Название: Der Stadtrat in Passau
Автор: Alois Huber
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783748564461
isbn:
„Diese Unverschämtheit setzt allem die Krone auf!“, keuchte der Enkel Hans Carossas, als er das Verlangen seiner Ratskollegen schwarz auf weiß vor Augen hatte. „Nein, dass sich Vertreter der Bürgerschaft zu einem so nichtswürdigen Antrag hergeben! Dass es Geschäftsleute in Passau gibt, denen die höchsten Kulturwerte unserer Stadt nicht mehr als eine Tonne Heringe bedeuten! Unglaublich! Unglaublich – und doch wahr!“
„Nun ja, verehrter Herr Buschinski“, fistelte Dr. Weißnicht, ebenfalls zutiefst entrüstet. „Metzger und Bäcker – gedankenarme und gefühlslose Grobiane von Berufswegen! Wer sonst könnte sich so dummdreist aufführen? Doch wenn Sie zu bemerken erlauben, verehrter Herr Buschinski; jetzt kennen wir unsere Gegner von Angesicht, jetzt wissen wir endlich, mit was für armseligen Geistern wir es zu tun haben!“
„Gottlob, ein Gutes wenigstens bei diesem Antrag!“
„Ich darf wohl annehmen, verehrter Herr Buschinski, dass Sie die kommende Debatte zu einem Höhepunkt Ihrer parlamentarischen Tätigkeit machen werden – nicht wahr?“
„Das muss ich, lieber Doktor, und das will ich!“, rief der Ratsherr flammenden Auges.
„Dann gratuliere ich schon jetzt zu dem Vergnügen, das Ihnen die triumphale Abfertigung dieser Tölpel bereiten wird, verehrter Herr Buschinski. Passau wird aufatmen und Ihnen zu tiefstem Dank verpflichtet sein!“
Das öffentliche Interesse an dem Denkmalstreit war, nachdem seit der Bekanntgabe des Antrages Kälberer/Gutbrot kein Leserbrief mehr im Stadtblättchen erschien, merklich abgeklungen. Man hatte wochenlang gefeixt, getuschelt oder sich vor Lachen ausgeschüttelt. Nun hatte der Spaß seine Kraft verloren. Vor dem Stadtparlament war er nur noch eine nüchterne Sache, über die man ein wenig debattieren würde, um sie dann mit einem Ja oder Nein artig zu verabschieden.
Ob das Denkmal auf dem Karolinenplatz verbleiben durfte oder ob ihm die Ratsherren irgendwo im Grünen einen andern Platz zuweisen würden, das interessierte die Volksmasse nicht.
Was bedeutete ihr schon der selige Hans Carossa?
Es gab genug Leute, die bisher nicht einmal gewusst hatten, dass in Passau ein Denkmal dieses Dichters existierte. Sie hatten es noch nie gesehen, sie waren achtlos daran vorbeigegangen, oder sie hatten geglaubt, die steinerne Büste sei eine Art Sagenfigur aus der heidnischen Vorgeschichte des Landes.
Doch als nun endlich der Abend jener Ratssitzung gekommen war, in der über das Denkmal entschieden werden sollte, erwies es sich, dass unter den fünfzigtausend Passauern doch etliche Dutzend gab, die sich die parlamentarische Behandlung des Falles nicht entgehen lassen wollten.
Wie Reiner Hohn seinem hochmögenden Chef versichert hatte, stellten dabei die „Freunde Hans Carossas“ tatsächlich eine gute Zweidrittelmehrheit. Die Gegenseite war nur durch drei Personen vertreten. Und die übrigen mussten als Neugierige gelten oder als solche, die eine Auferstehung der munteren Komödie witterten. Immerhin füllten diese drei Gruppen den Zuschauerraum bis auf den letzten Stehplatz.
Es herrschte schon sehr stickige Luft im Rathaussaal, als der Oberbürgermeister Jürgen Duppmayr zur Klingel griff. Er wollte die Sitzung pünktlich eröffnen. Doch er kam nicht dazu. Ein asthmatischer Anfall machte ihm für zehn Minuten den Präsidentensitz zur Hölle. Erst als er vier Tabletten mit zweieinhalb Glas Wasser hinuntergespült hatte, konnte er sich auf seine Obliegenheit als Sitzungsleiter besinnen und die Tagung endlich in Gang bringen.
Die ersten Verhandlungspunkte betrafen allerdings Lappalien, die nur der Form halber zur Aussprache gestellt wurden. Sie wurden reibungslos erledigt. Dann aber kam es.
