Название: Lebenswege - Eine ostpreußische Familiengeschichte - Band 2
Автор: Frank Hille
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783737542913
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Bei der Abnahme hatte er nichts zu beanstanden. Die Männer bekamen das Geld, wuchteten den Mischer auf einen Hänger, koppelten diesen an einen Trabant Kombi an und fuhren los. Peter Becker setzte sich auf einen alten Stuhl, den die Arbeiter als Pausenmöbel genutzt hatten und betrachtete das Haus. Es unterschied sich schon durch seine Größe von den kleinen Lauben die in der Sparte standen und war im Gegensatz zu den Holzhäusern massiv ausgeführt, für den Architekten, der es entworfen hatte, war der Reiz weniger gewesen zusätzliches Geld zu verdienen, als ein Objekt zu projektieren, das sich von den Einheitsbauten abhob. Das war zweifellos gelungen, denn die elegante Linienführung gab dem Bau Charakter und die große Terrasse, die mit Holz beplankt war, und genug Platz für Sitzmöbel aufwies, ließ das Haus trotz seiner Größe nicht wuchtig erscheinen. Im Inneren bot es Platz für zwei Schlafzimmer, einen großen Wohnraum, die Küche und ein Bad. Nächste Woche würden die Elektriker alle Kabel verlegen und dann wäre es an ihm und Gerda, die Wände zu tapezieren. Die Inneneinrichtung musste zunächst schlicht ausfallen, nach und nach sollte das Haus komplettiert werden aber bei der Knappheit des Angebots rechnete er damit, dass bis dahin noch einige Zeit vergehen würde, zumindest konnten sie in absehbarer Zeit aber schon dort wohnen. Für die Außenanlagen plante er den Großteil der Fläche mit Rasen zu begrünen und nur in einer entfernten Ecke einen kleinen Gemüsegarten anzulegen.
Dieser Ort sollte ihm ausschließlich dazu dienen wieder Kraft zu tanken, wenn Gerda wollte könnte sie sich im Gemüsegarten betätigen und so vielleicht auch etwas Erntefrisches auf den Tisch bringen.
Einweihungsfeier, Woltersdorf, 1976
„Weißt du Peter“ sagte der Mann mit schon schleppender Stimme und nahm einen kräftigen Schluck aus der Bierflasche, „dein Häuschen gefällt mir und hier lässt es sich gut feiern. Das muss dich ja einige Lauferei gekostet haben hier alles ran zu bringen, aber du bist ja als Organisationstalent bekannt. Wo hast du überhaupt den Whisky her?“
„Aus Ungarn. Voriges Jahr war ich drei Tage zu einer Beratung dort und habe ordentlich eingekauft, die Zollerklärungen für den Geldumtausch habe ich dem Schlafwagenschaffner abgekauft. Der hatte die in Massen und auf dem Heimweg habe ich die Sachen in seinem Abteil deponiert, der wusste, dass er nicht kontrolliert wird. Hat mich noch mal ein paar Märker gekostet aber das war mir egal, solche Sachen gibt es bei uns ja nicht und um im Intershop einzukaufen fehlt mir das Westgeld.“
Sein Abteilungsleiter nickte, die D-Mark war längst zu einem begehrten Zahlungsmittel geworden, allerdings war der Wechselkurs enorm hoch und nicht allzu viele konnten es sich leisten für eine D-Mark zehn Ostmark hinzulegen. Dies blieb einer Gruppe vorbehalten, die sich von der breiten Masse abhob: Handwerker, Gewerbetreibende, Ärzte. Es war keineswegs so, dass das Unternehmertum vollständig verschwunden war. In ihrem Nischendasein bedienten Blumenläden, Fleischereien, Autowerkstätten und andere eine große Nachfrage, die letztlich nicht ausreichend befriedigt werden konnte, weil auch diesen kleinen Betrieben fortlaufend Güter fehlten. Dennoch zählten diese Leute zu denen, die zwar über größere Mengen Bargeld verfügten, aber auch wenig Zugang zu den knappen Konsumgütern hatten, allerdings öffneten diverse Produkte oder Dienstleistungen manche Tür.
