Rückkehr nach Strapen. Stefan Raile
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Название: Rückkehr nach Strapen

Автор: Stefan Raile

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783748560494

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СКАЧАТЬ gekommen, redete ich mir dann ein. Vielleicht. Gleich darauf wehrte ich mich dagegen. Wer einmal ausbricht, dachte ich, macht‘s auch öfter. Aber ich hätte deswegen nicht gleich zu kündigen brauchen. Herb hatte Recht. Weglaufen war keine Lösung. Und nun schon das dritte Mal. Vorher von der Oberschule und nach der Lehre. Hielt ich denn nirgends durch? Ewig konnte man doch nicht von vorn beginnen. Jeder Anfang kostete doppelt Kraft. Wer oft wechselte, verplemperte sich.

      Am achten oder neunten Nachmittag begann es heftig zu regnen. Der Asphalt wurde dunkel, Nässe glänzte auf Blättern und Gras. Ich ging mit gesenktem Kopf und schreckte auf, als Bremsen quietschten. Dicht neben mir hielt ein Auto. Hinterm Lenkrad saß eine Frau. Sie kurbelte die Seitenscheibe einen Spalt herunter und fragte: „Möchten Sie mitfahren?“

      Ich sah, dass sie sehr rote Lippen hatte, das brünette Haar trug sie halblang, sie mochte Mitte Zwanzig sein. Ich stieg ein und setzte mich neben sie. Sofort gab sie Gas und ließ langsam die Kupplung los. „Wohin wollen Sie denn?“, erkundigte sie sich.

      „Kommt darauf an“, erwiderte ich zögernd. „Ich suche eine Bleibe für die Nacht.“

      „Das dürfte schwierig werden“, meinte sie. „Aber ich könnte Ihnen helfen. Unsre Wohnung ist geräumig, und eine Couch für Gäste haben wir auch.“

      „Sie sind sehr freundlich“, entgegnete ich. „Doch was würde Ihr Mann dazu sagen?“

      „Nichts“, behauptete sie. „Wir machen uns keine Vorschriften. Außerdem ist er auf Dienstreise und kehrt erst in zwei Tagen zurück.“

      Was es alles gibt, dachte ich.

      „Wie ist‘s?“, fragte sie. „Kommen Sie mit?“

      Es regnete unvermindert. Die Wischer surrten und rieben die Nässe von der Scheibe. Wer weiß, ob du woanders was findest, dachte ich. Greif also zu.

      „Ja“, sagte ich, „aber nur, wenn‘s Ihnen keine Umstände bereitet.“

      Die Frau wohnte im Stadtzentrum von Kamenz. Ich hängte meine Jacke an die Garderobe. Dabei sah ich im Spiegel mein bärtiges Gesicht. Ich strich über die harten dunklen Stoppeln.

      „Möchten Sie sich rasieren?“, fragte sie.

      „Ich habe nichts dabei“, sagte ich.

      „Dabei kann ich aushelfen.“ Sie ging ins Bad, öffnete den Kosmetikschrank und reichte mir einen Trockenrasierer.

      Später setzte ich mich ins Wohnzimmer.

      Die Frau bereitete in der Küche etwas zu essen, ich hörte, wie Geschirr klapperte. Einmal kam sie an die Tür und fragte: „Möchten Sie fernsehen?“

      „Gern.“

      Sie schaltete das Gerät ein und ging wieder hinaus. Es wurden Schlager gesendet. Bärbel Wachholz sang: „Damals war alles so schön.“

      Gudrun, dachte ich, mag dieses Lied. Vielleicht sitzt sie im Klub und hört es auch. Dann wird sie sich an mich erinnern. An alles wird sie sich erinnern.

      Die Frau brachte das Essen: Rührei mit Schinken und Toastbrot. Für mich stellte sie Bier bereit, sie trank Tomatensaft. Beim Abräumen sagte sie: „Von der Kocherei ist mir warm geworden. Ich dusche mal rasch.“

      Ich hörte, wie Wasser im Bad plätscherte. Auf dem Bildschirm trällerte eine Nachwuchsinterpretin von einem Seemann, der fortfuhr, und seinem Mädchen, das auf ihn wartete. Mumpitz, dachte ich, ist doch alles Mumpitz.

