten vor allem an den vielen, vielen Anlagen. Am Donnerstag gegen 16 Uhr übergab ich die Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht dem Mitarbeiter von Prof. Böckenförde, um Zeit für die Registrierarbeiten zu sparen. Damit begannen die spannendsten Stunden meines Arbeitslebens.

      Denn das Verfassungsgericht hatte natürlich noch nicht über die Verfassungsbeschwerde zu entscheiden, aber über einen Eilantrag, mit dem das Bundesverfassungsgericht dem Bundesfinanzministerium und der Treuhandanstalt untersagen sollte, die Kapitalmehrheiten auszukehren. Nach der beim Verfassungsgericht üblichen Abwägung musste eine solche Anordnung eigentlich ergehen. Wäre die Verfassungsbeschwerde nämlich begründet gewesen, aber die Privatisierung der Bezirks-EVU vollzogen worden, hätte die positive Verfassungsbeschwerdeentscheidung nichts mehr gebracht. War sie hingegen unbegründet, war zwar Zeitverlust eingetreten, aber kein irreparabler Rechteverlust.

      Gegen 13 Uhr erreichte mich ein Anruf aus dem Bundesverfassungsgericht: Das Bundesfinanzministerium habe erklärt, dass die Stromverträge einstweilen nicht vollzogen würden. Die Treuhandanstalt werde eine entsprechende СКАЧАТЬ