Название: Lebenswege - Eine ostpreußische Familiengeschichte - Band 2
Автор: Frank Hille
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783737542913
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Sie redeten später noch eine Weile miteinander, dann zog er sich an und machte sich auf den Heimweg. Vor sich hin pfeifend kam er zu Hause an, es war ein sensationeller Tag gewesen und auch sein mürrischer Vater war ihm heute egal.
Erste Trennung, Berlin, 1980
„Glaube mir Dieter, es ist sinnlos daran zu glauben, dass es mit uns etwas werden könnte“ sagte Ruth.
„Du wirst bald studieren und wie ich dich kenne wirst du dem alles unterordnen. Wenn ich mit dir etwas unternehmen will hast du keine Zeit, nur für das Bett reichen die wenigen Stunden. Es ist schön mit dir, so gut bin ich noch nie befriedigt worden, aber das ist nicht alles. Und irgendwie wirst du dich später immer so orientieren, dass du im Beruf vorankommst, für mich ist es wichtiger etwas zu erleben, etwas zu unternehmen, rauszugehen, verstehst du?“
Natürlich verstand er sie, in allem hatte sie Recht, doch er klammerte sich an die Vorstellung, mit ihr zusammen bleiben zu können. Ein halbes Jahr währte ihre Beziehung und er wusste, dass er bei ihr vor allem körperliche Befriedigung suchte, auf die Gespräche mit ihr legte er weniger Wert. Er begriff, dass „gleich und gleich gesellt sich gern“ oder „Gegensätze ziehen sich an“ schon zutreffen konnte, aber ihre Vorstellungen von der Zukunft lagen zu weit auseinander, er würde sich verbiegen müssen wenn er ihren Wünschen folgen wollte. Zu manchen Dingen die sie vorhatte wäre er körperlich kaum in der Lage, im Gebirge zu wandern ließ seine schwache Konstitution nicht zu.
Als er sie diesmal verließ war klar, dass sie sich nicht wieder treffen würden. Sie hatte ihm eindeutig erklärt, dass von ihrer Seite her Schluss sei weil sie nicht glaubte, dass sie zusammen passen würden. Für ihn war das schmerzhaft, aber mit seiner kontrollierten Art sagte er sich, dass es wohl für sie beide die beste Lösung sei. Außerdem würde er in drei Wochen zur Armee einrücken müssen, er war Innendiensttauglich und würde trotz seiner gesundheitlichen Einschränkung 18 Monate dienen müssen. Besonders sein Vater hatte es so gewollt, es sollte sein Beitrag für den Staat sein, der ihm danach ein Studium gewähren würde. Dieter Becker sah das im gewissen Sinne ein. Auf die Zeit bei der Armee freute er sich jedoch überhaupt nicht.
Probelauf, Sachsen, 1981
Die Spannung war spürbar. Die Gruppe von Männern und Frauen die sich in der kleinen Werkhalle befand hatte sich an zwei Orten verteilt: an einem stabilen Tisch, auf dem ein Monitor und eine Tastatur zu erkennen waren, und vor einer Werkzeugmaschine, deren ringförmiger Werkzeugspeicher mit verschiedensten Teilen bestückt war. In die Maschine war ein länglicher Metallblock eingespannt. Ein Mann in Arbeitskleidung betätigte einige Knöpfe und der Block begann sich zu drehen, anfangs noch langsam aber dann immer schneller, bis sich die Konturen auflösten. Der Mann entfernte sich von der Maschine und die Frauen und Männer an dem Tisch blickten gespannt zu der Maschine. Der Werkzeugspeicher bewegte sich, die Maschine griff sich eines der Teile heraus, dann war Druckluftzischen zu hören und das Werkzeug war eingespannt, es wurde in Position gebracht und begann das Werkstück zu bearbeiten. Als der Fräskopf zurückfuhr war eine gleichförmige Vertiefung in dem Metallblock zu erkennen, die Bewegung stoppte langsam bis der Block zum Stillstand kam. Wieder zischte Druckluft als die Maschine das Werkzeug in dem Werkzeugspeicher ablegte, um sofort ein anderes zu greifen und einzuspannen. Als dieses vor dem Block platziert war und sich dem Block langsam näherte, begann sich der Bohrer zu drehen, arbeitete eine Weile, kam in seine Ausgangsposition zurück, der Block machte eine achtel Drehung und der Bohrer fuhr wieder in Position. Das wiederholte sich so oft, bis alle Löcher gebohrt waren, die Maschine kam zum Stillstand.