„Ja“ sagte er jetzt „es ist schon manchmal schizophren, dass wir hochwertige Konsumgüter für wenig Geld in den Westen verramschen und die Leute hier rennen sich die Haken ab, um eine Schrankwand oder einen Fernseher zu bekommen, von den Autos will ich gar nicht erst reden. Als Honecker angetreten war dachte ich, dass wir eine Liberalisierung bekommen, und neben dem staatlichen Sektor mehr Freiraum für das Gewerbe entsteht, leider Fehlanzeige. Ewig können wir nicht so weitermachen, der Westen hängt uns immer mehr ab.“
Peter Becker war über diese Offenheit nicht verwundert. Es lag auch keineswegs daran dass der Mann angetrunken war, selbst im Ministerium mehrten sich kritische Stimmen, dass der Staat über seine Verhältnisse lebte. Die Mitarbeiter sahen bei ihrer täglichen Arbeit, dass in bestimmte Bereiche der Wirtschaft oder des Staates enorme Mittel investiert wurden die das kleine Land eigentlich für andere Zwecke benötigte. Er wurde des Öfteren mit Bedarfsanforderungen von Betrieben konfrontiert, die Objekte für die Landesverteidigung errichten sollten, nach seiner Meinung eine riesige Geldverschwendung, denn im Falle einer militärischen Auseinandersetzung würde kein Stein auf dem anderen bleiben und selbst ein atomwaffensicherer Bunker ohne Sinn sein. Da er aber eine Prioritätenliste abarbeiten musste wurden diese Forderungen mit allen möglichen Klimmzügen erfüllt, zu Lasten anderer dringender Vorhaben. Um der Lage der Anforderungen einigermaßen Herr zu werden gab es Vorrangbedarfe, an erster Stelle die Landesverteidigung, und dann die NSW-Importablösung. Über diesen sperrigen Begriff, Nicht Sozialistisches Wirtschaftsgebiet, wurden auch im Ministerium Witze gemacht.
Es war ihm klar, dass das Land wie ein Kieselstein zwischen den beiden großen politischen Blöcken lag und immer der Gefahr ausgesetzt war, in den ab und an aufflammenden Konflikten im Handumdrehen zerrieben zu werden. Zweifellos gab es Fortschritte, den Leuten ging es im Vergleich zu den anderen Ländern im Osten gut und mit dem bescheidenen Wohlstand ließ es sich nicht schlecht leben, es sei denn, man war mit dem politischen System nicht zufrieden. Immer mehr Leute sprachen auf den Behörden vor um einen Ausreiseantrag zu stellen und das Land verlassen zu können. Es war wahrscheinlich weniger die Unzufriedenheit über ihre materielle Lebenssituation, eher der Drang, nicht ständig von einem Staat gegängelt zu werden, der seinen Bürgern viele Entscheidungen abnahm und für sie entscheiden wollte, was gut für sie wäre, der sie, kurz gesagt, nicht als mündig und für sich selbst verantwortlich ansah. Natürlich trug der Blick in den Westen dazu bei Vergleiche zu ziehen, und dass der eigene Staat in manchen Belangen nicht sonderlich gut dastand wusste er wohl, höher schätzte er allerdings eine gewisse soziale Sicherheit. Hier in Berlin stellte sich die Versorgungslage als deutlich besser dar als in den anderen Teilen des Landes, und die Dienstreisenden von dort nutzten die Gelegenheit, gleichzeitig eine Einkaufstour zu absolvieren. Diese ungesunde Bevorzugung der Stadt hielt er für schädlich, obwohl er selbst davon profitierte.
„Ich denke, wir hängen viel zu sehr am Tropf der Sowjetunion“ erwiderte er „deren Anforderungen an unsere Produkte sind zwar auch nicht gering, aber wir sehen doch selbst welche Mühe wir haben unsere Erzeugnisse auf den westlichen Märkten zu verkaufen, weil sie nicht unbedingt dem Weltstand entsprechen. Natürlich weiß ich, dass wir keine Rohstoffe haben und zum Export gezwungen sind, aber eigentlich baden wir es aus, dass unsere Produktivität so gering ist. Wenn ich vor Ort durch die Betriebe gehe ist mir manchmal unklar, wie die Leute überhaupt noch Qualität produzieren können, so heruntergekommen sind die Anlagen.“
„Ach lass mal gut sein für heute“ sagte sein Abteilungsleiter „wir werden das heute nicht mehr lösen. Machen wir uns einen schönen Abend und ärgern uns ab Montag wieder mit unseren Bilanzen herum.“
Peter Becker feuerte den Grill an, holte zwei Biere aus dem Kühlschrank und brachte die Whiskyflasche mit, die Männer setzten sich auf die Terrasse, genossen den Blick auf den See und tranken. Ihre Frauen schwatzten in der Küche und wenn das Holzkohlefeuer kräftig genug wäre würde er die Bratwürste auflegen. In dieser Abendstimmung war er eigentlich trotz der Gedanken die sie vorhin gewälzt hatten zufrieden. Wenn er seine Situation betrachtete gab es wenig Grund für ihn für Pessimismus, seine berufliche Entwicklung war ohne Brüche erfolgt, mit seiner Frau verband ihn eine jahrelange Partnerschaft die ihm viel bedeutete, ohne dass er es so zum Ausdruck brachte, die Kinder machten wenig Sorgen, der Lebensstandard ihrer Familie wuchs langsam aber kontinuierlich, was wollte er mehr. In drei СКАЧАТЬ