Privatsache. Thomas Hölscher
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Название: Privatsache

Автор: Thomas Hölscher

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783750219007

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СКАЧАТЬ Betten und eine Stunde länger Fernsehen im Altenheim durchsetzen wollten?

      Der Staatsanwaltschaft war dieser Name natürlich durchaus geläufig; es war schließlich nicht umsonst ein dunkelgrauer Mercedes am Abend des 8.Mai in die Provinz nach Gelsenkirchen geschickt worden.

      Und natürlich wusste man dort auch, dass der junge Mehmet Yilmaz mit seiner Einschätzung völlig recht hatte. Er hätte auch getrost behaupten können, dass sogar der türkische Geheimdienst völlig ungeniert in der Bundesrepublik operierte, um die eigenen Landsleute zu überwachen und nötigenfalls zu schikanieren. Auch damit hätte er recht gehabt. Nur konnte man so etwas eben nicht zugeben und schon gar nicht an die Öffentlichkeit bringen. Die Türkei war schließlich ein befreundeter Staat, war ebenfalls in der Nato und somit jederzeit bereit, die Werte der westlichen Welt zu verteidigen und zu diesem Zweck eine Unmenge Waffen auch in der Bundesrepublik zu kaufen.

      Man musste also zunächst einmal alles ganz genau überprüfen, nichts durfte überstürzt werden.

      Das erste Ergebnis dieser Überprüfung war dann auch gleich sehr befriedigend. Der junge Mann war ja eigentlich illegal in die Bundesrepublik gekommen, er war gar nicht der Sohn der Familie, bei der er seit drei Jahren wohnte. Letzte Zweifel über diesen Punkt waren durch eine kurze Kontaktaufnahme mit dem türkischen Konsulat schnell ausgeräumt.

      Und damit war dieser Fall für die Staatsanwaltschaft schneller erledigt, als man es hatte erhoffen dürfen.

      Für seine Freunde war damit der junge Mann erledigt.

      Es gab nun mehrere Varianten, wie die Bürokratie zum Endsieg ausholen konnte, aber wahrscheinlich würde man kurzen Prozess machen: Er würde die Aufforderung erhalten, die Bundesrepublik umgehend zu verlassen, und selbst wenn er um politisches Asyl bitten sollte, dann würde ein solches Vorgehen das Ende nur herauszögern. Aus bekannten Gründen konnte man als türkischer Staatsbürger in der Bundesrepublik wohl kaum als politisch Verfolgter angesehen werden.

      Das Ende sah in der Phantasie des jungen Mannes immer gleich aus: Er würde in ein Flugzeug Richtung Türkei gesetzt, und nach der Landung in Ankara, Istanbul oder Izmir würden sie spätestens unten an der Gangway schon auf ihn warten. Er würde nicht mehr auftauchen. Wenn er Glück hatte, vielleicht noch als Name auf einem Flugblatt von Amnesty International.

      Es sei denn, er würde sich wehren.

      Aber dafür war Mehmet Yilmaz gar kein Typ.

      Er war ein überaus liebenswerter Mensch, der nur einen Fehler hatte: er erzählte Geschichten, ohne sich vorher zu überlegen, ob andere diese Geschichten hören wollten oder nicht.

      Er war überhaupt viel zu naiv.

      8

      Für die Zeitung hatte Börner am Morgen des 10.Mai so gut wie gar kein Interesse. Er hatte Ärger, und das nicht zu knapp.

      Vor zwei Tagen war offensichtlich nicht nur der Schlauch seiner Waschmaschine geplatzt, sondern einigen seiner Nachbarn auch der Kragen. Sie hatten ihn eigentlich immer gemieden, aber nun taten sie es mit Bedacht. Außerdem hatten sie dem Vermieter offensichtlich nicht nur die Überschwemmung der Wohnung gemeldet, sondern auch deutlich zu verstehen gegeben, dass die Kündigung des Mieters Richard Börner auf das allergrößte Verständnis der übrigen Hausbewohner stoßen würde: der Kerl sei andauernd betrunken, außerdem schon lange arbeitslos und habe sehr häufig den seltsamsten Besuch. Sie wolle ja niemanden in die Pfanne hauen, hatte eine Frau den Vermieter sogar telefonisch wissen lassen, aber dass der Kerl homosexuell und deshalb vor sechs Jahren auch bei der Polizei bereits rausgeflogen sei, das wisse doch nun wirklich jeder.

      Börner war über diese Dinge informiert. Am gestrigen Abend hatte er dem Vermieter den Schaden melden wollen, damit die Sache nur möglichst schnell vom Tisch war. Es war ein langes Telefonat geworden, und was er dabei alles erfahren hatte, das hatte ihn schlichtweg umgehauen. Bis gestern Abend war seine Wohnung für ihn immer eine Art letzte Zuflucht gewesen, wo er unbehelligt von anderen tun und lassen konnte, was er wollte. Er hatte sich anscheinend geirrt.

