Rückkehr nach Strapen. Stefan Raile
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Название: Rückkehr nach Strapen

Автор: Stefan Raile

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783748560494

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СКАЧАТЬ los, Kumpel. Wir müssen weiter!“ Er fasste nach meiner Hand und zerrte mich vorwärts. Ich tappte hinter ihm her. Meine Beine bewegten sich wie von allein.

      Als die Kirchturmuhr zu schlagen begann, hatten wir die Kaserne erreicht.

      Wir eilten ins Wachzimmer. Leutnant Mergelt war OvD. Er musterte uns, ohne unsere Trunkenheit, die er natürlich bemerkte, zu monieren, und fragte nur mit einem versteckten Lächeln: „Hat es Ihnen nicht gefallen?“

      „Wieso?“, wollte Sigi wissen.

      „Zapfenstreich ist erst in einer Stunde.“

      „Sie scherzen“, entgegnete Sigi, und ich fügte hinzu: „Das ist unmöglich, Genosse Leutnant.“

      „Doch“, beharrte er. „Sie brauchen nur auf die Uhr zu sehen.“

      „Die andern sind wohl noch nicht hier?“, erkundigte sich Sigi.

      „Nein“, erwiderte Mergelt. „Sie sind die Ersten.“

      Da begriffen wir: Sie hatten sich an der Steigung seitlich in die Büsche geschlagen und wieder ins Restaurant begeben.

      Wir gingen in unser Zimmer. „Das tränken wir ihnen ein!“, versprach ich.

      „Wozu?“, meinte Sigi. „Man merkt, dass du nie in einem Heim warst. So was gehört dort dazu.“

      Morgens belauerte ich alle. Am auffälligsten grinste Kambert. Ich dachte: Sicher hat er‘s angezettelt. „Den knöpfe ich mir vor“, sagte ich zu Sigi.

      Er hielt mich zurück. „Das macht bloß böses Blut“, warnte er. „Wir müssen aber miteinander auskommen.“

      3

      Ich steige langsamer und achte auf die Stufen. Wenig später entdecke ich den geborstenen Steinquader. Die Fuge ist jetzt mit Beton gefüllt.

      Hier begann Dagmar zu zählen. Sie sprach die Ziffern halblaut vor sich hin. Die Zehner betonte sie, und bei hundert blieb sie stehen.

      „Hundert“, wiederholte sie. „Eigentlich einhundert. Das ist exakter. Jedenfalls habe ich es vor langer Zeit so gelernt.“

      „Fühlst dich wohl schon ziemlich alt?“, fragte ich.

      „Du siehst ja: hundert Stufen, und die Luft wird knapp.“

      „Dir fehlt Training“, meinte ich. „Werktags im Hörsaal, am Wochenende im Auto. Das bekommt niemand auf die Dauer.“

      „Weiß ich“, sagte sie. „Doch das Wissen ist eine Seite, sich danach zu richten, die andere. So gerate ich öfter in Konflikte. Früher hatte man es einfacher. Man kannte weder Flugzeug noch Bahn noch Auto. Also mussten die Leute laufen.“

      „Nicht alle“, widersprach ich. „Immerhin gab es Pferde und Kutschen. Mancher Blaublütige wusste kaum, wozu er Beine hatte. Und das rächte sich öfter. Da gibt es eine hübsche Episode: Brühl, erzählte neulich unser Leutnant, war unterwegs zur Festung Königstein. Er benutzte eine Equipage und hatte es eilig. Aber die Elbe führte Hochwasser, und die Straße war überflutet. Ihm blieben zwei Möglichkeiten: umkehren oder diesen Aufstieg benutzen. Der Graf entschied sich für Letzteres, weil ihn eine Mätresse erwartete. Zunächst ritt er. Doch der Hang war zu steil, das Gestein zu glatt. Also stiefelte er aufwärts. Schon bald wurde es ihm sauer. Am Abend zuvor hatte er nämlich tüchtig gezecht, und der Alkohol steckte ihm noch in allen Gliedern. Er schnaufte immer heftiger, die Schritte wurden kürzer. Seine Leibwächter mussten ihn stützen. Als sie die Festung erreichten, war er so erschöpft, dass er gleich ins Bett fiel. Die Mätresse erwartete ihn vergebens.“

      „Brühl ist kein Maßstab“, sagte Dagmar. „Es gab auch andere.“

      „Sicher“, stimmte ich zu. „Nimm Goethe. Noch im hohen Alter bestieg er den Kickelhahn.“

      „Oder Kleist“, meinte sie. „Er kam mit Dahlmann durch diese Gegend, als sie von Dresden nach Prag wanderten.“

      „Du magst Kleist?“, fragte ich.