      Als die Frau zurückkehrte, duftete sie nach Parfüm und Seife. Ihr Bademantel war nicht zugeknöpft, sie hielt ihn mit der Hand zusammen. Als sie sich in den Sessel setzte, rutschten die Revers auseinander. „Komm her. Komm schon!“, drängte sie und streckte die Arme aus.

      Ich machte zögernd einen Schritt auf sie zu. Doch dann drehte ich mich um und stürmte hinaus. Während ich meine Jacke von der Garderobe zerrte, sah ich die Frau an der Tür. „Was hast du?“, fragte sie.

      Ich ließ sie stehen und hastete die Treppen hinab. Draußen nieselte es nur noch. Mit hochgestelltem Kragen irrte ich durch Straßen und Gassen, kam an Restaurants vorbei, Kinos, einem Klub, und dann stand ich plötzlich vorm Bahnhof, wo sich Reisende durch die Pendeltür drängten. Fahr nach Hause, dachte ich, dort pennst du dich erst mal aus, und danach suchst du dir eine neue Stelle. Irgendwas wird sich finden.

      4

      Dagmar fragte: „Warum bist du eigentlich weggegangen?“

      Wir waren höher gestiegen und standen am Metallgeländer einer schmalen Plattform. Vor uns gähnte der Abgrund, dreißig Meter oder tiefer. Ich warf einen kleinen Stein hinab. Es schollerte nur schwach, als er aufkam.

      „Warum?“, wiederholte sie.

      „Ich weiß es selbst nicht genau“, erwiderte ich.

      „Aber ich“, sagte sie. „Es war wegen Gudrun. Dir fiel alles wieder ein.“

      „Vielleicht“, gab ich zu, dachte: In Psychologie ist sie gut. Besser als ich.

      Dagmar stieß sich vom Geländer ab. „Wollen wir weiter?“

      Es war sehr dunkel, nur die Laternen wurden von blassen Lichtsäulen umgeben. Reglos säumten die niedrigen Pappeln unseren Weg. Nach wenigen Metern begannen wir, wieder zu keuchen. „Der Hang hat‘s wirklich in sich“, stellte Dagmar fest.

      „Stimmt“, bestätigte ich. „Wir haben‘s bereits am ersten Tag bemerkt, und für einen war es gleich zu viel. Er kehrte um und fuhr mit dem Zug in seinen Heimatort zurück.“

      „Das kann ich verstehen“, meinte sie.

      „Ich nicht“, sagte ich. „Allerdings war es kein großer Verlust. Wenn jemand so schnell passt, ist nicht viel los mit ihm. Hier ist doch alles überschaubar: eine steile Böschung, an der man seine Kraft misst. Jeder Schritt bringt einen aufwärts, und irgendwann steht man oben, keuchend zwar, aber zufrieden. Nein, das ist keine große Sache. Schlimmer sind die unsichtbaren Hänge. Sie lassen sich wesentlich schwerer bezwingen. Man legt sich ins Zeug, will es um jeden Preis schaffen, schindet sich und kommt trotzdem nicht recht weiter.“

      „Hast du es damals so empfunden?“, fragte sie.

      „Ja“, bestätigte ich, „so ähnlich.“

      Es war gegen Mittag, als ich unsre Wohnküche betrat. Vater aß mit Appetit Gulasch, Mutter löffelte widerwillig von einer breiigen Masse, die ihr zur Gewichtsabnahme verhelfen sollte. Sie traktierte ihre Geschmacksnerven gelegentlich damit, ohne Erfolge zu erzielen. Beide wunderten sich nicht über mein Erscheinen. Sie vermuteten wohl, dass ich Urlaub hätte. Ich ließ sie bei ihrem Glauben.

      „Es ist noch reichlich da“, sagte Vater. „Setz dich auf meinen Platz, ich muss gleich zur Schicht.“

      Das Essen schmeckte. Aufs Kochen verstand sich Mutter.

      Anschließend legte ich mich hin und schlief bis zum nächsten Morgen. Nach dem Frühstück ging ich in die Stadt, bummelte durch die vertrauten, sonnenwarmen Straßen und betrat schließlich ein Gasthaus am Untermarkt. Ein Grenzer, der allein am Tisch СКАЧАТЬ