Название: Mein ist die Rache
Автор: Hannes Wildecker
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Tatort Hunsrück
isbn: 9783748592617
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Tatsächlich ist die Frau vom Radfahren erhitzt. Ihr Atem geht schnell und die Aufregung tut ihres dazu, dass es auch nach diesem Stopp so bleibt.
Die junge Frau nimmt alle ihre Kraft zusammen und sagt mit bestimmtem Tonfall: „Bitte, lassen Sie mich weiterfahren!“
„Kuck mal, die Kleine!“, meldet sich jetzt auch Manni Reuter, bestärkt durch das Verhalten von Kalle, das nun auch die anderen erreicht. „Sie soll uns doch etwas Gesellschaft leisten!“
„Ja, soll sie!“, sagt jetzt auch Nob Nörtinger, obwohl es ihm lieber wäre, man würde die Frau in Ruhe lassen und stattdessen weiter nach Lebach oder Merzig fahren. Aber er will sich solidarisch verhalten. „Einer für alle, alle für einen!“, hat Karl immer gesagt. So soll es auch sein!
„Henri, so ruhig?“ Kalle sieht aus den Augenwinkeln zu Leyenhofer, der als einziger noch keine Regung zeigt.
„Alles in Ordnung, Kalle. Die Frau soll mit uns im Wagen noch etwas trinken. Ist doch nicht zu viel verlangt, oder?“ Damit hat er seine Schuldigkeit getan, hat auch etwas zu der Situation beigetragen.
„Also, junge Frau, auf ein Gläschen!“ Kalle macht eine einladende Handbewegung in Richtung des Van und fasst die Frau am Arm.
„Lassen Sie mich los oder ich schreie!“
„Ach, die Dame will schreien? Wer soll ihr denn zuhören? Sie trinken jetzt ein Glas mit uns, dann können Sie weiterfahren!“, sagt Kalle und seine Stimme hat sich dabei verfinstert. Er drängt, gefolgt von seinen Kollegen, die ein gemeinsames Schäferstündchen immer näherkommen sehen, Frau und Fahrrad in Richtung des Fahrzeuges.
„Hilfe! Hilf…!“ Weiter kommt die junge Frau nicht, denn Kalle hält ihr den Mund zu und zieht sie mit Gewalt zur Fahrzeugtür, die Manni bereits geöffnet hat. Es ist eine Schiebetür, die ausreichend Platz bietet, um mehrere Personen gleichzeitig einsteigen zu lassen. Maathes hat das Fahrrad gepackt und es der Frau entwunden. Er stellt es hinter dem Van ab und während seine Kollegen die wimmernde Frau in das Fahrzeuginnere zerren, deckt er das vordere Kennzeichen mit herumliegenden Ästen ab. Dann eilt auch er zu der Schiebetür, steigt ein und verschließt die Tür hinter sich.
Was sich im Inneren des Van abspielt, könnte nicht einmal ein vorbeikommender Fußgänger erahnen, denn die Frau hat sich inzwischen in ihr Schicksal ergeben. „Lieber Gott, gib mir Kraft!“, betet sie zwischen den groben Stößen der Peiniger, die sie, einer nach dem anderen, besteigen. „Verzeih Ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“
Drei Tage nach diesem Vorfall findet man eine junge Frau auf den Gleisen der Bahnlinie von Losheim nach Merzig, am Ortsende von Losheim, zerschmettert von einem ICE, dessen Führer nach dem Aufschlag psychologische Hilfe in Anspruch nehmen muss. Der Fall wird nach Abschluss der Ermittlungen zu den Akten gelegt. Suizid, kein Fremdverschulden erkennbar, heißt es im Abschlussbericht der Saarbrücker Kriminalpolizei. Es ist keine Seltenheit, dass der Freitod auf den Schienen der Bundesbahn gesucht wird. Es ist ein schneller Tod, der aber dem Leichenbestatter alle Mühen abverlangt, die Leichenteile fein säuberlich aufzulesen und sie mit den Plastiktüten im Blechsarg zu verstauen.
Auch die bis zur Unkenntlichkeit deformierte Leiche der jungen Frau verlangt den Dienern des Todes diese Arbeit ab. Wohin sie die Rechnung dafür senden, das wissen sie inzwischen. Celine Raphael hieß das junge Ding, war gerade mal zwanzig Jahre alt und wollte Nonne werden. Die Ermittlungen bei den Angehörigen ergeben, dass Celine Raphael sich zu Gott berufen fühlte und ihre Entscheidung der Familie bereits mitgeteilt hatte.
