Lebenswege - Eine ostpreußische Familiengeschichte - Band 2. Frank Hille
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Название: Lebenswege - Eine ostpreußische Familiengeschichte - Band 2

Автор: Frank Hille

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783737542913

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СКАЧАТЬ Noch gab es keinen Grund zur größeren Beunruhigung, und da Frieder seine wöchentliche Vorlesung hielt auch keine Möglichkeit, ihn über den Zwischenfall zu informieren.

      Als er nach einundzwanzig Uhr nach Hause kam erzählte sie ihm sofort von der Sache, er griff zum Telefon und sprach mit seinem Anwalt, dann rief er im Revier an und wurde während des Gespräches plötzlich blass.

      Die schmale Gestalt baumelte am Fensterkreuz der Zelle. Irgendwie hatte es Franz Frenzel geschafft, aus dem Handtuch und den Bettlaken einen Strick zu drehen, sein Genick war nicht gebrochen, er musste langsam und qualvoll erstickt sein. Franz hatte beim Verhör widersprüchliche Aussagen geliefert, so dass man ihn am nächsten Tag nochmals befragen wollte. Die Beamten hatten aber verabsäumt, ihn wie es vorgeschrieben war, regelmäßig zu beobachten, und erst bei einem Kontrollgang war der Vorfall bekannt geworden. Der Leiter des Untersuchungsgefängnisses kam dadurch in erhebliche Schwierigkeiten, denn ganz klar hatten seine Leute ihre Pflichten grob verletzt.

      Das war auch der Punkt, an dem der Anwalt von Frieder Frenzel ansetzte. Er schlug der Anwaltschaft einen Deal vor der in Kern so aussah, dass die Anschuldigungen gegen Franz Frenzel fallen gelassen wurde und die Familie Frenzel im Gegenzug auf eine Untersuchung der Zustände in der Anstalt verzichtete, jegliche Informationen zu diesem Fall sollten streng vertraulich bleiben. Möglich wurde dies nur dadurch, dass Professor Frieder Frenzel hervorragende Kontakte zu wichtigen Männern in der Stadt hatte, so dass er die Sache über seinen Anwalt geräuschlos abwickeln lassen konnte. In der Anstalt war das Vorgefallene nur dem Personal bekannt geworden und die Beamten wurden zum Schweigen verpflichtet. Im Behindertenheim wusste nur der Leiter von den Vorgängen und auch er hatte wenig Interesse ,sich und seine Einrichtung in der Klatschpresse der Stadt wieder zu finden. Auch ihn würde man wegen der Verletzung von Aufsichtspflichten in die Zange nehmen und die Aussagen der jungen Männer wären wegen ihrer Behinderung ja ohnehin mit Vorsicht zu genießen.

      Franz Frenzels Todesanzeige würde auf eine kurze und heimtückische Krankheit verweisen. Seine Leiche wurde nachts unbemerkt in die Leichenschauhalle gebracht, wo ihn seine Eltern noch identifizieren mussten. Natürlich wussten Frieder und Berta Frenzel dass es Gerüchte geben würde, aber nach einiger Zeit wäre die Angelegenheit ausgestanden. Dass sie den Tod ihres Sohnes fast wie geschäftsmäßig abwickelten war dem Schock über das Geschehene geschuldet. Beide realisierten erst nach Tagen, dass sie ihn von jetzt an nur noch auf dem Friedhof besuchen konnten.

      Das Mädchen hatte sich daran gewöhnt dass die anderen sie manchmal verwundert anschauten, wenn sie die einfachsten Aufgaben wieder einmal nicht begriff, es machte ihr nichts mehr aus. Sie hatte verinnerlicht, dass die Lehrer bei ihr ein Auge zukniffen und ihr wenigsten eine vier zubilligten, selbst mit ihren zehn Jahren verstand sie schon, dass die Qualen die das Lernen ihr bereiteten, irgendwann vorbei sein würden. Längst hatte sie es aufgegeben darauf zu hoffen, dass sie durch ständiges Üben besser werden könnte, das Ergebnis war jedes Mal enttäuschend. Wenigstens ihre Klassenleiterin stellte sich schützend vor sie wenn die anderen sie wieder einmal hänselten und als blöde Gans bezeichneten oder sich sonst abfällig äußerten. Freunde fand sie keine, nur mit Karla, die ähnlich lernschwach wie sie war, schwatzte sie in den Pausen manchmal. Zu Hause setzte sie sich dann wie pflichtschuldig an ihren Schreibtisch um die Aufgaben zu erledigen, oft war ihr schon die Aufgabenstellung unverständlich und mehr um zu zeigen, dass sie sich wenigstens damit beschäftigt hatte, schrieb sie etwas auf, was sie nach ein paar Minuten selbst nicht mehr hätte erklären können. Ihr Bruder Dieter war zwar von seinem Vater beauftragt worden ihr zu helfen aber nahm diese Aufgabe mehr als halbherzig wahr, denn Hanna konnte seinen Erklärungsversuchen nicht folgen, und wenn sie sein spöttisches Lächeln sah, verflog auch jeder Ansatz einer Anstrengung bei ihr ihn zu verstehen.

