Название: Professors Zwillinge: Von der Schulbank ins Leben
Автор: Else Ury
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783750297593
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»Oho, Omama, die Jugend von Jena weiß bestimmt mehr von Goethe und Schiller, wo die beiden doch hier gelebt haben«, rief der junge Enkel mit blitzenden Augen. »Und nächstens machen wir eine Schülerfahrt nach Weimar ins Goethe- und Schillerhaus.«
»Wir auch, Professor Martin fährt mit uns hin. Der kann alles so fein erklären«, berichtete Suse.
»Na, du wirst wohl mehr Interesse für seine Töchter Inge und Helga, die beiden Martinsgänse, haben, als fürs Goethehaus«, zog der Bruder sie auf. Suse war beleidigt. Immer nannte Herbert ihre Freundinnen die »Martinsgänse«. Unerhört!
Die Mutter schüttelte den Kopf: »Kinder, müßt ihr euch denn immer und ewig herumzerren! Was war das früher eine Liebe zwischen euch, als ihr noch klein wart. Da wart ihr ein Herz und eine Seele, wie es bei Zwillingen auch sein soll.«
»Ja, die Flegeljahre!« Suse stieß einen drolligen Seufzer aus.
»Das ist alles nur äußerlich«, erwiderte die Großmama begütigend. »Im Grunde ihres Herzens haben sie sich noch genau so lieb, unsere Kinder, nicht wahr?«
»Nee!« sagte Herbert, denn er hielt es eines Untersekundaners für unwürdig, weiche Gefühle zu haben. »Wenn die Suse ausnahmsweise mal nicht ihren Backfischfimmel hat, ist sie ja ganz verdaulich. Aber meist ist sie jetzt total hops.«
Die glänzenden Braunaugen des Backfisches wurden feucht. Die Lippen, die sich gerade dem Löffel Suppe öffneten, zitterten. Suse kämpfte gegen aufsteigende Tränen. Wenn sie sich bloß ihre Empfindlichkeit abgewöhnen könnte! Die gab immer wieder neuen Neckstoff für ihren Zwilling.
Zum Glück brachte Minna das Gemüse und Fleisch herein. Herbert hatte genug damit zu tun, den Hals zu recken und wie sein Bubi zu schnuppern, was es Gutes gäbe.
»Also das ist heute die Henkersmahlzeit, Minna«, scherzte der Professor.
»Henkersmahlzeit, Vater, was bedeutet das?« erkundigte sich Herbert, der allen Dingen auf den Grund ging.
»Es ist die letzte Mahlzeit, die uns die Minna serviert. Sie verläßt uns doch heute am ersten April«, erklärte die Mutter.
»Aber sie wird ja nicht hingerichtet, sie heiratet doch bloß«, meinte Herbert mit Bedauern in der Stimme.
Entschieden hätte er eine Hinrichtung interessanter gefunden.
»Na, hoffentlich geht's mir nicht an den Gragen«, lachte Minna, die Küchenfee, die schon mehrere Jahre bei Professors im Hause war. Sie sprach als Thüringerin zum Gaudium der Zwillinge das harte K wie ein weiches G.
»Die Neue muß aber ›Sie‹ und ›Fräulein Suse‹ zu mir sagen«, überlegte das Töchterchen bei den grünen Bohnen. »Nicht wahr, Mutti? In der Schule wird auch jetzt zu uns ›Sie‹ gesagt. Wir sind doch schon Untersekundaner.«
»Dann habt ihr auch die Verpflichtung, euch danach zu benehmen«, meinte die Mutter, mit dem Finger drohend. »Wenn ihr euch allenthalben wie kleine Kinder herumbalgt, könnt ihr unmöglich die Rechte der Großen beanspruchen.«
»Ist ja Wurscht wie Schinken«, meinte der Sohn achselzuckend. »Aber, Mutti, wie kannst du kunstgerechtes Boxen nur als Balgerei bezeichnen! Wenn ich erst mal einen Boxerpreis gewinne, wirst du schon anders sprechen.«
»Vorläufig bestehen deine Boxerpreise in zerrissenen Anzügen, mein Junge«, meinte die Mutter belustigt.
Nach der »Gesegneten Mahlzeit« begleitete Suse die Omama in ihr gemütliches Parterrezimmer. Hier war sie zu gern in Großmamas Reich mit den alten Mahagonimöbeln. Das war eine Welt für sich, die längst versunken war, aus der die Großmama hin und wieder Geschichten auferstehen ließ.