Der Grund für den plötzlichen Freitod der jungen angehenden Ordensfrau beschert ihrem Heimatort allen Grund für Spekulationen. Ein Abschiedsbrief existiert nicht. Jedenfalls hat niemand, weder die Polizei, noch die Angehörigen, so wurde es jedenfalls behauptet, einen solchen gefunden oder gesehen.
So schließt sich die Akte über Celine Raphael, um vorübergehend um für ganze acht Jahre Ruhe in den Kellern der Gerichtsbarkeit zu finden.
1.Kapitel
„Auf, Leute, es wird langsam Zeit! Wir haben uns doch einiges vorgenommen!“ Frank Clemens versucht, seine Leute aufmuntern, denn gemeinsam werden sie einen etwa fünfstündigen Marsch vor sich haben. Seine Leute, das sind die Mitarbeiter der Firma Clemens & Sohn aus Morbach, Elektroinstallation und Verkauf von Leuchtkörpern aller Art. Sie sind allesamt Wanderfreunde und der Saar-Hunsrück-Steig mitten in ihrer Heimat lockt immer wieder zu neuen Wanderaktionen. Von den insgesamt elf Etappen haben sie in diesem Jahr bereits drei hinter sich gebracht, nicht während der Arbeitszeit, nein da ist nichts zu machen mit Frank Clemens, da wird gearbeitet, der Betrieb muss laufen. Aber an den Wochenenden, da trifft man sich, nach Absprache versteht sich, und schnallt die Wanderschuhe an. Mal wird die Gruppe, die heute ausschließlich aus Männern besteht, von ihren Partnerinnen oder Partnern begleitet, doch den Frauen sind solche, schon etwas härtere Touren, zu anstrengend.
„Der Steig bietet auch leichte Wandermöglichkeiten und man muss ja auch nicht so draufhalten“, ist deren Kommentar, wenn mal wieder eine der größeren Abschnitte auf dem Programm steht.
Heute hat man sich die so genannte 6. Etappe ausgewählt, die von Nonnweiler nach Börfink. Dort nämlich werden die Wanderer am Nachmittag von dem Kleinbus der Firma Clemens abgeholt. Franks Ehefrau Lydia hat sich als Fahrerin zu diesem Liebesdienst bereit erklärt und die Wanderer auch nach Nonnweiler gebracht. Man wird anschließend gemeinsam noch in einer Gaststätte einkehren, etwas essen und trinken und dann den Heimweg antreten.
Frank Clemens hat seinen rechten Fuß auf einer steinernen Blumenbank vor der Kurhalle in Nonnweiler abgestellt und bindet sich den Schnürsenkel seines Wanderschuhs. Die Nordic-Walking-Stöcke stehen neben ihm, an die Bank gelehnt, bereit, ihn die nächsten Stunden zu unterstützen.
Clemens sieht seine Mitarbeiter von der Seite an.
„Fertig?“
„Fertig!“ antworten die Fünf wie aus einem Munde.
„An uns liegt es nicht, wir sind fertig“, lässt sich ein Mann mit Hornbrille vernehmen.
„Ja, auf jede Kleinigkeit achten, wie in der Buchhaltung. Ich bin also der Hemmschuh“, zieht sich Clemens auch diesen Schuh an. „Alles klar! Also auf!“
Spricht` s, schnappt sich seine Stöcke und setzt sich an die Spitze der Gruppe, um sogleich das Tempo vorzulegen. „Mal sehen, wie die Buchhaltung da mithalten kann“, denkt er schadenfroh. Und er behält Recht. Nach einigen hundert Metern hat sich die Gruppe schon auseinandergezogen, obwohl es bergab geht, in Richtung Talsperre. Der Buchhalter der Firma, Guido Klöppel, Frank Clemens hat ihn beim Zurückschauen gleich erblickt, hält sich tapfer an der Spitze der Verfolger.
„Ich werde auf dem Dollbergkamm auf die anderen warten“, sagt sich Clemens. Er ist nicht der Typ, der mal langsam, mal schnell gehen kann. Er braucht den Rhythmus, den gleichmäßigen Schritt. Auf dem Dollbergkamm, auf der Höhe von Neuhütten, da wird er auf die anderen warten.
Die Treppen zum Seerundweg bedeuten ebenfalls keinerlei Hindernis, es geht vorbei an einem Fischweiher, dann folgt der Aufstieg zum Dollberg. Clemens schaut zurück und stellt mit Genugtuung fest, dass er die Gruppe ein gutes Stück hinter sich gelassen hat. Seinen Buchhalter scheint es ans Ende der Wandergruppe verschlagen zu haben. Clemens lächelt. „Große Töne spucken, aber nichts drauf! Aber darauf kommt es ja nicht an. Klöppel ist ein guter Buchhalter“, denkt СКАЧАТЬ