      Hanna Becker versuchte instinktiv ihre schlechten Leistungen in der Schule durch Hilfe im Haushalt wettzumachen. Lob bekam sie nur von ihrer Mutter, Peter Becker nahm ihre Anstrengungen zwar zur Kenntnis, aber mehr auch nicht. Für ihn war das Verhalten seiner Tochter Ausdruck eines vollständigen Versagens. Er selbst hatte sich mit Disziplin hochgearbeitet und diese Eigenschaft trieb ihn immer noch ständig an. Peter Becker wusste selbst nicht, dass er auf eine bestimmte Art neurotisch war. Hätte ihn ein Psychologe über sein Leben befragt wäre schnell klar geworden, dass die verstörenden Erlebnisse in seiner Kindheit und Jugendzeit ihn in eine Richtung gelenkt hatten, die Ruhelosigkeit und Anerkennungsstreben mit sich brachten.

      Peter Becker dirigierte den LKW die schmale Straße entlang. Links und rechts säumten Hecken den Weg und der Fahrer hatte Mühe diese nicht zu beschädigen, aber als der See sichtbar wurde war der schwierigste Teil geschafft, die Einfahrt zum Grundstück war noch nicht fertig gestellt und damit konnte der Laster ohne Mühe dort einbiegen. Am Ufer waren die Konturen eines Hauses zu erkennen, das sich beim Näherkommen als großzügiger eingeschossiger Bungalow zeigte, von dessen Terrasse aus man direkt einen Steg betreten konnte. Die großzügige Verglasung ließ viel Licht in das Haus hinein und da der Bau zum Teil noch unverputzt war sah man auch, dass alles solide ausgeführt worden war. Zwei Männer standen vor einem Betonmischer und wiesen den Fahrer ein, als er heran war kippte er die Ladung Kies ab und sofort schaufelten die Arbeiter diesen in den Mischer und gaben Zement und Wasser dazu. Peter Becker ging zum LKW und drückte dem Fahrer zwanzig Mark in die Hand, mit einem „Danke“ stieg dieser ein und fuhr davon.

      „Wie viel schafft ihr heute“ fragte er einen der Männer.

      „Ganz werden wir nicht fertig, den Rest erledigen wir morgen“ antwortete dieser.

      „Gut“ entgegnete Peter „wir sehen uns morgen gegen vierzehn Uhr hier, dann ist Abnahme und ihr bekommt das Geld, in Ordnung?“

      Die beiden nickten und Peter Becker ging zu seinem Lada, den er im vorderen Teil des Grundstücks geparkt hatte. Die Männer waren ihm von Seidel, einem Kollegen, empfohlen worden, sie würden schnell und ordentlich arbeiten und auch ihre Stundensätze wären nicht überzogen. Vor einem Jahr hatte Peter Becker angefangen sich mit dem Projekt Wochenende, wie er es nannte, zu beschäftigen. Im Ministerium hatte er sich erwartungsgemäß schnell eingearbeitet und stellte bald fest, dass viele der dort Beschäftigten ein Wochenendgrundstück in der Nähe der Stadt besaßen und erhebliche Zeit während der Arbeit aufwendeten, diverse Dinge zu organisieren. Am Schwierigsten war es gewesen ein geeignetes Grundstück zu finden, und er sah sich einige Objekte an die ihm allesamt nicht zusagten. Erst am Kalksee würde er fündig, und während der Preisverhandlung mit dem Verkäufer war er nahe dran, diesem eine Anzeige anzudrohen, da dieser einen durchaus üblichen Preis in den Vertrag aufnehmen wollte, aber nebenbei noch 20.000 Mark forderte, die in bar zu zahlen seien. Als Becker schon kehrt machen wollte wurde ihm bewusst, dass er Grundeigentum erwerben konnte. Nach der üblichen Auffassung war das im Land immer mit Schwierigkeiten verbunden, aber in diesem Falle würde der Boden ihm gehören, und diesmal würde er für sein Geld einen echten Gegenwert erhalten, zumal das Grundstück direkt am See lag und damit für einen eventuellen Weiterverkauf immer attraktiv bleiben sollte.

      Obwohl er Tag für Tag Bilanzpositionen hin und her schob um die Betriebe am Laufen zu halten hatte sich für ihn manifestiert, dass etliche Luftbuchungen eine künstliche Balance aufrechterhielten, die noch eine Weile funktionieren würde. Je mehr er aber Einblick in die Gesamtsituation gewinnen konnte desto deutlicher wurde ihm klar, dass das System ohne einschneidende Veränderungen irgendwann an seine Grenzen geraten würde. Ob das in fünf oder zehn Jahren sein würde konnte er nicht vorhersagen, aber durch seine Arbeit sah er, dass besonders die Exporte in den Westen zu Preisen erfolgten, die die Aufwendungen nicht im Geringsten deckten. Darüber hinaus wurde der Ersatzbedarf im eigenen Land immer mehr vernachlässigt und eine Produktivitätssteigerung damit ausgeschlossen. Er war sich sicher, dass er eines Tages einen ordentlichen Kontostand haben würde, aber sich nichts Entsprechendes dafür kaufen könnte, СКАЧАТЬ