Название: Das Vermächtnis von Holnis
Автор: Peter Graf
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783741808388
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Feddersen fragte sich, wie die beiden Männer bei der Dunkelheit das hatten erkennen können, als ihm einfiel, dass die letzten Nächte mondhell gewesen waren. Drei Tage war das Verbrechen also schon her, wenn der Halunke nicht nach Strich und Faden log. Und ausgerechnet Einbrecher sollten zur Aufklärung eines Verbrechens beitragen? Der Inspektor glaubte dem Kerl kein Wort, der immer noch lallend fortfuhr.
„Ich hatte schon ein mulmiges Gefühl, dass da was nicht stimmt. Aber wir sind dann rein und haben einen Leuchter vom Tisch angemacht. Da war alles voller Blut. Auf dem Boden lag ein richtig feiner Herr. Der glotzte uns mit seinen offenen Augen an, dass man sich doll erschrecken konnte. Aber sein Hals war auch offen, von einer Seite zur anderen, und alles war rot. Dem hat man die Kehle aufgeschlitzt. Wir haben dann ein paar Sachen zusammengekramt und sind weg. Damit wollten wir nix zu tun haben. Mit so feinen Herren - das gibt immer richtig Ärger.“
Feddersens Gefühl sagte ihm, dass der Mann vor ihm, so betrunken der auch war, irgendwo die Wahrheit sagte. Einen Mord dachte man sich nicht so einfach aus, vor allem nicht in einer Zelle der Flensburger Polizei. Nun war es vorbei mit der Freundlichkeit. Vielleicht saß vor ihm nicht nur ein Dieb, sondern ein Mörder.
Der Inspektor richtete sich vom Stuhl auf, im Bewusstsein, dass seine imposante Körpergröße leicht beeindrucken konnte. Unsanft riss er den Alten vom Hocker hoch und befahl ihm mit ruhiger, aber unmissverständlicher Stimme, ihn zu dem Haus zu führen, wo der Mord stattgefunden haben sollte.
Der Weg von der Arrestzelle der Polizeidienststelle führte am Rathaus vorbei die Kopfsteinpflasterstraße hoch. Dem Alten waren die Hände hinter dem Rücken verbunden worden und er wurde von zwei Polizisten flankiert. Feddersen wäre den langen Weg zum Ochsenweg gern mit einer Kutsche gefahren, die er nicht zur Verfügung hatte. Er musste sich jedoch auch eingestehen, bei dem Fußmarsch die Aufmerksamkeit der Passanten zu genießen, die mit Abscheu ihre Blicke auf den Verbrecher warfen, die der Polizei aber mit offensichtlicher Achtung begegneten.
So konnte jeder Bürger erkennen, dass in der Stadt für Recht und Ordnung gesorgt wurde, was in diesen unruhigen Zeiten besonders wichtig war.
Eine Gasse führte sie den Fördehang hinauf, aus dem Gewimmel der Altstadt heraus. Von hier oben hatte man einen freien Blick über die roten Ziegeldächer der Innenstadt hinweg auf die Förde und es herrschte eine Ruhe, die man dem Zentrum so nahe nicht vermutete. Noch vor wenigen Jahren war hier überall Wald gewesen. Jetzt standen hier auf der Westlichen Höhe eine Reihe von prachtvollen Villen in wohlgepflegten Parkanlagen als Zeugen für den Reichtum einiger Reeder und Kaufleute. Sie hatten noch ein ganzes Stück des Weges vor sich, an der Marienhölzung entlang zum Ochsenweg, ihrem Ziel. Während die beiden Polizisten sich belangloses Zeug erzählten und der alte Mann zwischen ihnen keuchte und immer wieder vor sich hin fluchte, verfiel Feddersen ins Grübeln. Sollte es tatsächlich einen Mord an einem feinen Herrn gegeben haben, so hatte sich der Einbrecher doch ausgedrückt, dann hätte er als Dienststellenleiter ein Problem, das schnell gelöst werden musste.
„Hier längs“, brummelte der Alte und zeigte in die Richtung einer halb verfallenen Scheune.
In seinen Gedanken versunken, hatte der Inspektor gar nicht wahrgenommen, dass sie den breit ausgefahrenen Ochsenweg schon erreicht hatten. Hinter der Scheune lag eines der zahlreichen Backsteinhäuser, die in den letzten Jahren am Rande Flensburgs errichtet worden waren, bei weitem nicht so groß, wie die Villen der Westlichen Höhe, aber verglichen mit den Altstadthäusern wahre Paläste.