„Als Punkt fünf steht auf der Tagesordnung der Antrag der Ratsherren Kälberer und Gutbrot betreffend Verlegung des Carossa - Denkmals. Der Antrag liegt allen Ratsherren im Wortlaut vor und dürfte zudem der gesamten Einwohnerschaft hinreichend bekannt sein“, erklärte der Oberbürgermeister, jetzt wieder im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte und daher verhalten lächelnd. „Das Wort hat zunächst Ratsherr Anton Kälberer.“
Der Vertreter der Passauer Neuen Presse hielt drei gespitzte Bleistifte, einen Block und sein Laptop bereit. Er war sicher, dass jetzt die Sensation, von der sein Blättchen so gut gezehrt hatte, aufgefrischt werden würde. Auch auf der Zuschauertribüne schärften alle Augen und Ohren. Und selbst im Plenum schien trotz der stickigen Atmosphäre und einschläfernden Ruhe eine gewisse Gespanntheit Platz zu greifen.
Doch Anton Kälberer war kein Mann von vielen Worten. Wenn er in seinem Schlachthaus einem Ochsen das Lebenslicht ausblasen musste, sagte er nur: „Na denn, halt mal stille!“, und schon ließ er den tödlichen Bolzen knallen. So ähnlich glaubte er’s auch hier mit seinen Ratskollegen machen zu können.
Wuchtigen Schrittes bestieg er das Rednerpodium. Aber kaum stand er da oben im Angesicht eines erwartungsvollen Auditoriums, da presste ihm eine jämmerliche Befangenheit fast die Kehle zu. Mit tremolierender kleiner Stimme, die so gar nicht zu seiner martialischen Gestalt passte, sagte er endlich:
„Tja, meine Herren – tja, mein Nachbar Josef Gutbrot und meine Wenigkeit, wir haben also den Antrag gestellt, das olle Denkmal auf dem Residenzplatz wegzuschaffen. Wir wollen damit keinen Bürger kränken. Wir sind ja schließlich Geschäftsleute. Aber als Anlieger des Residenzplatzes kennen wir besser als jeder andere die dortige Verkehrslage. Und die ist nun einmal zwingend. Deshalb meinen wir, dass eine Verlegung des Denkmals doch halb so schlimm wäre und dass der Rat der Stadt wohl damit einverstanden sein könnte. Tja – das ist eigentlich alles, was ich dazu zu sagen hätte.“
Er machte eine Pause, in der er hörbar aufatmete. Dann fügte er hinzu: „Aus den Leserbriefen in der Zeitung kennt ja wohl jedermann das Für und Wider. Ich für meinen Teil meine, es ist nicht zu viel verlangt, wenn wir auf dem Residenzplatz reine Bahn schaffen. Tja – und das möchte ich noch betonen: die Leserbriefe im PNP haben wir nicht geschrieben, weder Josef Gutbrot noch meine Wenigkeit. Das war die Stimme des Volkes. Aber wir schließen uns dieser Stimme an und rechnen mit einem vernünftigen Beschluss. Und der kann doch nur im Sinne unsere Antrages ausfallen.“
Punktum!
Wuchtig, wie er gekommen war, schritt Anton Kälberer wieder zu seinem Platz zurück. Dann herrschte eine Weile Tempelstille. Man hatte ein ganz anderes Auftreten des Antragstellers erwartet, eine ausgiebige und wohlfundierte Begründung seines Verlangens. Dazu Zwischenrufe, Beifalls – oder Missfallenskundgebungen und dergleichen mehr. Doch nichts von alledem war geschehen. Der Metzgermeister Kälberer hatte den Saal auf der ganzen Linie enttäuscht. Er war und blieb nun einmal der Mann, der nicht viele Worte machte, weil er mit Worten nicht eben sicher umgehen konnte.
Und nun - ?
„Ich stelle den Antrag zur Debatte“, sagte der Oberbürgermeister und sah im gleichen Augenblick hinten rechts einen Arm hochgehen. „Aha! Das Wort hat Ratsherr Horst Buschinski.“
Ein Raunen ging durch den Raum, als der Namen des Keksfabrikanten fiel. Doch Buschinski eilte schon selbstbewusst und beschwingten Schrittes zum Rednerpult. Ha, wie anders wirkte er schon mit diesem Auftritt. Der feierliche Anzug, die große Hornbrille mit den funkelnden Gläsern, die forsche Stimme! Und nun gar die wohlakzentuierte Rede, der man die fleißige Einstudierung nach wenigen Sätzen anmerkte!
„Meine Herren! СКАЧАТЬ