      „Ja“, bestätigte sie. „Ich hab viel von ihm gelesen.“

      „Er war ein Wirrkopf. Alles um ihn erscheint mystisch, finde ich.“

      „Ich denke, er war genial.“

      „Trotzdem hat er sich nicht durchgesetzt.“

      „Die Zeit war schuld“, behauptete sie. „Man hat ihn verkannt.“

      „Das ist vielen Schriftstellern so ergangen“, erwiderte ich. „Umso erstaunlicher, dass die meisten trotzdem weitergeschrieben haben.“

      „Mit den Motiven ist es eben seltsam“, sagte sie. „Da blickt man schwer dahinter. Auch bei dir habe ich Mühe.“

      „Bei mir?“, fragte ich. „Wieso bei mir?“

      „Erinnerst du dich an unser Gespräch auf dem Hochsitz? Ich habe es abgebrochen, weil ich es für verfrüht hielt. Man muss sich erst kennenlernen, dachte ich. Dann wird alles von selbst klar. Es war ein Trugschluss. Ich frage mich nach wie vor, warum du Soldat geworden bist. Freiwillig. Weshalb?“

      „Das ist eine lange Geschichte“, sagte ich.

      Nach dem Vorfall bei Gudrun verließ ich die Baustelle. Ich wollte mich nicht nur von ihr trennen, sondern auch von dem, was an sie erinnerte. Brich alle Brücken ab, dachte ich. Wennschon, dennschon! Ich kündigte. Mag sein, dass durch die eingetretenen Umstände mein Entschluss nur schneller reifte; über kurz oder lang wäre es wohl ohnehin dazu gekommen. Es gab zu viel Ärger, besonders mit dem ewig nörgelnden Meister, und die meisten Kollegen bedauerten wohl gleichfalls nicht, dass ich ging. Lediglich Herb versuchte, mich zurückzuhalten. „Überleg‘s dir noch mal“, riet er. „Wegen so ‘ner Donja türmt man nicht gleich. Was willst du denn anfangen? Hier hast du dein gutes Geld. Davon lässt sich ordentlich was auf die Kante legen. Nach zwei, drei Jahren sitzt du in einem Chausseeflitzer. Dann kannst du massenhaft Mädchen haben.“ Er sprach aus Erfahrung. Seit er geschieden war, lebte er auf Baustellen. Er besaß einen F9, an dem er oft nach Feierabend bastelte und putzte. Wenn er dann am Sonntag in den Wagen stieg, fand sich immer eine, die sich neben ihm in die Polster schmiegte, obwohl Herb mit seinem dünnen blonden Haar, dem hohlwangigen Gesicht und der runden Nickelbrille nicht gerade wie ein Adonis aussah. „Überleg‘s dir noch mal“, wiederholte er und blickte mich eindringlich aus seinen durch die starken Gläser vergrößerten Augen an. „Mehr als hier verdienst du nirgends!“

      Sicher hat er Recht, dachte ich. Trotzdem bleibt‘s dabei. „Es ist nicht wegen Gudrun allein“, sagte ich. „Auch der Meister hat Anteil. Der Mann geht mir auf den Hauptnerv mit seiner Meckerei.“

      „Das wäre wohl das Wenigste“, meinte Herb. „Lass ihn nörgeln. Mich fuchst es ebenfalls manchmal, doch ich stecke ein Loch zurück. Der Mann hat‘s nicht leicht. Er ist krank, Asthma. Schlimmer aber ist das mit seiner Frau. Bei ihr hakt‘s ab und zu aus, seit sie in Dresden während eines Bombenangriffs ver¬schüttet wurde. Wenn‘s losgeht mit ihr, wird er besonders unleidlich. Ein bisschen muss man‘s ihm nachsehen, finde ich.“

      „Mag sein“, gab ich zu. „Dennoch brauche ich Tapetenwechsel: andre СКАЧАТЬ