Obwohl Feddersen schon so lange Polizist war, beschlich ihn immer noch ein mulmiges Gefühl, wenn er an einen Tatort kam. Dieses Gefühl der Unruhe hätte er gern als eine Art Jagdfieber verstanden. Er war sich allerdings bewusst, dass es wohl eher einem Ekel vor Gewaltverbrechen entsprang.
Die Tür am Seiteneingang stand tatsächlich offen und ließ einen Blick durch den Flur hindurch ins Wohnzimmer zu.
Die zerlumpte Gestalt neben ihm hatte nicht gelogen. Da lag jemand auf dem Boden - tot. Der widerliche Geruch des Todes zerstreute jeden Zweifel.
Barsch forderte der Inspektor die beiden Polizisten auf, draußen zu warten und den Gefangenen streng zu bewachen. Ein Mörder war etwas anderes als ein Einbrecher.
Als er das Wohnzimmer betrat und mehr Licht in den Raum kam, wurde ihm schlagartig die Tragweite des Verbrechens klar. Hier war nicht nur ein feiner Herr ermordet worden, sondern eine Amtsperson - eine Amtsperson, die er persönlich kannte. Der Arzt.
Seine düsteren Gedanken auf dem Weg hierher hatten sich bestätigt. Er durfte keinen Fehler machen und man würde wenig Geduld mit ihm haben.
Er befahl den beiden Polizisten, den Verbrecher in die Zelle zurückzuführen und keinen Moment aus den Augen zu lassen. Er brauchte Ruhe und musste allein sein, um den Tatort genau zu inspizieren.
Ihm fiel sofort auf, dass der Ort des Verbrechens einen ungewöhnlich aufgeräumten Eindruck machte. Natürlich war überall Blut zu sehen. Der Tote lag in einer großen Lache, die zum Teil schon eingetrocknet war. Die Verwesung hatte trotz der Kühle längst eingesetzt und in der offenen Kehle zeigte sich allerhand Gewürm. Aber nichts im Raum war in Unordnung und nichts deutete auf einen Kampf hin.
Da war kein umgestürzter Stuhl, nichts war vom Tisch gerissen worden, auf dem sogar noch ein halbgefülltes Glas stand. Kein Bild von der Wand gerissen.
Der Amtsarzt musste dem Täter entweder die Tür geöffnet haben, was eher unwahrscheinlich war, oder der Mörder musste lautlos eingedrungen sein, sonst hätte es einen Kampf gegeben. In diesem Raum war jedoch nicht gekämpft worden. Der Amtsarzt musste völlig überrascht worden sein und war regelrecht hingerichtet worden.
Hier war nicht jemand zufällig Opfer von betrunkenen Einbrechern geworden, sondern gezielt umgebracht worden. Seine Vermutung bestätigte sich, als er Türen und Fenster untersuchte. Nichts aufgebrochen, nichts beschädigt. Entweder hatte der Amtsarzt seinen Mörder gekannt und musste ihn selbst hereingelassen haben oder der Täter war außerordentlich geschickt in seinem Handwerk und unbemerkt ins Haus eingedrungen.
Damit war das elende Wrack, das sie hierher geführt hatte, als Täter eher unwahrscheinlich.
Auch bei einer genaueren Untersuchung des Hauses und des Geländes fand er keinerlei Hinweis darauf, warum der Mann hatte sterben müssen. Die Schranktüren im Wohnhaus waren ungeöffnet und scheinbar war nichts entwendet worden. Die Truhen waren verschlossen, die Schlösser unversehrt und im Haus gab es keine Spuren, dass jemand ein Geheimversteck gesucht hatte, um dort vielleicht Schmuck, Geld oder andere Wertsachen zu finden. Warum hatte man den Amtsarzt getötet?
Als Feddersen sich sicher war, dass er an dem Ort des Verbrechens keine weiteren Spuren finden würde, begab er sich auf den Heimweg. Er musste den Einbrecher weiter befragen. Vielleicht konnte der Trunkenbold ihm noch irgendwelche Hinweise geben, wie der das Haus und den Toten vorgefunden hatte. Drei Tage war das schon her, und niemand hatte offenbar den Beamten vermisst.
„Armer Teufel“, ging es dem Polizeiinspektor durch den Kopf.
Als er nach einem halbstündigen Fußmarsch seine Dienststelle erreicht hatte, wartete schon ein Ratsdiener ungeduldig auf ihn, er solle unverzüglich ins Rathaus und beim Bürgermeister vorstellig werden. Es bedurfte nicht allzu großer Fantasie zu erahnen, weswegen ihn der Stadtvorsteher zu sehen wünschte. Ihn erboste die Geschwätzigkeit der beiden Polizisten, die wohl dafür gesorgt hatte, dass sich der Mordfall in Windeseile in der Stadt bis hin zum Bürgermeister herumgesprochen hatte.
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