Die Toten von Stade. Irene Dorfner
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Название: Die Toten von Stade

Автор: Irene Dorfner

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Leo Schwartz

isbn: 9783754188491

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СКАЧАТЬ schicken. Diese Drohung erschreckte sie bis ins Mark. Seitdem war ihr klar, dass sie beobachtet wurde, weshalb sie sich strikt an alle Anweisungen hielt.

      Seit sie hier war, schlief sie schlecht, was sie von früher nicht kannte. Aber das alte Leben gab es nicht mehr, das war vorbei.

      Frierend stand sie vor der Haustür. Dass es in diesem ungemütlichen März nicht wärmer wurde, war ihr gleichgültig, die Kälte spürte sie nicht. Sie wartete nur auf den Postboten, der hoffentlich eine Nachricht für sie dabei hatte.

      Siegfried Schindler, den alle nur Siggi nannten, war nicht überrascht, dass die Frau auch heute wieder vor der Tür stand und auf ihn wartete. Er wusste von der Postadresse, dass sie Carina Leipert hieß und seit etwa vier Monaten hier in diesem Haus wohnte. Als er sie zum ersten Mal sah, spürte er, dass sie hier nicht hergehörte. Dieses Haus war unter den Einheimischen nicht beliebt. Abgesehen davon, dass alles dreckig und heruntergekommen aussah, war die Nummer 12 ein beliebter Drogen-umschlagplatz, der in den späten Abendstunden stark frequentiert wurde. Dann hielten sich hier Gestalten auf, um die man besser einen großen Bogen machte. Alle wussten davon, aber es wurde nicht viel dagegen unternommen. Das Informationsnetz funktionierte, weshalb die Polizei keine Chance hatte, das Treiben zu unterbinden. Hier war die fremde Frau abgestiegen, was Siggi nicht verstand. Obwohl er sich redlich bemühte, ein paar Worte mit ihr zu wechseln, gelang ihm das nicht. Wenn sie überhaupt reagierte, dann nickte sie nur und verschwand – mit oder ohne Post. Ob sie stumm war? Frau Leipert bekam nur Postkarten, ein Brief war nie dabei. Je länger er seine Kundin betreute, desto komischer kam ihm das vor – und desto mehr mochte er die Frau.

      „Ich habe nichts für Sie dabei, Frau Leipert“, rief er ihr zu. Er sah, dass sie zitterte, deshalb sollte sie so schnell wie möglich ins Haus zurück. Siggi machte sich schon lange keine Gedanken mehr darüber, warum sie keine Jacke trug. Sie schien sich nur auf die Post zu konzentrieren, auf der ihr ganzer Fokus lag.

      Keine Post! Carina konnte nicht fassen, dass auch heute keine Karte dabei war. Was war nur los? Sie hatte alles getan, was man von ihr verlangte. Warum ließ man sie jetzt hängen?

      Siggi Schindler konnte die Enttäuschung der Frau förmlich greifen. Am liebsten hätte er sie getröstet, aber das durfte er nicht. Seit dieser verdammten Pandemie war es ihm nicht erlaubt, sich der Kundschaft zu nähern. Anfangs hatte er sich nicht daran gehalten, was ihm nicht gut bekommen war, denn irgendjemand hatte ihn angezeigt, was ihn fast den Job gekostet hätte. Seitdem hielt er demonstrativ Abstand, was ihm echt schwerfiel. Traurig sah er Frau Leipert hinterher, als sie sichtlich enttäuscht im Haus verschwand. Dass er seufzte, merkte er nicht.

      „So hübsch und so traurig“, hörte Siggi eine Stimme hinter sich. Ruckartig drehte er sich um. Vor ihm stand ein Mann um die siebzig, den er sehr gut kannte: Benno Jäger. Der gebürtige Rheinländer lebte seit über dreißig Jahren in Stade, hatte aber den Dialekt nicht abgelegt.

      „Wohl wahr“, murmelte Siggi. „Guten Morgen. Heute ist nichts für dich dabei.“

      „Wer sollte mir auch schreiben“, lachte Jäger. „Die guten Freunde sind verstorben, die bucklige Verwandtschaft kann mich mal. Was ist nur mit dieser Frau los?“, kam er aufs Thema zurück. Schon lange beobachtete er Frau Leipert. Das fiel ihm leicht, da er im Haus gegenüber wohnte und sowieso nicht viel zu tun hatte.