      Eine ganze Weile hatte er geglaubt, sich die Vorwürfe und Unterstellungen gar nicht länger anhören zu müssen. Niemand hatte es nötig, sich so etwas sagen zu lassen. Dann dachte er schließlich an die Kosten, die er verursacht hatte und für die keine Haftpflicht aufkam, und dann hielt er es für ratsamer, sich zunächst einmal so etwas doch sagen zu lassen. Er hatte den Vermieter allerdings um ein klärendes Gespräch gebeten, zu dem dieser überraschenderweise auch sofort bereit gewesen war. Natürlich, gleich morgen um 11 Uhr sollte Börner bei ihm vorbeikommen.

      Er hatte den Mann noch nie gesehen. Seit er vor rund 15 Jahren die Wohnung in der Leipziger Straße bezogen hatte, war alles Notwendige schriftlich oder telefonisch erledigt worden. Es musste 1974 gewesen sein, dass er nach Schalke gezogen war. Er hatte die Wohnung damals genommen, weil sie in unmittelbarer Nähe des Abendgymnasiums lag, auf dem er schließlich sein Abitur nachgeholt hatte. Börner lachte zynisch bei diesen Erinnerungen: Mein Gott, das waren noch Zeiten gewesen! Da hatte er noch hehre Ziele gehabt! Es war lange her, sehr lange.

      Als er losging, schaute er noch einmal auf die Adresse. Es war und blieb die Hohenzollernstraße in Gelsenkirchen-Bulmke, eine Gegend, die er doch eigentlich sehr gut kannte. Den ganzen gestrigen Abend war er im Geiste diese Straße mehrfach auf und ab gegangen, um sich an eine Gegend zu erinnern, wo so etwas wie ein Vermieter wohnen konnte. Vermieter waren schließlich alle kapitalistische Blutsauger, die in ihren dicken Villen das Geld verprassten, das sie anderen für die erbärmlichsten Hütten aus der Tasche zogen.

      Er wurde enttäuscht. Der Mann wohnte in einem alten Mietshaus.

      Im übrigen sah er allerdings genau so aus, wie Börner es sich ausgemalt hatte: Ende 60, Anfang 70, graue, pingelig exakt gekämmte Haare mit schnurgeradem Scheitel und ausrasiertem Nacken, das ausdruckslose Kartoffelgesicht des deutschen Spießers, kurz der Typ Mann, den Börner nicht ausstehen konnte.

      Börners schlimmste Befürchtungen schienen sich dann auch sofort zu bestätigen. Der Mann hielt sich nicht lange mit irgendwelchen höflichen Floskeln auf, bot ihm nicht einmal einen Sitzplatz an, sondern kam gleich zur Sache. Den durch das aus der Waschmaschine ausgetretene Wasser entstandenen Schaden müsse Börner natürlich tragen, die Haftpflicht nehme sich von so etwas gar nichts an. Außerdem habe er bei den anderen Mietern des Hauses einen äußerst schlechten Ruf, es seien die verschiedensten Klagen über ihn gekommen, und natürlich müsse man der ganzen Sache nachgehen; denn schließlich lege jeder Vermieter Wert auf ein ordentliches Haus.

      Wer sich denn da beklagt habe, wollte Börner wissen. Und ordentliches Haus sei wohl ein Witz; das seien doch alles Proleten.

      Auf diese Bemerkung ging der Mann gar nicht ein, sondern fuhr ein schwereres Geschütz auf. Vor allem sei nämlich die Miete für den letzten Monat noch nicht überwiesen worden, und so etwas sei nach geltendem Recht ein Kündigungsgrund. Zu einem solchen Schritt habe er im Augenblick die allergrößte Lust, da - wie jedermann wisse - der Wohnungsmarkt sich in den letzten Jahren doch entscheidend geändert habe: wegen der vielen Aus- und Übersiedler aus dem Osten sei der Wohnungsmarkt mittlerweile so eng geworden, dass man es als Vermieter gottseidank nicht mehr nötig habe, auf alles und jeden Rücksicht zu nehmen.

      Börner sah den Mann irritiert an. Die Miete war von seinem Konto nicht abgebucht worden? Gerade wollte Börner sein Unverständnis darüber zum Ausdruck bringen, als ihm einfiel, dass der Mann nur recht haben konnte. Das Arbeitslosengeld kam nicht mehr, und natürlich hatte so einer wie er bei keiner Bank Kredit. Das Geld vom Verkauf seines Wagens hatte er auf sein Sparbuch getan. Gerade wollte er alles erklären, als СКАЧАТЬ