Liebevoll bettete Suse ihre Omama in den großen Lehnsessel am Fenster und hüllte sie sorgsam in die gestrickte Wolldecke ein. Wie zart und gebrechlich die alte Dame in letzter Zeit geworden war. Frau Annchen, Großmamas altes Faktotum, pflegte zu sagen: »Unsere Frau Omama wird jeden Tag weniger.« Das war Suse immer komisch vorgekommen. Jetzt, wo Frau Annchen bei ihrem Sohn in Ostpreußen lebte, mußte Suse unwillkürlich an ihre Worte denken.
Die Großmama hatte mit zärtlichem »danke, mein Liebling« die Augen geschlossen. Auf den Zehenspitzen schlich sich Suse hinaus.
Was nun beginnen? Draußen war es heute wenig verlockend. Es hagelte schon wieder. Die Mutter war dem Vater in sein Arbeitszimmer gefolgt. Er diktierte ihr nach Tisch sein neuestes Werk über Erdbebenforschung in die Schreibmaschine. Minna, zu der Suse sich in das Souterrain zu einem Plauderstündchen begeben wollte, fuhrwerkte mit hochroten Backen in ihrer Küche herum, um ihrer Nachfolgerin alles blitzblank zu übergeben. Die hatte heute keine Zeit zu plaudern. Solch ein erster Ferientag war wirklich langweilig. Man wußte nichts mit sich anzufangen. Aber wozu hatte Suse denn ihren Zwilling? Herbert würde schon wie immer Rat wissen gegen Langeweile. Und er wußte Rat.
»Wir machen es uns auf meinem Ledersofa bequem und rauchen eine Friedenspfeife miteinander«, schlug er vor.
»Wir sind doch schon längst wieder gut«, wandte Suse ein, der der Vorschlag unbehaglich war. »Und du hast ja überhaupt keine Pfeife«, setzte sie erleichtert hinzu.
»Mensch, bist du doof! Wenn ich Pfeife sage, meine ich doch natürlich 'ne Zigarette. Übrigens hängt auch Vaters Studentenpfeife noch unten in seinem Arbeitszimmer. Herbert zog wie ein richtiger Kavalier ein Zigarettenetui aus der Tasche. »Zigarette gefällig?« Er bot der Schwester galant an.
»Woher hast du denn Zigaretten?« erkundigte sich Suse erstaunt.
»Nicht von Vaters Vorrat gemaust, sondern richtig gekauft. Wenn man Untersekundaner ist, muß man vor allen Dingen ein Etui mit Zigaretten haben. Sonst unterscheidet man sich doch überhaupt nicht von den kleinen Pennälern.« Herbert entzündete ein Streichholz und brachte geschickt seine Zigarette in Brand.
Suse sah voller Bewunderung auf ihren Zwilling. Wie ein richtiger Herr, der im Klubsessel seine Zigaretten raucht, saß er mit übergeschlagenen Beinen in der Ecke seines kleinen Ledersofas und stieß Dampfwolken in die Luft.
»Bitte, bediene dich«, er schob ihr die Zigaretten zu.
Zögernd nahm Suse eins von den weißen Dingern. »Vati hat neulich gesagt, wir sollen nicht zu früh mit Zigarettenrauchen anfangen, es sei ungesund für die Lunge.« Unschlüssig drehte sie die Zigarette zwischen den Fingern.
»Damals waren wir noch Tertianer, als er das gesagt hat. In der Untersekunda hat man die Verpflichtung, zu rauchen. Und überhaupt, wenn die Neue ›Sie‹ und ›Fräulein‹ zu dir sagen soll. Nun stecke doch schon endlich das Ding an. Schmeckt knorke.« Schon hielt ihr der Bruder ein brennendes Streichholz hin. »Kamel, du mußt doch nicht in die Zigarette reinblasen wie in eine Trompete, sondern die Luft einziehen – so – na, jetzt brennt sie endlich.« Mit Überwindung hatte Suse den Rauch eingezogen. Wenn Herbert meinte, daß sie als Untersekundaner die Verpflichtung hätten zu rauchen, durfte sie sich wohl nicht länger sträuben. Er wußte immer alles besser als sie. Aber der Zigarettendampf, den sie noch nicht richtig auszustoßen verstand, reizte abscheulich im Halse. Ein starker Hustenanfall unterbrach Suses erste Rauchkünste.
»Siehst du, meine Lunge ist bereits angegriffen«, stieß sie hustend heraus. Sie warf die brennende Zigarette, die СКАЧАТЬ