„Alle Achtung Frau Professor“ sprach ein gedrungener Mann im Anzug Petra Becker an „es hat alles perfekt funktioniert, genau wie wir es uns vorgenommen hatten, Glückwunsch.“
„Danke“ erwiderte sie „das ist aber unser aller Verdienst, ohne Ihre Maschinensteuerung wäre das nicht möglich gewesen und ohne den Computer den Herr Fühmann mit entwickelt hat wäre gar nichts passiert, wir sollten uns alle freuen. Und lassen Sie bitte den Professor weg, das höre ich ja täglich von meinen Studenten.“
Als Petra Becker ihre Habilitation vor knapp zwei Jahren abgeschlossen hatte wurde sie sofort zur Professorin berufen, es war das erste Mal in der Geschichte der Hochschule, dass eine Frau einen Lehrstuhl für Kybernetik und Rechentechnik einnahm. Vor zehn Jahren hatte sie als Assistentin dort angefangen, und ohne dass sie es besonders darauf anlegte ihre akademische Karriere vorwärts zu treiben, kam sie Schritt für Schritt voran und überflügelte bald die alteingesessenen Wissenschaftler, die sich lieber an komplizierten Formeln delektierten, die in der Praxis aber kaum eine Rolle spielten. Sie hatte bald erkannt, dass Forschung schnell zum Selbstzweck führte, wenn keine greifbare Umsetzung dahinter stand und da sie eine Vielzahl von Belegen und Diplomarbeiten betreute auch einen Blick dafür, wo, auch unter den Bedingungen der knappen Ressourcen, etwas machbar war. Gezielt hatte sie Studenten für Themen der Maschinensteuerung interessiert, und die jungen Frauen und Männer lieferten neben ihrer eigenen Arbeit wichtige Beiträge für ihr Fachgebiet. Dazu kam, dass sie eine enge Beziehung zu ihren betrieblichen Partnern schätzte und oft vor Ort war, manchmal war sie erstaunt, welche Produkte die heruntergekommenen Hallen verließen, manchmal beeindruckt, dass es auch Inseln der Hochtechnologie gab, wo Arbeiter in sauberen Fabrikhallen gepflegte Maschinen bedienten. Das alles nahm sie wahr, war aber von ihrer Aufgabe viel zu sehr gefangen um zu erkennen, dass der Großteil der Fertigungsanlagen seine beste Zeit lange hinter sich hatte und dass offensichtlich viel improvisiert werden musste. Diese Dinge hatten andere zu klären, jeder musste halt seinen Part in diesem sozialen und wirtschaftlichen System spielen, so wie Bernd Fühmann.
Ihn lernte sie vor gut anderthalb Jahren bei ROBOTRON kennen, einem Zusammenschluss verschiedener Büromaschinenwerke, die Erfahrungen mit elektronischen Rechenwerken mitbrachten. Ihr war schon immer klar gewesen, dass eine moderne Maschinenfabrik aus drei wesentlichen Komponenten bestehen müsste: dem Maschinenpark, einer Verknüpfung mit Computern und der maßgeschneiderten Software. Was rings darum noch logistisch oder technologisch zu lösen war lag in den Händen anderer Spezialisten, Fühmann war ihr Partner für die Computer.
„Tja“ sagte er bedächtig „dem Westen sind wir ein ganz schönes Stück hinterher. Es war ein Kraftakt die ersten Maschinen zum Spielen zu bringen, und: wir haben hier und da auch ein bisschen abgekupfert, ansonsten wären wir heute noch nicht soweit. Aber unsere Maschinen sind robust und fallen nur selten aus, für Ihre Zwecke sind sie also ganz gut geeignet. Ich finde es übrigens sehr interessant womit Sie sich beschäftigen, vielleicht können wir uns auch mal außerhalb des Protokolls treffen.“
Petra Becker sah ihn an, er war vielleicht Ende dreißig, drei, vier Jahre älter als sie und etwas korpulent, was wegen seiner Körpergröße aber nicht sonderlich auffiel, er überragte sie um einen Kopf. Er trug eine Brille und seine Haare lichteten sich schon an den Schläfen, seine Kleidung war lässig aber gepflegt und insgesamt machte er einen seriösen, schon etwas gesetzten Eindruck.
„Das wird Ihre Frau aber gar nicht gern sehen, oder“ fragte sie harmlos.
„Es gibt keine Frau“ antwortete er „jedenfalls gegenwärtig nicht, es war einmal.“
Sie meinte Ärger aus seinen Worten herauszuhören. Petra Becker empfand ihn durchaus als nett und eine unverfängliche Begegnung mit ihm schloss sie nicht kategorisch aus, sie vereinbarten sich für den kommenden Sonnabend zum Wandern.
Wehrdienst, Thüringen, 1981
Obwohl es für Dieter Becker möglich gewesen wäre wegen seiner Herzmuskelschwäche untauglich geschrieben zu werden hatte sein Vater darauf gedrängt, dass er doch den Grundwehrdienst ableisten sollte.
„Du willst studieren, also wirst СКАЧАТЬ