Die Nacht der Schuld. Maxi Hill
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Название: Die Nacht der Schuld

Автор: Maxi Hill

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783748565277

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СКАЧАТЬ ja«, gibt sich Schreiner geschlagen. Vermutlich aber will er nur seinen Wissensvorteil ausschöpfen, ohne Weiler schon einzuweihen. »Vielleicht hatte der Doktor auch eine längere Pause.«

      Auf eine solche Bemerkung hat Weiler spekuliert.

      »Nicht dumm. Dann musst du schnellstens zu seiner Fakultät. Und frag die Leute ein bisschen über alles aus, was den Mann betrifft. Skandale inbegriffen.«

      Dem Schreiner steht unübersehbar sekundenschnell in tief gemeißelten Buchstaben deutlicher Groll ins Gesicht geschrieben. Er hasst diese Herren Professoren, die mit seinem Jargon nicht klarkommen. Weiler spürt, am liebsten würde Schreiner es ihm an den Kopf werfen, aber da hätte er auf einmal seinen 'geborenen' Disputanten vor sich. So viel Logik hat auch Schreiner in seinem Kopf, der etwas rauer, etwas rustikaler geartet ist als der von Weiler.

      Schreiner würde schwören, sein Gesicht ist völlig ausdruckslos, aber leider kann er sein Spiel nicht mit dem scharfsinnigen Weiler spielen. Der nutzt die Chance und tippt auf seine Uhr: »In fünf Minuten kannst du dort sein. In einer halben Stunde machen die Sekretariate dicht.« Die Order kommt schärfer heraus als beabsichtigt. Schreiner dreht sich auf den Hacken um. Gegen die Tür wettert er: »Auch bei aufgestocktem Salär kann man Mensch bleiben. Falls ich das bei einem Vorgesetzten mal erlebe, darauf besaufe ich mich bis zur Ohnmacht.« Der letzte Teil von Schreiners Worten verliert sich schon im Gang, wo sie die nette Kollegin Sauer einigermaßen verwundern.

      Armer Schreiner, denkt Weiler hinter der massakrierten Tür. Irgendwie hat er Recht. Weil der kleine Andreas Weiler es bald bis nach ganz oben schaffen wird, wenn er zur rechten Zeit genügend Dampf ablässt, ist jetzt der kleine Andreas Weiler auch in der Lage, alles, was bei den Ermittlungen schief läuft, auf diesem Scheißtypen Schreiner zu schieben, der keine Ideen hat, wohin der Teufel geschissen haben könnte. Und dieser Teufel kann ebenso Doktor Bach sein, wie jeder verdammte Kerl in dieser Stadt, mit denen der Gehörnte nicht aufwarten will. Noch nicht. Bis der kleine Andreas Weiler ihn in die Mangel nehmen wird. Ich sage ja nicht umsonst: Ein Wunder bleibt bei jedem Fall.

      MITTWOCH — 22. MAI

      Zum ersten Mal seit diesem vermaledeiten Freitag spürt Holger Bach wieder Kraft in seinen Muskeln.

      Es hat ihn nicht verwundert, dass er so gar keine Energie aufbringen konnte. Woher diese Kraft jetzt kommt, ist ihm schleierhaft. Freilich war sie stets vorhanden, hatte sich nur in der wirren Unsicherheit der letzten Tage verheddert. Kein Mensch würde verstehen, wenn er laut darüber spräche. Jetzt, wo er nicht mehr stundenlang an Renées Bett verbringen darf, kehrt unvermutet das Gefühl von Leben in ihn zurück. Leben!

      Seit seiner Jugend war er süchtig nach Leben. Zu Renées Leidwesen lehnte er alles ab, was das Gemüt herunterziehen konnte. Keine Dramen. Keine Krimis. Keine trüben Gedanken — nicht einmal vorsorglich an den eigenen Tod. Er dünkt sich als Frohnatur, wie er auch von vielen Menschen gesehen wird. Eigens seine Frau kam damit nicht gut zurecht. Am Anfang ihrer Liebe war er noch ihr Traummann, ihr Fels in der Brandung, ihr Juwel im Geschmeide des Lebens.

      Wann hatte das ein Ende? Nach seiner Ansicht ist sie schuld daran, dass alles so gekommen ist. Die gute Zeit mit Renée verlor sich irgendwann im Nebel, die schwierige Zeit wurde bald allgegenwärtig. Warum waren sie beide nicht bereit, etwas daran zu ändern? Er war ein gebranntes Kind, diesbezüglich musste er sogar Renée Recht geben. Als kaum Zehnjähriger hatte er einen großen Verlust zu verkraften. Seine Mutter war verstorben und er musste zeitweilig bei fremden Verwandten leben, sich mit widerborstigen Cousins herumärgern, die ihn lieber weit weg gesehen hätten als hautnah in ihrem Refugium.