      „Keine Ahnung. Sie wartet täglich auf Post und ist immer wahnsinnig enttäuscht, wenn ich nichts für sie dabei habe. Sie tut mir sehr leid.“

      „Welche Art Post bekommt sie denn?“

      „Ausschließlich Postkarten“, entfuhr es Siggi, der sich dafür hätte ohrfeigen können, denn das durfte er nicht verraten. Hastig drehte er sich um und wollte wieder in seinen Wagen steigen, aber Jäger ließ das nicht zu.

      „Was steht auf den Postkarten? Von wem sind sie?“

      „Das weiß ich doch nicht!“

      „Jetzt komm schon, Siggi, das glaubt dir keiner! Jeder weiß doch, wie neugierig du bist, was keine Schande ist. Warum auch nicht? Du interessierst dich für deine Kundschaft und nimmst an unser aller Leben teil, was sehr lobenswert ist.“ Es folgte ein Schwall warmer Worte, die Siggi sichtlich genoss.

      „Ja, es stimmt, die kurzen Texte fielen mir auf. Auf jeder der insgesamt acht Postkarten stand jeweils nur ein einziger Satz, der für mich keinen Sinn ergab.“

      „Wie soll ich das verstehen?“

      „Zwei Sätze konnte ich mir merken, die anderen bekomme ich nicht mehr zusammen.“ Siggi sah sich um, so langsam wurde ihm die Situation unangenehm.

      „Jetzt lass dir doch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen! Wie lauten die Sätze?“

      „Postgeheimnis!“, sagte Siggi und wollte nur noch weg.

      „Wenn die Leute nicht wollen, dass man ihre Nachrichten liest, sollen sie keine Postkarten schreiben“, lachte Jäger, der fürchtete, dass Siggi gleich verschwand, noch bevor er seine Informationen hatte.

      „Stimmt auch wieder“, gab Siggi zu, der sich genau dasselbe dachte.

      „Und? Raus mit der Sprache! Wie lauten die beiden Sätze? Vielleicht können wir der armen Frau Leipert irgendwie helfen.“

      „Wir beide? Das glaubst du doch selbst nicht!“

      „Könnte doch sein, oder nicht? Ich möchte es jedenfalls versuchen.“

      Siggi wurde weich. Carina Leipert selbst und die ominösen Postkarten ließen ihn schon lange nicht mehr zur Ruhe kommen. Bis jetzt hatte er sich niemandem anvertraut. Hatte er in dem alten Benno Jäger einen Verbündeten gefunden?

      „Also gut, aber kein Wort zu niemandem, verstanden? Wenn das rauskommt, bin ich meinen Job endgültig los!“

      „Selbstverständlich halte ich den Mund, was hältst du denn von mir?“

      Verschwörerisch sah sich Siggi um.

      „WIR ALLE RENNEN TROTZ EIS NORDWÄRTS. Gruß Niclas.“

      Jäger sah Siggi mit großen Augen an.

      „Willst du mich verarschen?“

      „Keineswegs. Das ist genau der Satz, der auf einer der Postkarten stand. Ich habe den Sinn auch nicht verstanden, aber die Nachricht muss für Frau Leipert sehr wichtig gewesen sein. Als sie ihn las, hat sie genickt.“

      Benno Jäger sah Siggi skeptisch an, denn er fühlte sich immer noch veräppelt.

      „Du sprachst von einem weiteren Satz. Wie lautet der?“

      „Mach dich auf etwas gefasst, denn der hört sich auch nicht besser an: AFFEN LIEBEN LECKERES ESSEN SEHR, OHNE KARTOFFELN. Gruß Niclas.“

      „Was?“

      „Genau das stand auf der Karte.“

      „Siggi, ich warne dich! Mach dich nicht über mich lustig.“

      „Das würde ich nie tun. Ich verstehe diese Nachrichten ja auch nicht. Du etwa?“

      „Wie sollte ich?“ Benno Jäger holte einen Zettel und einen Stift aus der Innentasche seines alten Jacketts hervor. „WIR ALLE RENNEN TROTZ EIS NORDWÄRTS. Gruß Niclas“, СКАЧАТЬ