      Verlustangst, so nannte später Renée seinen unbändigen Willen, dass alles so bleiben möge wie es ist. Dazu gehörte, dass sie beide nichts auf der Welt trennen solle.

      Mit all ihren Fehlern hatte er sich abgefunden. Wenn sie nur bei ihm bleiben, ihm die Blamage einer Trennung ersparen würde, konnte er sogar seine feste Überzeugung verschmerzen: Renée kann nicht mehr lieben. Ob sie nur ihn nicht mehr lieben mochte, oder ob etwas mit ihr geschehen war, dass sie es nicht mehr konnte, um dieser Frage auf den Grund zu gehen, hatte er nie die nötige Energie aufgebracht.

      Freilich muss er sich nicht selbst belügen: Es gab da diverse Gründe für sein Misstrauen, da konnte sie schön tun wie sie wollte. Und wer weiß, was wieder in sie gefahren war, dass sie ihn an diesem Abend, in dieser Nacht, nicht lieben wollte.

      An ihrem Krankenbett, in dem sie lag und nicht mehr das war, was seine geliebte Frau einst ausmachte, hatte er versucht, ihr alles zu erklären. Man hört so einiges über komatöse Menschen. Sie würden alles hören, alles verstehen, könnten nur mit keinem Muskel reagieren. In den drei Nachmittagen hat er ihr zum Glück sein ganzes stimmiges Szenario eingehämmert, das ihnen beiden auch später nicht schaden würde.

      Vielleicht kehrt nach den traumatischen, fast lähmenden Tagen, gerade jetzt, seit er für eine ungewisse Zeit von diesem Anblick befreit ist, sein gesunder Alltag zurück. Ruhiger ist er nicht. Wer weiß schon, was diese Weißkittel hinter den sterilen Mauern mit ihr anstellen? Wenn ein Patient sich nicht wehren kann, ist er für allerlei medizinische Experimente das ideale Medium. Seine Angst, aber auch der Schmerz, sie dem Tode so nah im Bett liegen zu sehen und nichts tun zu können, hat Spuren in ihm hinterlassen.

      Wie lange war er beherrscht vom Hass auf seine Ungewissheit, Renée betreffend. Bisweilen war ihm die Idee gekommen, mit einem Handstreich alles zu beenden. Aber immer, wenn sie beide wieder zur Ruhe gekommen waren — und sofern Renée seine Liebe erwidert hatte — war ihm klar geworden, wie abwegig seine Gedanken spielten. Er ist kein lauter Mensch. Aber er kann verdammt wütend werden, wenn er sich betrogen fühlt. Wie oft im Leben wünscht man sich, anders zu sein, als man ist. Wer kann schon über seinen eigenen Schatten springen?

      Holger Bach lauscht untätig dem Ticken der Pendeluhr über dem Sideboard. Die Welt kann so friedlich sein.

      Die Wunden, die ihr gemeinsames Leben gerissen hat, werden irgendwann verheilen. Langsam aber stetig. Dennoch soll die neue Energie, die er seit diesem Morgen spürt, nicht nutzlos sein. Endlich einmal bringt er die Zeit auf, nachzuholen, was ihn die Umstände bisher versagt haben.

      Der Schlüssel an Renées Schreibtischtür steckt. Über Nacht zieht sie ihn nie ab, aber es wäre keine gute Idee gewesen, in ihren Unterlagen herumzuwühlen, solange die Gefahr bestand, dass sie plötzlich hinter ihm steht.

      Vielleicht gibt es noch andere Anzeichen, über die er diesen Hauptkommissar Weiler unterrichten sollte. Bisher hat er ihm nur einen Namen genannt — sein rotes Tuch: Marc Bergé.

      Irgendwann waren seine Träume von der ewigen Liebe geplatzt. Auf eine denkbar brutale Weise musste er mit anhören, wie Renée diesen Marc umgarnte. Und das vom heimischen Telefon aus, während er den Staubsauger durch alle Räume ihres gemütlichen Zuhauses schob. Er, der Trottel. Und dann war es passiert. Ein Adrenalin-Stoß entfaltete neue Wut. Nach einem fassungslosen Moment war er sich wie ein Raubtier vorgekommen, das lange genug gelauert hat und endlich zupacken sollte.

      Mit einem ähnlichen Energieschub wie an diesem bewussten Tag steht er auf und beugt sich über jenes Fach, das er seit langem heimlich ins Visier genommen hatte. Wenn Renée so viel Wert darauf legt, seinen Inhalt vor jedermanns Augen zu verbergen, kann es nur etwas in sich tragen, was ihm zu allem, was er sich nie beantworten konnte, Aufschluss bringt.

      Der Schlüssel klemmt, doch seine Geduld ist sprichwörtlich. Im oberen Schub liegen feinsäuberlich aneinandergereiht Stifte, Kulis, Pritt-Sticks, zwei Scheren und diverse Textmarker. Im Fach darunter stehen ein paar Ordner, einheitlich beschriftet СКАЧАТЬ